Nüchterner Blick in die Insolvenzpraxis

by Dirk Elsner on 24. Juni 2009

Dass es nach der Insolvenz weitergehen kann, zeigen viele Beispiele aus der Praxis[1]. Allerdings ist das, was sich in Medienberichten meist einfach liest, in der Praxis höchst komplex und mit vielen juristischen Fallstricken und vor allem weiteren Kosten verbunden.

Ich will hier betroffenen Unternehmen nicht den Mut nehmen. Aber einen prominenten und sachkundigen Insolvenzverwalter, wie aktuell Arcandor mit Klaus Hubert Görg, erhält kaum ein Insolvenz anmeldendes Unternehmen. Aber mittlerweile stellen selbst die Medien die Insolvenzabwicklung etwas differenzierter dar. So sorgte die Wochenzeitung „Die Zeit“ in einem ausführlichen Artikel für mehr Realismus in den Erwartungen an eine Insolvenz und an die Insolvenzverwalter[2]: „Die allermeisten Pleiten ereignen sich aber bei Mittelständlern und Kleinfirmen. Dort kommen als Verwalter häufig nicht ausreichend qualifizierte Leute zum Einsatz, die vielleicht drei Verfahren im Jahr abwickeln und deren Büro aus nicht viel mehr besteht als einem Laptop im Kofferraum.”

Auch die Financial Times Deutschland stellt die Lage nüchtern dar: „Der drohenden Pleitewelle ist das deutsche System nicht gewachsen: Es gibt keinen funktionierenden Markt, der dafür sorgt, dass ein Mandat an den besten Sanierer geht. Es gibt keine Kriterien, an denen sich die Kompetenz eines Insolvenzverwalters messen lässt. Es geht zu wie auf dem Basar. Amtsrichter vergeben die Aufträge, meist an den, der sich am besten verkauft, meist ohne Ahnung von der Firma, um die es geht. Ergebnis: Viele Sanierungen scheitern, Jobs, die gerettet werden könnten, gehen verloren. "Wenn die Pleitewelle anrollt", sagt Hans Haarmeyer, Insolvenzexperte vom Rhein-Ahr-Campus in Remagen, "wächst die Gefahr, dass eigentlich überlebensfähige Unternehmen keinen guten Insolvenzverwalter finden." Mehr als der Hälfte der deutschen Verwalter fehle der zur Sanierung und strategischen Neuausrichtung eines Unternehmens "fachliche Background".[3]

Ähnlich kritisch sieht das auch die GIB: „ Nach wie vor sind nicht alle Insolvenzverwalter in gleicher Weise bereit oder in der Lage, aufwendigere Sa­nierungsmaßnahmen durchzuführen und innovative Instru­mente der Insolvenzordnung wie z. B. den Insolvenzplan zu nutzen, Konflikte mit wichtigen Gläubigern auszutragen oder arbeitspolitische Instrumente zu nutzen, um die Ver­mittlungschancen der Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern [4].

Wenn sich die Verwalter nicht als Notärzte verstehen, sondern als gut bezahlte Sterbehelfer, dann wird manche Firma beerdigt, die noch eine Überlebenschance gehabt hätte. Und nicht übersehen werden sollte, solange genügend Masse da ist, aus der der Verwalter seine Vergütung bekommt, ist der Anreiz für ihn stark, den Laden so schnell wie möglich dichtzumachen und das Restgeld an die Gläubiger zu verteilen[5].

Die Chance, zumindest einen Teil der Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen und vielleicht sogar Arbeitsplätze zu erhalten, gibt es erst dann, wenn ein Verfahren überhaupt eröffnet wird. Entscheidend dafür ist, ob der vorläufig bestellte Verwalter sich genug ins Zeug legt, um Substanz im Unternehmen aufzutreiben. Dazu gehört auch die Bereitschaft, möglicherweise nicht rechtmäßigen Zahlungen nachzuspüren, die dazu dienten, Teile des Firmenvermögens vor den Gläubigern zu retten. Das wäre der Idealfall, aber so einfach ist das nicht: Denn entscheidend für die Verfahrenseröffnung ist aber offenbar auch der Standort des Unternehmens[6].

Insolvenzverwalter ist eine Berufsbezeichnung, die nicht geschützt ist. Es gibt keinen festgelegten Ausbildungsgang und auch keine staatliche Prüfung. Ein juristisches Examen ist nicht Voraussetzung, auch Betriebswirte und Buchhalter können den Job machen. Jedem Scheidungsanwalt steht es so im Prinzip frei, auf Insolvenzen umzusatteln. Insolvenzverwalter ist, wen ein Amtsrichter als solchen einsetzt. Das Gericht muss zuvor zwar nach dem Gesetz die Eignung des Kandidaten prüfen und darauf achten, dass der Betreffende »unabhängig« ist (und nicht etwa der Gehilfe eines großen Gläubigers). Welche Maßstäbe sie anlegen, bleibt jedoch den Richtern überlassen. So kommt es zu Kungeleien und Fehlbesetzungen[7].

Szenen einer Vergabepraxis: Verwalter, die zwecks Akquise und Kontaktpflege viel Zeit auf den Fluren der Amtsgerichte verbringen. Erprobte Sanierer wie der Hamburger Jan Wilhelm, die sich immer wieder geschickt beim Insolvenzrichter verkaufen müssen. "Nur wenn du die richtigen Klinken putzt, kommst du an die Verfahren", sagt er und fügt hinzu: "Das ist Widerein einziges Geschacher der Insolvenzverwalter vor dem Richter." [8]

Dies konkretisiert Matthias Lambrecht in der FTD noch weiter:“ Die fehlenden Maßstäbe bei der Bestellung der Verwalter öffnen Spielräume für Kungelei. Schwarze Schafe wie der Richter, der vom Insolvenzverwalter mit einem Auto zu Sonderkonditionen aus der Insolvenzmasse belohnt wird, sind zwar die Ausnahme. "Es kommt aber schon mal vor, dass ein Richter einen Freund aus dem Rotary-Club oder den Tennispartner bevorzugt", beschreibt ein Verwalter die Lage. Nicht zuletzt um derartige Deals zu erschweren, hat das Bundesverfassungsgericht verfügt, dass bei den Amtsgerichten keine geschlossenen Listen mit Kandidaten geführt werden dürfen.“ [9]

Ein systembedingtes Problem führt dazu, dass viele Insolvenzverwalter zu ängstlich reagieren, denn Insolvenzverwalter haften für unter ihrer Führung eingegangene neue Verbindlichkeiten insolventer Unternehmen. Aus Angst vor Risiken würden rettbare Unternehmen zu schnell dichtgemacht. Häufig “… wickeln sie das Verfahren so schnell wie möglich ab. Für sie ist das ein gutes Geschäft, jedenfalls dann, wenn genügend Geld da ist, um die Vergütung des Insolvenzverwalters zu bezahlen, denn der darf sich als Erster bedienen.”

Auch die Gerichte selbst zeigen sich häufig überfordert. Es ist keineswegs so, dass Pleiten unter richterlicher Mitwirkung abgewickelt werden. Mit der Eröffnung des Verfahrens ist ein Rechtspfleger zuständig. Unter diesen Justizbeamten gebe es zwar engagierte Leute, die Arbeitsbedingungen seien aber schlecht. Zu viele Verfahren, zu wenig Personal. Und nicht selten passiert es, dass sich ein Rechtspfleger, der sich gut in das Insolvenzrecht eingearbeitet hat, plötzlich in der Grundbuchabteilung wiederfindet[10].


[1] Siehe z.B. Artikel im Handelsblatt: Wo die Insolvenz nicht das Ende war

[2] Rüdiger Jungbluth, Mehr Masse als Klasse, in Die Zeit Nr. 15 v. 02.04.2009 Nr. 15

[3] Matthias Lambrecht, Die Pleite mit den Insolvenzverwaltern, in FTD-Online v. 10.6.09.

[4] Vgl. Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung, Die Sanierung von Unternehmen in der Krise, Arbeitspapier 25, November 2008, S. 5.

[5] Rüdiger Jungbluth, Mehr Masse als Klasse, in Die Zeit Nr. 15 v. 02.04.2009 Nr. 15

[6] Matthias Lambrecht, Die Pleite mit den Insolvenzverwaltern, in FTD-Online v. 10.6.09.

[7] Rüdiger Jungbluth, Mehr Masse als Klasse, in Die Zeit Nr. 15 v. 02.04.2009 Nr. 15

[8] Matthias Lambrecht, Die Pleite mit den Insolvenzverwaltern, in FTD-Online v. 10.6.09.

[9] Matthias Lambrecht, Die Pleite mit den Insolvenzverwaltern, in FTD-Online v. 10.6.09.

[10] Rüdiger Jungbluth, Mehr Masse als Klasse, in Die Zeit Nr. 15 v. 02.04.2009 Nr. 15. Ähnlich auch Matthias Lambrecht, Die Pleite mit den Insolvenzverwaltern, in FTD-Online v. 10.6.09.

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