Sich ständig wiederholende Kritik an Ratingagenturen ermüdet

by Dirk Elsner on 11. Juli 2011

Die Ratingagenturen stehen wieder einmal am Pranger. Mich ermüdet diese Debatte, trotz oder vielleicht gerade weil sich nun auch der Bundespräsident bemüßigt sieht, den Druck auf dem Kessel zu erhöhen. Alle jetzt wieder hochgekochten Vorwürfe sind uralt. Zigfach haben sich Politiker und Aufsichtsbehörden über die Bonitätsmechaniker beschwert. Ich halte das weiterhin für ausgemachten Populismus und eine Ablenkungschlacht, wie mittlerweile die Wirtschaftspresse mehrfach diagnostiziert hat.

Im Winter 2010 diskutierte der Bundestag relativ lustlos in einer Debatte über die Beaufsichtigung von Ratinggesellschaften. Ein Blick in den in diesem Beitrag dokumentierten Gesetzentwurf lohnt nicht. Damals hatte sich die Aufregung aus der heißen Phase der Finanzkrise 2008/09 gerade gelegt und Griechenland stand erst vor der Tür.

Die Ratingagenturen stehen unter Beschuss, weil sie als Überbringer schlechter Nachrichten, so der Vorwurf, die Krise verschärft hätten. Richtig ist, dass Wächter über die Kreditwürdigkeit haben in der Finanzkrise 2007 – 2009 eine blamable Rolle mit ihren Fehlurteilen gespielt. Aber diese berechtigte Kritik an den Fehleinschätzungen, die ja keine objektiven Urteile sind, sondern Meinungen, darf jetzt nicht dazu führen, dass wieder Gefälligkeitsratings eingefordert werden. Wenn man kein Rating von Moodys, Standard & Poors oder Fitch möchte, dann beauftragt man die Agenturen einfach nicht.

So könnte Bundesfinanzminister Schäuble sehr wohl für das Rating der Bundesrepublik auch andere Agenturen zu beauftragen oder ganz darauf verzichten. Natürlich macht er das nicht, weil das Deutschland bares Geld kosten würde. Die großen Investoren und institutionellen Gläubiger treffen trotz aller Schwächen ihre Anlageentscheidungen auch auf Basis der Urteile der Ratingagenturen. Ökonomisch interpretiert lässt sich daraus folgern, dass es am Markt derzeit keine besseren Urteile gibt und die eigene Urteilsbildung für eine Vielzahl von Emittenten zu kostspielig ist.

Verwunderlich ist außerdem, dass in der deutschen und europäischen Politik und Wirtschaft seit mindestens 20 Jahren über die Etablierung einer europäischen Rating-Agentur gequatscht wird. So forcierte etwa 1991 der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, die Gründung einer europäischen Ratingagentur*. Außer hinausgeworfenen Beraterhonoraren für ein paar Konzeptstudien ist bisher nichts passiert. Das Gegenteil ist der Fall. Ralf Drescherschreibt dazu im Blog Global Markets:

„Die Finanzwelt selbst hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in eine absurde Abhängigkeit von Ratings begeben: Banken, Pensionsfonds und Versicherer bauen ihre Anlagerichtlinien auf Ratings auf, Regulierungsbehörden fordern dies sogar explizit  und Notenbanken wie die EZB knüpfen  ihre Anforderung für Notenbankeinlagen ebenfalls an die Ratings von S&P, Moody’s und Fitch.“

Gern übersehen wird, dass die Politik die Rating-Agenturen ihre herausragende Stellung vor allem durch Basel II erst verschafft. Dieses Regelwerk koppelt externe Ratings an die Eigenkapitalausstattung und künftig mit Basel III übrigens auch an die Liquiditätssteuerung. Die Börsen-Zeitung geht sogar noch einen Schritt weiter und fordert: „Die Euro-Länder sollten deshalb den Spieß umdrehen und die Ratingagenturen herunterstufen – indem sie deren Urteile als verbindliche Orientierungen aus vielen Gesetzen und Vorgaben streichen und andere Bewertungen alternativ heranziehen.“ Mit der Umsetzung von IFRS 9 bereitet sich die Finanzbranche übrigens derzeit darauf vor, die Bedeutung des Ratings weiter zu festigen für die Bewertung von Finanztiteln.

Interessant, dass trotz des Lärms die publikumswirksam geforderte “harte Regulierung” gegen die Bonitätswächter in der Praxis ständig aufgeweicht wird, wie jüngst in den USA. Und laufend, wie etwa 2010, ruft die EU-Kommission Ratingagenturen zur Verantwortung auf und tut sich in der Umsetzung von Maßnahmen entsprechend schwer, wie diese Übersichtsseite der EU-Kommission zeigt.

Ratinggesellschaften liefern Meinungen und im besten Fall ein paar Informationen über die künftige Zahlungskraft von Schuldnern. Wie genau die Bonitätsjäger zu ihren Urteilen kommen, ist ihr Geschäftsgeheimnis. Klar ist aber, dass sie methodische Fehler machen. Diese liegen auch darin begründet, dass ihre Verfahren zu wenig die Komplexität der Realität berücksichtigen. Nassim Nicholas Taleb würde vermutlich sagen, wir bewegen uns bei Vorhersagen der Rating-Gurus im 4. Quadranten, in dem gar keine Vorhersagen möglich sind (dies zu vertiefen, hebe ich mir für einen anderen Beitrag auf).

Eigentlich müssen die Rating-Agenturen weder von der Wirtschaftspresse noch von Blogs in Schutz genommen werden. Sie stärker zu regulieren unterstreicht nur ihre Bedeutung. Diese Bedeutung können den Angenturen nur die Marktteilnehmer selbst nehmen und die Rechtssetzer, in dem sie die Bedeutung von Ratings in Rechtsnormen deutlich reduzieren. Die Ökonomiekassandras  sind privatwirtschaftliche Unternehmen, die in erster Linie ihren Gewinn und Marktwert maximieren wollen und müssen. Andernfalls steigen ihnen ihre Aktionäre, allen voran Warren Buffett, der größter Einzelaktionär von S & P ist, auf die Landeplätze der Wolkenkratzer.

Wer sich vertieft einlesen will in den Bedeutungsgewinn von Ratings, dem empfehle ich einen Blick in die Dissertation von Sven Olaf Eggers über “Wettbewerbs- und kartellrechtliche Probleme von Ratings”. Ein Update zu der aktuellen Debatte hat Andreas Buschmeier für seinen Blog All about Bank unter dem Titel erstellt: Weinkenner, Kunstkenner, Ratingagenturen

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* Quelle: Gefunden in dem Buch: Der politische Einfluss von Rating-Agenturen, S. 34 Fußnote 62. Siehe außerdem: Wolf Klinz (FDP-Politiker) auf seiner Webseite zu verschiedenen Versuchen über die Gründung einer europäischen Rating-Agentur

Bruegel Juli 13, 2011 um 21:56 Uhr

Die größte Kritik an den Ratingagenturen kommt von jenen, die sie am meisten fürchten: die politischen Vertreter europäischer Staaten: kann es sein, dass sie in Wirklichkeit die Folgen ihres eigenen Tuns fürchten?
Interessant die Gedanken von Nigecus: wenn Ratings das Ergebnis einer Kreditprüfung sind, müßten wir dann nicht einheitliche Standards in de Kreditanalyse formulieren? Bei allen Unzulänglichkeiten die dabei entstehen (z.B. die fatale Hörigkeit auf Credit VaR vor der Finanzkrise) bleibt uns weder den Rechnungslegungsvorschriften noch bei Ratingverfahren die Suche nach gemeinsamen Standards erspart. Das wird auch künftig nicht ohne eine Unmenge an Daten möglich sein: und genau hier haben die Big 3 die Nase vorn. Das nimmt nicht die Verantwortlichkeit der einzelnen Bank oder des Investors, ein eigenes Urteil zu finden und darf auch nicht dazu führen, nur noch in Datenmodellen zu denken, wie es die Aufsicht nach wie vor fördert. Am Ende muß jeder mit dem Risiko leben, für das er sich bezahlen läßt. Das gilt auch für Europäische Finanzminister, die leichtfertig jene Schulden aufgetürmt haben, die jetzt die schlechten Ratings verursachen. Wie es in den Wald hineinschallt, so hallt es auch wieder heraus.
Bedauerlicherweise zeigt sich im deutschen Mittelstand ein ähnlich leichtfertiger Umgang mit der eigenen Bonität – auch ohne Rating Agenturen wird hier zuweilen sehr nachlässig mit den eigenen Bonitätstreibern umgegangen, wie wir auf http://www.finpoint.de immer wieder auch sehen. Leider.

dels Juli 14, 2011 um 18:32 Uhr

Interessant in diesem Zusammenhang auch die Forschungsarbeit, die Olaf Storbeck im Handelsblog vorstellt. Unter Mehr Wettbewerb zwischen Ratingagenturen? Nicht unbedingt eine gute Idee ist zu lesen, dass mehr Wettbewerb gar nicht unbedingt gut sein muss für „richtige“ Rating-Noten.

nigecus Juli 11, 2011 um 19:46 Uhr

In der Tat „uralt“. Ich glaube die niederländische EU-Kommissarin hat angemerkt, dass die Politik (die sich eben beschwert) selber Schuld ist, weil es ja (dieselben) Politiker sind, die Ratings in Basel II, III, Solvency II, etc. und den entsprechenden nationalen Gesetzen (z.B. SolvV, KWG, etc.) einbetonieren.

Eine Kritik an Ratings seitens Politiker ist Kritik an die eigene Faulheit Gesetze zu ändern.

Am Ende stoßen Politik und Behörden (EZB, EBA, EIOPA, ESMA, Bafin, etc.) immer dem Problem, was eine Alternative zu Ratings der Big-3 sind. So ein Rating ist nämlich eine Kreditprüfung, und zwar eine ausgelagerte/eingekaufte Kreditprüfung. Und da man ohne Ratings selbst die Kreditprüfung machen müsste (Interne Ratings), nehmen die Behörden lieber doch die Ratings der Big-3.

Ich denke, dass man Ratings nicht in Gesetze schreiben darf. Über durch Ratingmigration verursachte Fire Sales freuen sich nur unrelierbare Hedgefonds (ich meine solche die auf AIFM pfeifen… und die Top-Sales der IBs richtig glücklich machen). Die Dummen sind dann tatsächlich nur diejenigen bei irgendwelchen Stresstestspielchen, EK-Formelchen auf die Big-3 Ratings setzen müssen… weil es der Gesetzgeber so vorschreibt. Ratings sind toll als dritte Meinung, aber in Gesetzen purer Schwachsinn (weil es den „Investoren“ in den Glauben lässt nichts mehr selbst bewerten/beurteilen zu müssen… was dann auch so kommt… da brauche ich mir das hirnlose Dummgequatsche Ratingverliebter Kollegen anzuhören… „Aber da steht doch ein AA drauf“ Manchmal habe ich den Eindruck in einer Kirche zu arbeiten).

Ich kann nur auf den Artikel http://actuary-info.blogspot.com/2011/06/impact-or-probability.html hinweisen. Genauso funktioniert prinzipiell bspw. Moody’s BET Modell (und alle seine Varianten). Damit Kreditmärkte funktionieren braucht man so simple, statische Prob*Impact Modelle, weil ansonsten kein Schwein einen Kredit bekommt. In (riskanten) Kreditmärkten muss man enormen Verlustrisiken einfach leben, und konsequent nach den Risikokonzentrationen und ungeahnte Querverbindungen suchen (vor allem nicht-lineare… und die Augen nach dem Offensichtlichen offenhalten)… Das blöde an simplen Kreditmodellen (worüber fast die ganze Quant-Mainstream-Literatur handelt), dass sie einfach „zu stark“ die Realwelt abstrahieren, und blöderweise genau dort wo die für Kreditmärkte typischen Risiken liegen. Da hilft es nicht auch noch Kindergartenmodelle von Moodys, S&P, etc. gesetzlich auch noch vorzuschreiben. Die „Investoren“ sollte lieber wieder anfangen ihr eigenes Gehirn einzuschalten.

dels Juli 11, 2011 um 22:10 Uhr

Danke für den Link und den Kommentar.
Fairerweise sollte wir aber dazu sagen, dass das Einbetonieren des Ratings in diverse Gesetzesnormen auch von der Lobby der Finanzbranche stark forciert wurde.

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