Überrascht die Piratenpartei? Im Netz mit deutlichem Vorsprung vor etablierten Parteien

by Dirk Elsner on 7. September 2009

Ich gestehe, ich habe mich noch nie so wenig mit einem Bundestagswahlkampf auseinandergesetzt, wie in diesem Jahr. Dabei glaube ich noch nicht einmal, dass ich mich von dem künstlichen Wahlmüdigkeitshype habe anstecken lassen. Es fehlen einfach die kontroversen wirtschaftspolitischen Themen zwischen den etablierten Parteien. Dazu kommt, dass sich CDU und SPD im Management der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht besonders ausdifferenziert und sich weder FDP noch Grüne durch besondere wirtschaftpolitische Vorschläge profiliert haben. Ich habe außerdem keine Erklärung, woher der Hype über Karl-Theodor zu Guttenberg herkommt, denn eine wirklich wahrnehmbare relevante wirtschaftspolitische Aktivität vermag ich ihm bisher nicht zuzurechnen.

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Ranking Vergleich bei Alexa

Der einzige Artikel über die Wahl, der mir bislang nachhaltiger in Erinnerung geblieben ist, war im Dossier der ZEIT der vergangenen Woche. Unter dem Titel  “Politische Bewegung – Vorsicht, Opposition!” befasste sich die Wochenzeitung unter anderem mit der Piratenpartei, die ich bis dahin eher mit Netzaktivismus in Verbindung brachte:

“Die »Piratenpartei«, die für den freien Datenverkehr im Internet kämpft, wächst explosionsartig. Im Mai hatte sie noch weniger als 1000 Mitglieder, inzwischen sind es schon mehr als 6000. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid können sich sechs Prozent der Deutschen vorstellen, sie zu wählen. Und sie ist nur der sichtbare Teil einer Strömung, die viel gewaltiger ist. Am 12. September ist in Berlin eine Demonstration für »Freiheit statt Angst« angekündigt, zu der bis zu 100000 Teilnehmer erwartet werden.”

Da scheint auf jeden Fall mehr heranzuwachsen, als sich das etablierte Politprofis wünschen. Leider lässt sich kaum feststellen, wo die Partei derzeit in Umfragen steht, weil die Piraten stets unter Sonstige geführt werden. “Böse Zungen” behaupten schon, dies werde mit Absicht gemacht, um nicht auf den Stimmenzugewinn aufmerksam zu machen. Ich kann das derzeit nicht einschätzen und bin kein Anhänger von Verschwörungstheorien.

Dennoch sagt mir mein Bauch, die Piraten könnten mehr Stimmen bekommen, als sich das derzeit viele vorstellen können. Bei jungen Leuten scheint es eine ausgeprägte Affinität für die Partei zu geben. Etablierte Medien meiden dagegen diese Bewegung, denn es sind kaum Berichte über die Partei zu finden (immerhin ein Interview mit Piraten-Chef Jens Seipenbusch im Blog des Handelsblatts).

Das ist in der Tat sehr erstaunlich, denn schaut man sich den aktuellen Traffic Rank der Partei bei Alexa an (siehe Abbildung), dann führt die Piratenpartei deutlich vor CDU, SPD, Grünen und FDP die Zugriffsrangliste. Und sogar bei Google Trends liegt sie vor der FDP, wenn man die Zählungen für Piraten und Piratenpartei addiert. Bei der Anzahl der Links auf die Webseite der Partei zählt Google 323.00 Links. Das sind fast so viele, wie die FDP erreicht (343.000), aber weniger als SPD (592.000) , CDU (556.000) und Grüne (3,6 Mio.!). Bei einigen, allerdings mit Sicherheit nicht repräsentativen Webumfragen liegen die Piraten sogar an der Spitze.

OK, diese Analysen sind natürlich alle methodisch nicht sauber. Daraus lässt sich kein Wahlergebnis prognostizieren, allenfalls eine gewisse Relevanz der Partei. Aber diese Relevanz halte ich für so groß, dass man von den etablierten Medien durchaus eine ausführlichere Berichterstattung erwarten darf. Oder sollte es da doch so einen Hauch von Furcht der Funktionselite geben? Ignoriert man diese Bewegung, die sich nicht in das politische Rechts-Links-Schema einordnen lassen will, um sie nicht dadurch erst stark zu machen?

Eine mich ansprechende, neutrale und unabhängige Darstellung der Parteiziele und Hintergründe habe ich auf die Schnelle nicht finden können, was mich eher erschreckt. Die noch beste, jedoch nicht unabhängige Zusammenfassung findet sich auf meinepolitikblog, der diesen Beitrag von der World Socialist Web Site übernommen hat, die wohl eher nicht mit den Piraten sympathisiert.

Per Stand heute würde es mich jedenfalls nicht mehr überraschen, wenn die Partei über 5% der Stimmen erhält. Das scheint damit der einzige Spannungsmoment der Wahl zu werden. Wer typische Webdiskussionsthreads verfolgen will, der klinke sich in diesen Beitrag des Blogs Fact Fiction oder in diesen Beitrag des Blogs fixmbr ein.

Stefan Mümz September 7, 2009 um 18:34 Uhr

Gegenüber der Piratenpartei wird ganz offensichtlich eine Mauer des Totschweigens errichtet – von den übrigen Parteien, von den (noch) dominanten Medienmächten aus Funk und Presse. Nachdem man die Piraten nicht als verfassungsfeindliche Extremisten abtun kann, versucht man sie einfach durch krampfhafte Nichtbeachtung außen vor zu lassen. Mit scheinbar sachlichen Argumenten wie „hier wird nur über Parteien geredet, die im Bundestag vertreten sind“. Letztlich nützt das alles den Piraten aber mehr als es ihnen schadet. Denn genau das zeigt ja wunderbar die Schwächen und Lügen, gegen die sich die ganze neue Netzbewegung richtet, deren Sprachrohr die Piraten sind. Die Katze beißt sich also in den Schwanz, und Mauern halten nicht, wie man in Deutschland eigentlich wissen sollte.

Ulf September 7, 2009 um 15:33 Uhr

Die Piraten sind eine Gefahr für das Parteiensystem. Sollen die großen Parteien sagen sie seien nicht für die Dinge die im Grundgesetz erwünscht sind. Ein weiteres Problem das die Piraten eine Art Projektpartei sind wobei Projektorganisation etwas kaum bekanntes für die Akteure in großen Parteien ist. Angenommen die Piraten setzen ihre Hauptziele durch, dann gehe ich davon dass sie wieder verschwinden. Aber dann sind Parteien auch nicht mehr so wichtig weil die Demokratie direkter und transtransparenter geworden wäre. Dazu muss man nur mal Durchspielen welche Konsequenzen die Forderungen der Piraten hat. Wie gesagt das ist eine Gefahr für die Machtposition von Parteien über das Volk im Allgemeinen. Da Angreifen negatives Feedback erzeugen würde ist Ignorien die verbleibende Alternative.

dels September 7, 2009 um 08:14 Uhr

Danke für den Kommentar. Aber ich sehe das anders. Es gibt eine Berichterstattung, aber eben kein ausführliche. Das lässt sich leicht über den Link von Google-Trends herausfinden. Im unteren Abschnitt dieser Übersicht werden die Onlinenennungen der Suchbegriffe in Medien gezählt. Dort spielt die Piratenpartei keine Rolle.

Horst September 7, 2009 um 07:51 Uhr

Ist Quatsch, dass so gut wie keine ausführliche Berichterstattung in den Medien stattfindet. Man merkt schon, dass sie den Wahlkampf gar nicht verfolgt haben. Ich habe wie viele Artikel und Berichte im TV über die Piratenpartei gelesen bzw. gesehen.

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