Agency-Probleme zur Erklärung der Dubai-Krise: Abu Dhabi diszipliniert

by Dirk Elsner on 30. November 2009

Die Dubai-Krise hat die Finanzmärkte in der vergangenen Woche überrascht. Noch immer wird gerätselt, wie es dazu kommen konnte. Dabei geht es mittlerweile weniger um die Frage der Zahlungsfähigkeit von Dubai allein, sondern darum, warum die reichen Brüder das Glitzer-Emirat haben fallen lassen. Eine weitere Frage ist, ob diese “lokale” Krise die Zutaten hat, sich global auszubreiten.

Schon lange vermuten Beobachter, dass die Mega-Investitionen (Süddeutsche: “Monopoly des Größenwahns”)  in immer gigantischere Prestigeobjekte in Dubai sich nicht rechnen. Viele Immobilienentwickler in der Region schuldeten internationalen Bauunternehmen hohe Summen. Allein britische Baufirmen, weiß das  Wall Street Journal, hätten Forderungen in Höhe von mindestens 200 Millionen Pfund. Analysten gingen davon aus, dass der Markt wegen des riesigen Überangebots aus den Boom-Jahren noch Jahre benötigen werde, um das Level von 2008 zu erreichen. Obwohl in diesem Jahr Hunderte Projekte storniert oder verschoben worden seien, rechneten Branchenexperten mit einer Verdopplung des Angebots von Büroflächen bis 2011.

Das hat kaum jemand gejuckt, weil hinter den Krediten ausreichend, mittlerweile aber im Wert stark gesunkene Sicherheiten standen und zur Not Gelder aus Abu Dhabi oder Qatar umgebucht wurden. Ausgerechnet dies ist diesmal nicht geschehen.

Über die Gründe habe ich bereits am Freitag spekuliert:

“Erstaunlich an der aktuellen Entwicklung ist, dass das sonst gern einspringende Abu Dhabi diesmal nicht an der Wunderlampe reibt, sondern Dubai in der Wüste stehen lässt. Dass Abu Dhabi selbst derzeit Probleme hat, wird angesichts der vermuteten Ölreserven für unwahrscheinlich gehalten. Fast hat es den Anschein, Abu Dhabi wolle Scheich Mohammed al-Maktum eine Lektion erteilen. Vielleicht hat sich Dubai zu eigensinnig entwickelt und so etwas wie Eifersucht bei den wirtschaftlich deutlich stärkeren Nachbarn ausgelöst.”

Auch die internationale Wirtschaftspresse ist am Rätseln, wie etwa die britische Financial Times (zitiert nach Presseschau des Handelsblatts)

Besonders folgenreich sei die Annahme gewesen, dass Abu Dhabi immer an der Seite von Dubai und den Flaggschiff-Unternehmen stehen werde – inzwischen sei Abu Dhabi aber nicht mehr bereit, bedingungslos den Nachbarn zu helfen. „War das möglicherweise die Rache von Abu Dhabi für die ganzen Fehler von Dubai während der Boom-Jahre“, spekuliert das Blatt.

Irgendwie bleibt aber der Verdacht, Abu Dhabi habe hier ganz bewusst diese Form der Eskalation gewählt. Ein Indiz dafür mag eine Pressemeldung auf der Seite Hallo Abu Dhabi sein, die bereits am 11.11.09 sehr ausführlich über die Finanzierungsprobleme von Dubai World und Nakheel berichtete und den Artikel beendet mit einem Satz, der im Nachhinein sehr zweideutig wirkt: “Wie sich die Situation weiterentwickeln wird, zeigt sich in Kürze.”

Ohne die Verhältnisse in den Emiraten zu kennen, ist aber nachvollziehbar, dass die Schwester-Emirate, zwischen denen eine Art Länder-Finanzausgleich bestehen soll, sich mit Hilfen zurückhalten. Denn Abu Dhabi und andere Schwesteremirate müssen sich mittlerweile fragen, wofür sie denn eigentlich genau haften, wenn Dubais Aktivitäten in komplexen Unternehmensgeflechten und gigantischen Prestigeprojekten versanden.

Wie komplex, macht eine Übersicht des professionellen Finanzblogs Alphaville deutlich. Im Beitrag CSI Dubai versucht Alphaville eine Autopsie des Sicherungsgeflechts um die Baufirma Nakheel, die für viele Milliardeninvestments steht. Hinter Nakheel steht Dubai World, eine der drei großen Holdingfirmen neben der Dubai Holding und der Investment Corporation von Dubai (Quelle Handelsblatt). Dubai World und Nakheel stehen hinter dem schlagzeilenträchtigen Bauprojekt der bewohnten Palmeninseln vor der Küste des Emirats.

Über die Bedingungen, an die Abu Dhabi seine bisherigen Liquiditätsspritzen geknüpft hat, ist aus den verschwiegenen Herrscherhäusern nichts in die Öffentlichkeit gedrungen, weiß die FAZ. “Konsens ist, dass sich die Herrscherfamilie von Abu Dhabi zumindest eine Mitsprache bei wirtschaftlichen Entscheidungen erkauft hat, möglicherweise bereits Aktiva der Staatsunternehmen aus Dubai kontrolliert.”

Ein Blick auf die Agency Theorie könnte erklären, warum das reiche Abu Dhabi nun Dubai einen sehr heftigen und glaubwürdigen Warnschuss verpasst hat. Abu Dhabi steht faktisch gerade für die Aktivitäten von Dubai und deren undurchsichtigen Unternehmensgeflechten. Die Rating Agentur S&P sieht darin ein großes Risiko für Abu Dhabi an, weil es letztlich für Ausfälle haftet ohne aber das Eingehen von Verpflichtungen kontrollieren zu können. Würden Sie ihrem eigenen Sohn ohne eine Prüfung Geld geben? Nein, und wenn es ein Nachbar oder Cousin ist, werden Sie wissen wollen, wofür die Einkünfte genutzt werden, und das gilt in diesem Fall“, zitiert die FTD einen in den Vereinigten Arabischen Emiraten tätiger internationaler Banker.

In Kombination mit den Verhaltensprämissen der Agency-Theorie ergeben sich pointiert formuliert die Schlussfolgerungen, dass Agenten (also Kreditnehmer) ihre eigenen Interessen im Regelfall zu Lasten des Wohlfahrtsniveaus ihrer Prinzipale (Kreditgeber) maximieren, indem sie das ihnen überlassene Kapital verschwenden, in renditeschwache Projekte investieren und Kreditzahlungen nicht oder unzureichend bedienen. Darüber hinaus muss angenommen werden, dass sich die Kreditnehmer nicht ausreichend im Sinne ihrer Kreditgeber anstrengen und risikoaverse Entscheidungen treffen (siehe Literaturhinweis). Unter den Annahmen, begrenzt rationaler, opportunistischer, eigennutzmaximierender Akteure und asymmetrischer Informationsverteilung, ergibt sich folgerichtig ein begründetes Misstrauen der Kreditgeber gegenüber dem Kreditnehmern sowie die Notwendigkeit verhaltensregulierender Überwachungs-, Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen.

Abu Dhabi hat die Konsequenzen gezogen und mit seiner temporären Verweigerung einer Finanzierungshilfe eine Sanktion verhängt, die signalisieren soll, dass man mit der Verwendung der Geldmittel und der Investitionskontrolle nicht einverstanden ist. Das reiche Schwesteremirat sagt Dubai nur noch eine Unterstützung ‚von Fall zu Fall‘ zu. Einen Blankoscheck für das Nachbarland werde es aber nicht geben, sagte ein Regierungsvertreter des weltweit drittgrößten Ölexporteurs am vergangenen Samstag.

Wenn diese vorgenannte These richtig ist, dann wird die Dubai-Krise eher nicht zu einem neuen Aufflackern der Finanzkrise führen. Dennoch, der ungehemmt Boom in Dubai dürfte ausgeträumt sein. Das Emirat hat einen nachhaltigen Imageschaden erlitten. Investoren werden jetzt sehr genau nachrechnen bevor sie etwas in den Sand der Wüste setzen.

Nachtrag

Das Handelsblatt trägt am Abend die Einschätzungen verschiedener Fachleute zusammen, die ebenfalls damit rechnen, dass Abu Dhabi Bedingungen für seine Hilfe stellen wird. Erklärungen aus Dubai selbst oder Abu Dhabi muss man übrigens mit der Lupe suchen. Am scheint man nicht viel davon zu halten, gegenüber den Investoren und Kreditgebern mit offenen Karten zu spielen.

Im Gegenteil. Die Regierung in Dubai verweigerte jegliche Hilfen für die staatliche Holding Dubai World. Die Verantwortung für ihre Kreditentscheidung müssten die Gläubiger schon selbst tragen, zitiert das Handelsblatt einen hochrangigen Vertreter des Finanzministeriums. Die weitere Darstellung dürfte das Investorenvertrauen erheblich und nachhaltig beschädigen:

“Es gebe eine große Verwirrung zwischen der Regierung von Dubai und Dubai World, sagte Abdulrahman Al Saleh, Generaldirektor des Dubaier Finanzministeriums, im Fernsehen. Dubai World sei nicht Teil der Regierung, präzisierte er, auch wenn die Gläubiger dies dächten. „Die Regierung ist der Eigentümer der Firma, aber seit der Gründung ist es so eingerichtet, dass die Firma nicht durch die Regierung abgesichert ist“, sagte er. Die Reaktionen an den Finanzmärkten seien übertrieben gewesen und spiegelten das Ausmaß des Schuldenproblems Dubais nicht korrekt wider.”

Literaturhinweis und weitere Presseberichte

Michael Nippa u. Jens Grigoleit, Corporate Governance ohne Vertrauen? Ökonomische Konsequenzen der Agency-Theorie, Arbeitspapier TECHNISCHE UNIVERSITÄT BERGAKADEMIE FREIBERG, 2006.

FAZ: Dubai Vom Übermorgenland zum Sanierungsfall

NYT: Crisis Puts Focus on Dubai’s Complex Relationship With Abu Dhabi

Spon: Finanzkrise am Golf: Emirate-Zentralbank hilft Dubais Banken

HB: Finanzspritzen: Abu Dhabi gibt sich bei Dubai-Hilfe wählerisch

Cash: Marc Faber: «Gefahren von Dubai sind gering»

Focus: MONEY-Börse Dubai ist nicht Lehman

HB: Dubai-Sorgen: „Die Krise beschäftigt uns nur noch zwei Wochen“

VG: Top 10 der Staatsbankrott-Risiken: Update 26.11.2009

Spon: Emirat in der Krise Abu Dhabi will Dubai-Krise dämpfen

Wirtschaftsquerschuss: „Kreditgetriebene Fata Morgana“

Zero Hedge: Quantifying External UAE And Dubai Loss Exposure

CR: Abu Dhabi and Dubai: Dueling Headlines

Focus: Dubai-Probleme: Auch deutsche Privatanleger betroffen

Zeitenwende: Werfen jetzt die Scheichs das Gold auf den Markt?

Zero Hedge: Dubai Digits

Weissgarnix: Erinnerungen an Schon-Morgen-Pleiteland

NYT: Dubai Debt Woes Raise Fear of Wider Problem

CWD: The bust in Dubai and exogenous shocks

Zero Hedge: Abu Dhabi [Unlikely to Pay All Dubai’s Debts/Graciously Assisting Sovereign Brother] (Select One)

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