Gastbeitrag von Marsman*
Jetzt seht der Termin für Neuwahlen in Irland also endlich fest. Ende Februar soll es Wahlen geben, nachdem die Regierung die ganze Zeit lang alles getan hatte, um die Wahlen so lange hinauszuschieben wie möglich.
In Irland wurde in den Jahren bisher alle möglichen Unsitten etwas exzessiver kultiviert als in anderen Ländern, dementsprechend sind die daraus resultierenden Schulden proportional gesehen um einiges grösser als anderswo. Hier nun ein paar Aspekte und Facetten dessen was in der letzten Dekade so gelaufen ist. Da gibt es als schwer wiegenden Faktor die Fehlentwicklungen im Immobiliensektor. Es gibt geschätzte 330 000, wenn nicht etwas mehr, lehrstehende Häuser und Wohnungen, das sind 17 % aller Einfamilienhäuser und Wohnungen wovon mindestens 170 000 einer schon älteren Studie zufolge als echter Exzess zu werten sind. Dieses Überangebot an Wohnungen ist denn auch einer der Mühlsteine, die der irischen Ökonomie als Schulden jetzt am Hals hängen.
Ganz allgemein gilt dass die Preise für Eigenheime viel zu hoch sind und das gilt natürlich auch für diese ghost estates, wie sie jetzt genannt werden. Im Vergleich zum nahen Nordirland waren Wohnimmobilien mindestens doppelt so teuer. Das hat mit der fatalen Gier der Bauunternehmer der letzten Dekade zu tun. Etliche Jahre lang gab es in Irland proportional gesehen die höchste Zahl an Hubschraubern für den Privatgebrauch. Diese Mode des privaten Choppers grassierte auch unter den nunmehr meist bankrotten Bauunternehmern und Handwerkern. Es gab sogar einige Installateure, die einige Zeit lang per Helikopter reisten.
Natürlich hatten diese Unternehmer auch einen entsprechenden Autopark. Nicht irgendwelche Autos, nein, sondern die ganze Palette Luxusautos. Je teurer um so besser. Das waren die demonstrativ zur Schau gestellten Symbole. Ich persönlich hatte etliche Jahre deswegen immer wieder mal so was wie Flashbacks. Mir kamen, fast wie im einem Trancezustand, immer wieder die Schweizer und die dortigen Unternehmer und deren Sitten und Gebräuche in den Sinn. Wo die armen und bescheidenen Schweizer Unternehmer zu Fuß gehen da reisten die plötzlich reich gewordenen Bosse per Helikopter.
Neben grundsätzlichen überhöhten Preisen zeichnen sich diese ghost estates oft genug durch einen ganz einen ganz Wust an Problemen aus. Da wurde im einen Fall im Überschwemmungsgebiet ohne Baugenehmigung gebaut wie auch sehr häufig durch miserable Raumgestaltung mit viel zu kleinen Kinderzimmern etwa ein permanentes Ärgernis und Probleme geschaffen. Und überhaupt, insgesamt gesehen, können die Verkäufer dieser Immobilen den Kunden wohl dies garantieren: wer nicht Suizid gefährdet ist wird es mit dem Einzug in eines dieser irre teuren Heime. Wer noch nicht Alkoholiker ist oder drogenabhängig, der wird es. Die architektonische Gestaltung insgesamt kann in vielen Fällen wohl als wirklich mustergültig trostlos gelten. Die Leute, die das alles in die Welt setzten waren ausgesprochene Talente des Absurden und Grotesken. Das einzige wozu eine ganze Menge dieser Geisterorte taugen ist als Filmkulisse für Psychothrillers und Horrorfilme. Jack Nickolson würde mit seinem herrlich irren Grinsen hervorragend auf etwaige Verkaufsbroschüren passen, oder in einer Hauptrolle so einen Bauunternehmer spielen. Das wäre eine Bombenrolle für ihn.
Mittlerweile sind sehr viele Bauunternehmer und Bauträger bankrott. Vor einiger Zeit belief sich die Zahl derer, die Selbstmord verübt hatten, auf neunundzwanzig. Sehr viele Helikopter wurden auch mittlerweile verkauft, sind wieder außer Landes. Der Bankrott all der Bauunternehmer wurde zu recht oft genug als notwendig empfunden, das hätte schon sehr viel früher passieren sollen, meinen viele. Oft genug ist die Rede davon diese Geisteranlagen wieder abzureißen.
Viel wurde in der letzten Dekade vom Celtic Tiger geredet. Im wesentlichen handelte es sich bei diesem Gerede um endlosen Quatsch, um Pseudosoziologie und -psychologie. In Wirklichkeit wurde Unsinn aus Amerika kopiert und nachgeahmt. Das waren die Religion des Shoppings, der Kreditkarten und dem Glauben dass arm sei wer keine Schulden hat. Und dass der nationale wie der individuelle Reichtum mittels ständig steigender Immobilienpreise und damit, neben anderen, dem Wert des Eigenheimes zustande kommen würde. Es war eine Manie, ein Massenwahn, der auch in Großbritannien grassierte.
Es war ein Wettbewerb der Narren der dazu einsetzte. Ein Narrenrennen, dass erst durch die Banken, deren Kreditstrategien, in diesem Ausmaß möglich gemacht wurde. Und dies machte den Irrsinn denn auch aus: dass diese Businesstypen nicht wie kaufmännisch üblich eien guten Preis zu erzielen trachteten sondern sich ganz im Gegenteil dadurch gefielen dass sie die Preise in die Höhe trieben, sich wegen dieser fraglichen Gebarung anschließend groß selber lobten und das damit rationalisierten, dass dadurch eben der Wert ihrer Immobilien, ihres Portfolios, entsprechend an Wert gewonnen hatte. Dieses verrückte Gebaren, den eigenen
Nachteil zu steigern und zu maximieren wurde eine Zeitlang ziemlich krass betrieben. Mit genau dieser desaströsen Gebarung zeichnete sich auch die Regierung die ganzen Jahre hindurch aus. Auf diese Weise feierten irische Banker eine Weile grosse Erfolge auch in England wie in den USA. Sie waren wohl für jene die davon profitierten die willkommene Narren. Natürlich kommt so ein Delirium zu mehreren (im Sinne Goethe) nicht so einfach zustande. Dazu bedarf es, wie der Leser wahrscheinlich schon vermutet, der Medien als Produzenten der Hype, der falschen Euphorie, als Pseudoökonomen und sonst endlos Quatschende.
2005 oder 2006 übertrafen die Medien mit ihrem Stil beispielsweite die Medien in den arabischen Emiraten, den Golfstaaten, bei weitem. Das sind immerhin Medien die sich an Konsumenten richten von den so manche, die Ölscheichs, es schon mal schwer haben wenigstens ein bisschen von ihrem Geld los zu werden wenn sie einkaufen gehen. Und denen die Preise bei solchen Anlässen wirklich egal sind, etwas, das gar nicht erwähnt werden darf. Das Dubai Chronicle zum Beispiel, deren life & style Teil war all die Jahre weitaus zurückhaltender, regelrecht laid back, als die irischen Medien. Diese kultivierten ein Selbst- und Weltverständnis a la Thorsten Veblen’s "Theorie der feinen Leute" (hier in Englisch als freies Gutenberg eBook). Conspicious consumption, wie es in den USA bekannt ist und voll als Konzept von der Werbeindustrie übernommen wurde, war das große Motte. Das heißt der demonstrative Müßiggang, der Verschwendung als Reichtumsbeweis. Die auf die Frauen gerichtete Werbung in Irland (wie auch anderswo) kannte dementsprechend budget mums (sparsame Frauen, Mütter) und spending mums (verschwenderische Frauen, Mütter). Den dafür empfänglichen Frauen, ebenso wie den Männern, wurde beigebracht dass sie die Prinzessin (bzw. Prinz) auf der Erbse seien, alles was sie zu tun hätten wäre ihre Launen zu kultivieren und schon würde, so garantierten es die Medien, einfach alles ihren Launen gehorchen. Angefangen vom Wetter und vor allem den Zahlen und Beträgen des Bankkontos würde sich alles den Launen anpassen.
Mittlerweile ist es so, dass auch das Leben junger Menschen sich als voller Überraschungen und Erfahrungen im negativen Sinne erwies. Vor einigen Jahren, als die Bankenkrise begann, erkundigten sich Teenager bei den Älteren immer wieder, ob das denn wirklich möglich sei, das wirklich passieren kann. Es war nicht ihre Schuld, dass ihnen stets wesentliches Wissen vorenthalten wurde und sie statt dessen zu jeder erdenklichen Art von Zeitverschwendung angehalten wurden. Reichlich erstaunt erfuhren sie so, dass es Bankenpleiten schon immer wieder mal gegeben hatte, so was keineswegs neu. Sie mussten erleben wie sich das, was als totsicherer und ewigwährender Zustand vermittelt wurde sich in Nichts auflöste. Das Gefühlt der materiellen Sicherheit erwies sich innerhalb relativ kurzer Zeit als trügerische Idylle. Für viele gibt es der mangelnden Aussicht auf Arbeit nur mehr die Emigration in andere Länder.
So wie die Situation ist, nämlich wirklich aussichtslos in sehr vielen Fällen, weil es ganz einfach keine Jobaussichten gibt, ist dies auch verständlich. Auch Deutschland ist für manche Arbeitssuchende interessant. Die selben Medien, die vor einigen Jahren mit ihrer Hype und reichlich problematischen ökonomischen Ansichten und Meinungen so etwas wie einen Massenwahn zustande brachten, machen nunmehr voll auf "Bad news is good news", wollen weiterhin, und zwar als "guides in tough times" in den kommenden Jahren aktiv sein. A crisis everywhere except in the Irish media war denn auch der treffende Titel einer Kritik. Kaum erwähnt in den Medien wird, wie eigentlich nicht anders zu erwarten, das Ende der einst von hoch gejubelten irre teuren früheren Partyszene in Dublin und den Partys der Stars.
* Marsman hat seinen Hauptwohnsitz in Irland hat und ist dort gut mit der Wirtschafts- und Medienszene vernetzt
Jahrelang war Irland sollte Irland das Vorbild für Deutschland sein. Das dort auf einem sehr wackligen Fundament gebaut wurde, wollte einfach niemand sehen. Es fängt schon bei der Behauptung an, dass die Steuern niedrig sein. Das stimmt schon, aber dafür lässt sich Irland auch aus Brüssel Ersatzeinnahmen schicken. Nun wissen es all die Experten natürlich wieder besser.
Danke für den erhellenden Beitrag.
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