Das verlorene Jahrzehnt: Das Phänomen “politischer” Entscheidungen

by Dirk Elsner on 4. März 2010

In dem Beitrag “Das verlorene Jahrzehnt: Die große Null der Wirtschaft” geht es darum, dass die westliche Wirtschaft im letzten Jahrzehnt so schlecht wie noch nie abgeschnitten hat. In den USA haben die Wirtschaftsmedien eine interessante Diskussion über “The Lost Decade” in der Wirtschaft angestoßen. In Deutschland widmete der Spiegel dem verlorenen Jahrzehnt eine Titelgeschichte. Der Blick Log schaut ebenfalls auf diese Entwicklungen und ist auf der Suche nach möglichen Ursachen für das schlechte Abschneiden. Eines von vielen Themen, die in dieser Mindmap gesammelt werden, könnte das Phänomen “politischer” Entscheidungen sein.

Dieses Phänomen dürften die meisten Führungskräfte und Mitarbeiter vorwiegend größerer Unternehmen aus der eigenen Praxis kennen. Kompetente Mitarbeiter und Führungskräfte der mittleren Ebene haben ein Konzept und eine sachlich gut begründete Entscheidungsvorlage erarbeitet, die dann überraschend abgelehnt wird. Oft heißt es, dies sei eine “politische Entscheidung”. Man könne das so nicht vorschlagen, weil Bereichsleiter Meier oder Vorstand Müller damit schlecht aussehen würden. Man müsse ja schließlich Rücksicht auf die wichtigen Entscheidungsträger nehmen, die sich ja positionieren müssen.

Offiziell werden solche Begründungen natürlich nie gegeben. Für jeden noch so akribisch ausgearbeiteten Vorschlag findet man im Zweifel einen Ablehnungsgrund, weil die genauen Entscheidungskriterien im Vorfeld gar nicht bekannt sind. Im Zweifel tauchen plötzlich ganz neue Entscheidungskriterien auf (ex-post Rationalisierung nennt man das). Der praktischen Berufserfahrung vieler Angestellter dürfte es aber entsprechen, dass Entscheidungsvorschläge aus Rücksicht auf Vorstellungen und Interessen des jeweiligen Vorgesetzten angepasst werden und so aus welchen Gründen auch immer von der First-Best-Lösung abweichen. Viele Mitarbeiter und Führungskräfte geben dabei schon aus Selbstschutz nach, weil jeder Angestellte Nutzenmaximierer ist und nicht gegen die eigenen Vorgesetzten agieren möchte.

Meist geht es also bei den sogenannten “politischen” Entscheidungen in Unternehmen nicht um die Sache, sondern um persönliche Interessen bestimmter Manager. Und hier steckt ein großes Dilemma und möglicherweise eine weitere Ursache für das verlorene Jahrzehnt in der Wirtschaft. In immer mehr Unternehmen wird bei der Vorbereitung von Sachentscheidungen zunächst auf die persönlichen Interessen einzelner Manager geschaut. Diese Interessen, das hat die Agency Theorie deutlich herausgearbeitet, sind nicht identisch mit den Zielen des Unternehmens bzw. der Anteilseigner.

Guten Anschauungsunterricht dafür liefert in dieser Woche die Telekom. Mit einer gezielten Indiskretionen hat ein Manager aus der Top-Ebene des Konzerns das Handelsblatt mit Informationen über die neue Strategie des Unternehmens versorgt. Dazu gab es gleich die entsprechende Bewertung, die das Blatt zu der Überschrift veranlasste: Telekom-Strategie 2.0: Obermanns Plänen fehlt der Biss.

Tatsächlich lässt sich die Qualität der neuen Strategie anhand des Artikel gar nicht beurteilen. Sogenannte “Experten”, die auf Basis von Schlagworten eine Einschätzung geben, schaden so dem Unternehmen (haben aber durch die öffentliche Erwähnung einen persönlichen Nutzen ). Es gibt nicht wenige Unternehmen, die eine Strategie in erster Priorität auf die Öffentlichkeitswirkung abklopfen. Erst in zweiter Linie geht es dann um die Frage, ob die Strategie auch betriebswirtschaftlich Sinn macht. Öffentlich einräumen würde das natürlich niemand.

Die interessante, wohl aber nicht beantwortbare Frage dürfte sein, wie hoch der Anteil der so verloren gegangenen Wertschöpfung in Unternehmen eigentlich ist? Meine These, je größer das Unternehmen, je heterogener die Entscheidungsstrukturen, desto größer sind die so entstehenden Wertverluste “politischer” Entscheidungen.

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