Einig über die Unwissenheit der anderen

by Dirk Elsner on 3. Januar 2010

Vor Weihnachten schrieb Berthold Leibinger, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Trumpf GmbH, in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt einen schlauen Satz, der es verdient hervorgehoben zu werden:

Immer ist man sich in der jeweiligen Gruppe einig über die Unwissenheit der anderen.

Leibinger kommentiert mit diesem Satz das typische Verhalten in geschlossenen Fachzirkeln. Diese seien sich meist darin schnell einig, wie wenig Außenstehende vom eigenen Geschäft verstünden. Er weißt dabei auf ein Phänomen hoher Wissensspezialisierung hin, das mir schon häufiger aufgefallen ist und mich manchmal an der von mir bevorzugten Rolle des Generalisten zweifeln lässt:

“Es mag mit den gestiegenen Anforderungen innerhalb unserer Lebensbereiche zu tun haben. Die Vermehrung des Wissens in jedem Feld bringt die Gefahr der Spezialisierung mit sich. Die Mühe, die es macht, das Spezialwissen auf hohem Niveau zu beherrschen, lässt vielfach nicht zu, sich auch noch für anderes zu interessieren.

So kann man mit Sportfunktionären nur über Sport, mit Musikern nur über Musik und mit Politikern nur über Politik reden. Dies wiederum führt dazu, dass Sportfunktionäre, Musiker, Politiker und andere ernsthaft nur noch untereinander reden. Zwar schmückt man sich gelegentlich gerne und publikumswirksam mit Angehörigen der jeweils anderen „Kaste“, aber wenn es dann „ans Eingemachte“ geht, bleibt lieber jede Gruppe unter sich.”

Über die daraus folgenden Konsequenzen denkt er ebenfalls nach. Und ich möchte das auch auf die Gefahr hin, dass Zitierrecht überzustrapazieren, hier widergeben:

“Die Tatsache, dass man bei vielen Gelegenheiten im öffentlichen wie privaten Rahmen immer mit den Gleichen zusammentrifft, führt dazu, dass die Gruppe sich nach einiger Zeit für die Welt hält. Die Meinung, die man aus dieser Weltsicht verkündet, die Aktivitäten, die man von der Außenwelt fordert, sind dann von Unkenntnis und Unverständnis für das Ganze gekennzeichnet. „Im engen Kreis verengert sich der Sinn“, wusste schon Friedrich Schiller.

Eine Gesellschaft, die in Fraktionen zerfällt, die nur noch Innensichten kennt, wird der Komplexität, die das menschliche Zusammenleben erfordert, nicht gerecht werden. Es werden zu viele Partikularinteressen lautstark verkündet. Die Verständigung auf gemeinsame Ziele wird immer schwieriger, wenn nicht unmöglich.

Dies lässt eine Gesellschaft letztlich erstarren. Die Kakofonie der immer auf einer schmalen Wissensbasis geäußerten Meinungen führt dazu, dass keiner der Vorschläge und keine der Forderungen die Billigung aller erfährt. Wenn jeder sich für die Welt hält, bewegt sich diese schließlich nicht mehr.”

Auf ein Problem, das ich als Gefahr der zunehmenden Partikularisierung sehe, geht Leibinger allerdings nicht ein. Schon in der Vergangenheit war es nämlich stets so, dass es Spezialwissen in verschiedensten Fachgebieten und Partikularinteressen gegeben hat. Gleichwohl schien die Kommunikation und die Kooperation zwischen den Fachleuten gefühlt besser zu funktionieren. Mittlerweile ist aber ein “Störfaktor” hinzugekommen, der mehr Gewicht als in früheren Zeiten erhalten hat: Mangelndes Vertrauen!

Der Spezialist, dessen Sprache man nicht versteht und der dennoch für das eigene Unternehmen Leistungen erbringen, steht nämlich mittlerweile unter dem Generalverdacht, ausschließlich seinen eigenen Nutzen im Zweifel sogar zu Lasten seiner Kunden zu maximieren. Dies, so eine gängige These der Prinzipal-Agent-Theorie, fällt um so leichter, je größer die Informationsasymmetrie zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber ist.  Die Neue Institutionenökonomik hat übrigens bereits vor Jahren dieses Problem erkannt und Lösungsansätze entwickelt: Reputation, Signaling und Screening heißen die Schlagworte, die hier aber nun nicht mehr vertieft werden sollen.

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