Obamas “Jahrhundert-Reform” der Finanzmärkte (Video, Dokumente und Berichte)

by Dirk Elsner on 18. Juni 2009

Barack Obama hat gestern “tiefgreifende Veränderung der Aufsichtsstruktur vorgelegt” (Handelsblatt) und damit Konsequenzen aus der anhaltenden Finanzkrise gezogen. Hier zunächst das Video zur vermeintlich größten Finanzreform in den USA seit 70 Jahren:

Die Rede zum Nachlesen gibt es hier. Die Details zum Plan können in diesem White Paper des US-Finanzministeriums in englischer Sprache nachgelesen werden. Ein Übersichtsseite mit weiteren Informationen gibt es hier vom Weißen Haus. Hier außerdem ein Interview mit CNBC vom 16.6. mit Barack Obama

Aus den Inhalten berichten Handelsblatt, Spiegel Online, FAZ, NZZ und:

“Im Zentrum der Neuregelung steht die Notenbank Fed, die alle Großbanken beaufsichtigen und für die Stabilität des gesamten Finanzsystems verantwortlich sein soll. Zudem sollen kleinere Institute ihren Aufseher nicht mehr wählen, sondern von einer nationalen Behörde kontrolliert werden. Aber auch jenseits des Bankensektors ist den Plänen zufolge praktisch jeder Winkel des größten Finanzmarktes der Welt von strengeren Kontrollen betroffen.

Lücken in der Finanzmarktaufsicht und widersprüchliche Kompetenzen im stark fragmentierten US-Regulierungssystem sowie fehlende rechtliche Eingriffsmöglichkeiten machen Experten mitverantwortlich für die aktuelle Krise. Um dies künftig zu vermeiden, wird die Fed nach dem Willen Obamas mehr Befugnisse erhalten. Sie soll gemeinsam mit dem Finanzministerium die Möglichkeit haben, große Finanzkonzerne im Notfall aufzulösen. Dies war bislang nicht möglich, so dass die Regierung im Herbst 2008 lediglich die Wahl hatte, Banken mit Milliarden zu retten oder unkontrolliert in die Insolvenz schlittern zu lassen. Im Fall Lehman Brothers hatte man sich für den Bankrott entschieden und damit die Situation ungewollt noch verschärft.

Weiter ist geplant, die Rechte der Verbraucher und Investoren zu stärken. Zur Absicherung der Bankkunden will die US-Regierung eine unabhängige Verbraucherschutzbehörde mit weitreichenden Befugnissen schaffen. Die Institution soll für eine große Gruppe von Finanzkonzernen sowohl Richtlinien erlassen als auch durchsetzen dürfen. Damit reagiert Washington auf die unverantwortliche Kreditvergabepraxis vieler Banken, die mit zu der aktuellen Krise geführt hat. Außerdem soll den Geldhäusern künftig eine stärkere Kapitaldecke vorgeschrieben werden, um wirtschaftlich schwere Zeiten besser zu überstehen.”

Er sprach von einer „Kultur der Verantwortungslosigkeit“, die in den amerikanischen Finanzmärkten herrsche, von einem „Wasserfall an Fehlern und verpassten Gelegenheiten“ in den vergangenen Jahrzehnten. „Das gesamte System hat versagt“, wetterte Obama. Niemals hätte die Zockerei an der Wall Street so eskalieren dürfen.

Mit der geplanten Grundüberholung des Regulierungssystems ziehe die Regierung die Lehren aus der gegenwärtigen Krise, sagte Obama: «Das Fehlen von Aufsicht hat systemischen – und systematischen – Missbrauch nach sich gezogen.»

Für die Eskalation aber gebe es einen zentralen Grund: Das noch aus der Zeit nach der Großen Depression stammende Regulierungssystem habe mit der Globalisierung der Weltwirtschaft nicht Schritt halten können. Insbesondere folgende Punkte soll das Programm umfassen:

  • Die Fed bekommt die Aufsicht über alle Konzerne und Finanzinstitutionen, die so groß sind, dass ihr Zusammenbruch das US-Finanzsystem untergraben könnte.
  • Ein Regulierungsrat, dem auch die Fed angehört, soll Risiken im gesamten Finanzsystem beobachten. Das soll drohende Zusammenbrüche wie bei dem Versicherungsriesen AIG rechtzeitig erkennen lassen.
  • Zusätzlichen Schutz für Investoren sollen größere Transparenzanforderungen an Hedgefonds bieten,
  • Credit Default Swaps (an der Börse handelbare Kreditversicherungskontrakte) und andere Derivate, die sich bisher der staatlichen Aufsicht entzogen haben, sollen stärker reguliert werden,
  • Hinzu kommen neue Regeln für Händler und für die Ausgabe von forderungsbesicherten Wertpapieren (ABS).
  • Die Regeln für den Verkauf solcher Papiere an Anleger ohne Fachkenntnisse sollen verschärft werden. Eine neue Behörde (Consumer Federal Protection Agency – CFPA) soll sich um besseren Konsumentenschutz im Finanzsektor kümmern.
  • Obama will zudem höhere Anforderungen an die Kapitalausstattung von systemrelevanten Finanzinstitutionen stellen und ein System für eine geregelte Abwicklung entwickeln, sollten solche Institute wie im Fall AIG ins Taumeln kommen.

Die Regierung will sich umfassenden Zugang zur Finanzwelt verschaffen und dem Staat Aufsicht über Firmen und Produkte geben, die bislang außerhalb des Bankensystems existierten. Die Notenbank überwacht besonders Finanzfirmen, deren Zusammenbruch weite Teile der Wirtschaft beschädigen könnte. Es ist ein „Rat der Regulierungsbehörden“ geplant. Banken und Finanzinstitute müssen sich an höhere Kapitalausstattungen gewöhnen. Hedge-Fonds müssen sich ab einer bestimmten Größe registrieren lassen, der Derivate-Markt soll geregelt werden. Wenn Darlehen zu Wertpapieren „umverpackt“ werden, sollen Kreditgeber weiter Interesse an der Rückzahlung haben. Eine neue Behörde soll Verbraucher besser schützen.

Weitere Details aus der FTD:

Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell ein solche umfassendes Konstrukt kommentiert wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Kommentatoren hier ein sorgfältiges Quellenstudium betrieben haben. Ich jedenfalls habe es nicht getan und schenke mir daher einen Kommentar zu den Regeln, die ohnehin noch nicht verabschiedet sind, sondern erst noch intensiv diskutiert und sicher geändert werden, bevor sie in Gesetze und Ausführungsbestimmungen gegossen werden.

Weitere Berichte

NYT: Geithner on the Hill to Push Financial Overhaul: Treasury Secretary Timothy F. Geithner is urging Congress to act quickly on the plan to overhaul financial regulation. CNBC Video: Geithner Statement to Senate

FAZ: Amerika führt hitzige Debatte über Finanzaufsicht Obwohl in Amerika großes Einvernehmen darüber besteht, dass Verbesserungen in der Kontrolle des Finanzsystems unerlässlich sind, gehen die Bewertungen der Pläne auseinander. Unterstützung gibt es aus Berlin.

HB: Was von der US-Finanzwelt übrig bleibt

HB: US-Regierung plant Kontrollbehörde für Banken

Breaking Views: So einfach wie das ABC

HB: US-Regulierung: Angst vor neuen Problemen

Focus: Obama will Finanzmärkten Fesseln anlegen

HB: US-Banken schütteln Staatskontrolle ab

FTD: Wie Obama das Finanzsystem reguliert

HB: „Obama will Nägel mit Köpfen machen“

FTD: Zu weit weg vom Abgrund

HB: Finanzsystem: Den Dschungel lichten

FTD: Diana Farrell – Marktliberale a. D.

CWD: My initial reactions to President Obama’s financial regulation proposal

NYT: Obama Seeks Financial Rules to Curb Excesses

NYT: Economix: Devil’s in the Details

HP: BATTLING WALL STREET’S ‚WORST TRAITS‘

Time: Is Obama’s Financial Reform Plan Bold Enough?

WSJ: Obama Sets Tone for Regulation

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