G20-Gipfel in Seoul verstehen: Über die widersprüchlichen Forderungen der Politik an die Finanzmärkte

by Dirk Elsner on 12. November 2010

Heute geht der G-20-Gipfel in Seoul zu Ende (Live Ticker hier). Glaubt man dem medialen Begleitrauschen, dann steht diesmal der „Kampf der Währungen“ und der US-Geldpolitik im Mittelpunkt. In den Hintergrund wird dadurch die das Gezerre um die Fragmente einer neuen Finanzordnung gedrängt. Immerhin hat man sich auf die Geltung des hochkomplexen und umstrittenen Regelwerks Basel III geeinigt. Insgesamt darf dies aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Staaten der G-20 mit unterschiedlichsten Konzepten die Finanzmärkte „aufräumen“ wollen. Von der rhetorischen Geschlossenheit Herbst 2008 ist nicht mehr viel zu spüren.

Leser dieses Blogs wissen, dass sich die Politik schwer mit der Regulierung der Finanzmärkte (siehe Mindmap zur neuen Finanzordnung). Das Bild, was die politischen Meinungsführer national und international hierzu vermitteln, wirkt, vorsichtig ausgedrückt, sehr fragmentiert. Vom einheitlichen Vorgehen, wie einst kurz nach dem Lehman-Desaster mit viel Pathos beschworen, ist nichts mehr zu sehen. Der Politik fehlt ein einheitliches Leitbild für die Finanzmärkte und die politischen Forderungen und Wünsche, selbst wenn sie von einem Akteure stammen, sind zu sehr von lokalen und nationalen Interessen und Lobbyarbeit geprägt sind. So kann kein rundes Konzept entstehen.

Ein gutes und unfreiwilliges Beispiel dafür bietet die Lektüre eines Beitrags des Hessischen Wirtschaftsminister, Dieter Posch, in der Börsenzeitung. Er fordert etwa, die Repräsentanten des Finanzplatzes Frankfurt sollen sich für Rahmenbedingungen der Finanzindustrie einzusetzen, „die den hohen Ansprüchen des Finanzplatzes gerecht werden“. Daran sollen sich nicht nur die Vertreter der Finanzdienstleister orientieren, sondern auch die hessische Landesregierung und ebenso die Bundesregierung.

Neben diesen lokalen und nationalen Interessen solle die nationale und europäische Regulierung bei der Eingriffstiefe ihrer Maßnahmen nicht nur die Finanzmarktstabilität im Auge haben, sondern auch die Funktionsfähigkeit der nationalen Märkte und Finanzsysteme sichern und bewahren müssen.

Posch fordert also, sich für den Standort Frankfurt einzusetzen und gleichzeitig die Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzmärkte zu berücksichtigen. Gleichzeitig wendet er sich gegen nationale Alleingänge, die nicht europäisch oder gar global abgestimmt sind, unterstützt aber nationale Ausnahmeregelungen für Förderinstitute, Bürgschaftsbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken. So hätten diese Institute von der Bankenabgabe ausgenommen werden sollen, weil sie die Finanzkrise nicht zu vertreten hätten und die Märkte sogar stabilisiert hätten. Das ist so, als wenn man eine lokale Geschwindigkeitsbegrenzung nur für Audi-Fahrer einführen wolle. Folgt man diesem Argumentationsmuster, hätte es außerdem keine Regulierung für Hedgefonds geben dürfen.

Den Widerspruch zwischen internationaler Abstimmung, lokalen Ausnahmen, Förderung eines nationalen Finanzplatzes und internationaler Stabilisierung löst Posch, wie übrigens auch kein anderer Politiker, auf. Immerhin ist ihm bewusst, dass die Finanzindustrie und die Investoren global Entscheidungen treffen und Regulierungs- und Aufsichtsarbitrage für sich gewinnbringend nutzen.
Posch räumt daher ein, dass die Balance zwischen den Einzelinteressen der Marktteilnehmer und dem öffentlichen Interesse eine anspruchsvolle Aufgabe ist. Damit hat er zweifellos Recht. Tatsächlich verschweigt er aber, dass dieser quadrophone Spagat nicht möglich ist.

Wie gesagt, Dieter Posch ist hier nur Beispiel, weil er dankenswerterweise in einem Textbeitrag die zahlreichen Widersprüche vereint hat. Er kommt am Ende zu der Forderung, die Stabilität des Finanzsystems müsse oberstes gemeinsames Ziel sein. Dieses Prinzip, das so aufgeschrieben inhaltsleer bleibt, unterstreichen stets auch die G-20-Vertreter. Poschs Ausführungen zeigen aber, dass ein klares Verständnis für die Funktionszusammenhänge auf den Kapitalmärkten fehlt. Und dies gilt ebenfalls für die G-20-Vertreter.

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