Nicht alle Twitter Meldungen aus dem Iran sind glaubwürdig

by Dirk Elsner on 19. Juni 2009

Dieses Thema ging mir in den letzten Tagen häufiger durch den Kopf, wenn ich Meldungen über Tweets aus dem Iran las oder Tweets zum Hashtag #iranelection auf Twitter verfolge. Da wird Twitter als Verbindungs-Medium zwischen der iranischen Opposition und den westlichen Medien in einer Weise glorifiziert, die mir prinzipielle Bauchschmerzen bereitet. Gleichzeitig schafft die Netzgemeinde in ihrer Solidarität eine Atmosphäre, die es kaum zulässt, die Glaubwürdigkeit bestimmter Meldungen und You-Tube-Videos zu hinterfragen. Dies hat jetzt Esther Addley vom Guardian aber jetzt getan und schreibt (deutschen Übersetzung hier auf der Webseite des Freitag):

“Nach der Wahl in Iran ist Twitter zum wichtigsten politischen Kommunikations-Medium geworden. Mit Tweets umgeht die Opposition die Zensur. Aber ist das auch glaubwürdig?

Die Ungewissheit, die bei Twitter immer mitschwingt, hat sich allerdings in der gegenwärtigen Situation als die größte Herausforderung erwiesen. Selbst bei Seiten, die glaubwürdig wirken, ist es nahezu unmöglich, die Herkunft eindeutig zu ermitteln. Traditionelle Medien verwendeten auf der Seite befindliches Material ohne Quellenangabe mit großer Vorsicht. Auch für die User schien das Risiko, im Netz identifiziert zu werden, in der Nacht zu Dienstag kurzzeitig real. Es kursierten auf der Seite das Gerücht, hinter einigen sympathisch wirkenden Seiten steckten in Wirklichkeit die iranischen Behörden. „Die Zahl der gefakten IDs und Websites nimmt zu“, schrieb eine Userin. „Sie wollen Zwietracht unter uns sähen und verbreiten Lügen. Seid auf der Hut!“”

Auch faz.net berichtet von einem Twitterer, der aus Teheran twittert und gleichzeitig Blogeinträge in Hong Kong verfasst. So entstehen Glaubwürdigkeitsprobleme, die der Opposition im Iran nicht wirklich nutzen, weil “echte” Tweets durch Fakes verwässert werden können. Die FAZ weist auch auf folgenden Sachverhalt hin:

“Jeder kann sich bei Twitter anmelden und einen Account erstellen. Name und Foto sind frei wählbar. Niemand überprüft die Identität der 140-Zeichen-Schreiber. Die Wahrheit des Tweets kann somit erst recht nicht verifiziert werden. Unter Twitterern ist das normalerweise kein Problem, da man sich meist kennt. Wer twittert, hat häufig auch ein Blog, schreibt für die klassischen Medien, ist hinreichend prominent oder ein Freund oder Bekannter. Bedenklich wird es nur, wenn jemand einen Namen missbraucht. Das kann auf zwei Wegen geschehen: Jemand hat sich den Namen gesichert, bevor sich die „eigentliche“ Person bei Twitter anmelden wollte. Oder ein Krimineller hat den bestehenden Account gehackt und verschickt Tweets unter falschem Namen. So geschehen bei den Accounts von Barack Obama, Britney Spears und CNN-Moderator Rick Sanchez. “

Mit seinem Fazit dämpft Marco Dettweiler den iranischen Twitter-Boom:

“Die Informationslage, die Twitter schafft, ist sehr undurchsichtig. Dafür ist das Problem sehr klar. Weil Twitter aufgrund seiner Gestaltung bequem und einfach zu bedienen ist, kann es auch leicht für Manipulationen missbraucht werden. Die Glaubwürdigkeit von Tweets ist im Vergleich zu Blogeinträgen, Nachrichten oder YouTube-Videos am geringsten. Soziale Netzwerke wie Facebook eignen sich da schon besser, um einen Informationskanal aufzubauen. Die Aktivitäten der Mitglieder können beobachtet werden, Freunde müssen eingeladen werden, es gibt Fotoalben und Chats. Es würde eher auffallen, wenn jemand einen gefälschten Auftritt erstellt. Razan79 ist übrigens auch bei Facebook. Als Ort hat er Hong Kong angegeben.”

Mein persönliches Fazit: Gesichert scheint zu sein, dass über Twitter, YouTube und Co. relevante Informationen aus dem Iran kommen. Das ist gut so. Aber nicht jeder Tweet mit Bezug Iran ist relevant oder glaubhaft. Eine Portion Skepsis bei bestimmten Meldungen dürfte der iranischen Opposition mehr nutzen, als Meldungen, die zunächst für Aufsehen und Empörungen sorgen und sich später als falsch herausstellen.

Weitere Meldungen zu Iran und Twitter

NYT: Twitter on the Barricades in Iran: Six Lessons Learned

HB: Gezwitscher aus Teheran

Spon: Ahmadinedschads Angst vor dem Netz

Carta: Der Iran, Qualitätsjournalismus und das Echtzeitinternet

AA: Wie das Internet die Revolution verändert

BZ: Twitter und die US-Regierung

Zeit-Blog: Tag fünf: Twitter durchbricht Irans Zensur

GP: The globalization of social media

AW: Die Revolution wird gezwitschert

Salon: Twitter won’t bring down Ahmadinejad

ABT: Iran: Volkserhebung oder Twittergewitter?

Spon: Propagandakrieg um Twitter

Welt: Der Iran twittert plötzlich Morgenluft

Spon: Ahmadinedschad-Gegner umgehen Zensur im Netz

YTB: More Footage from Protests in Iran on YouTube

SEP: How to Blog with authenticity without getting fired

Mahdiyar Juni 19, 2009 um 15:07 Uhr

Ich teile die Meinung, allerdings lässt sich keiner der Twitter-Aussagen prüfen. Unter prüfen meint man schließlich nicht die eigene subjektive Sicht. Doch genau dieses Verfahren wenden die Medien an. Sie meinen beurteilen zu können, welche Informationen glaubwürdig sind oder nicht. Das ist kein Journalismus, das ist Schlagzeilenmacherei. Der Blick ist nicht auf die Wahrheit gerichtet, sondern auf Geld und Popularität, dass man durch spektakuläre Nachrichten erreichen kann. Das ist das Schicksal eines Landes, dass sich dem Raubtierkapitalismus verschrieben hat. Die Meinungsfreiheit wird zu Verbreitung von Gerüchten missbraucht.

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