Kakophonie der Wirtschaftselite mit Vorschlagsflut zur Lösung der griechischen Schuldenkrise

by Dirk Elsner on 21. Juli 2011

Heute treffen sich die Regierungschefs der Eurostaaten zu einem Sondergipfel in Brüssel, um eine Lösung der griechischen Schuldenkrise zu finden. Es ist in den letzten Wochen viel zu viel geredet, gedroht und Panik gemacht worden. Ich habe schon lange die Lust an der Lektüre der ewigen Warnmeldungen verloren oder betrachte sie nur noch unter anekdotischer Perspektive. Und ich mag im Vorfeld weder über irgendwelche Lösungsvorschläge spekulieren, noch die Spekulationen kommentieren. Mir reichen die permanenten Pseudodrohungen, wie etwa die des Ex-EZB-Chefökonom Issings, der die Angst vor einem Gau schürt oder der griechische Finanzminister, der einen globalen Schock befürchtet, wie bei der Lehman-Pleite.

Inhaltlich habe ich ganz große Zweifel an der Substanz vieler Äußerungen und frage mich mittlerweile mit welcher Kompetenz hier überhaupt Politik und Vorschläge gemacht werden. Denn selbst wenn zu einzelnen Äußerungen eine plausible Begründung geliefert wird, so zeigt allein die Vielzahl der Reaktionen und Vorschläge, dass mindestens 2/3 der Äußerungen für den Rundordner sein müssen, weil sie zu unterschiedlichen Vorschlägen mit unterschiedlichen Folgen kommen und jeweils andere Vorschläge mit einer Drohung versehen.

Fällt es überhaupt jemanden auf, wie viele unterschiedliche Vorschläge die Wirtschaftselite aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in den letzten Wochen zur vermeidlichen Lösung der Schuldenprobleme produziert hat. In der Mindmap zu Schuldenkrise habe ich vor einigen Wochen begonnen, in dem Ast rechts oben verschiedene Vorschläge zu sammeln. Es ist erstaunlich, was da zusammen gekommen ist. Dabei sind hier längst nicht alle Vorschläge zusammen getragen, die in den “Thinktanks” der Entscheidungsträger entstehen.

Die Vorschläge fallen so stark auseinander, dass man sich fragen muss, warum eigentlich die mit Sachverstand ausgestattete Wirtschaftselite auf Basis der ökonomischen Wissenschaft in solch ein babylonischer Sprachgewirr abdriften konnte. Die ökonomische Wissenschaft sollte sich fragen, warum sie nicht in der Lage ist, auf Basis ihrer überarbeiteten Modelle klare Handlungsalternativen mit den jeweiligen Konsequenzen aufzuzeigen. Die Finanzkrise 2007 bis 2009 war schon ein Desaster für die Ökonomen. Die Unfähigkeit, mit klaren Empfehlungen konsens- bzw. mehrheitsfähige Empfehlungen abzugeben, unterstreicht offenbar die überforderte Ökonomie.

Daneben hat sich in den letzten Wochen der Eindruck verfestigt, dass die mehr oder weniger plausiblen ökonomischen Erklärungen nur die jeweiligen persönlichen Interessen verschleiern, wie diese etwa André Kühnlenz für den Vorschlag der Commerzbank zur Beteiligung der Gläubiger heraus gearbeitet hat.

Egal, was heute oder morgen das Ergebnis sein wird. Gefühlte 15 Minuten nach der Bekanntgabe der Lösung, wird sie auseinander genommen werden. Ich langweile mich jetzt schon angesichts der ersten “Expertenwarnung” in einem der Medien. Vielleicht sollte man den Spieß einfach einmal umdrehen und den zum Verlierer stempeln, der die erste negative Stellungnahme eines “Experten“ herausbringt.

Ich vermisse übrigens in der gesamten Vorschlagsarie eine ganz zentrale Idee: Den Ansatz rein gar nichts zu tun und die Regelung einfach den „Märkten“ zu überlassen.

nigecus Juli 21, 2011 um 19:42 Uhr

Nichts Tun wäre hinsichtlich der Anreizproblematik das einfachste und sinnvollste. Nur schreien dann sofort Stimmen der Euro breche auseinander, Weltwirtschaft, usw. Ohne Konsequenzen lernt der Mensch nicht. Ohne Lernen, keine Anreize es bei nächsten mal besser zu machen.

Wirtschaftsphilosoph Juli 21, 2011 um 07:47 Uhr

Was ist schlecht daran, wenn zu wichtigen Themen viele Vorschläge gemacht werden? Für eine Entscheidung sollte die Diskussion dann natürlich möglichst zu einem besonders guten Vorschlag oder auch Kompromiss führen. Meiner Ansicht nach sind sich die meisten Ökonomen in den Grundzügen durchaus einig, z. B. dass Griechenland einer Umschuldung bedarf, „nur“ die Details sind noch unklar und die Politik ist noch nicht überzeugt.

„Kakophonie“ und eine „unübersehbare Anzahl an Vorschlägen“ bekämpft man wohl kaum damit, dass man noch einen weiteren Vorschlag unterbreitet. Inhaltlich finde ich Ihren Vorschlag auch nicht so richtig überzeugend. Wenn die Politik gar nichts mehr tut, befindet sich Griechenland sofort in einer ungeordneten Pleite. Eine Umschuldung sollte dagegen einigermaßen geordnet ablaufen. Dafür gibt es mehrere sinnvolle Alternativen. In meinem heutigen Blog-Eintrag werde ich ein Insolvenzverfahren für Staaten empfehlen.

dels Juli 21, 2011 um 08:04 Uhr

Der Ansatz, nichts zu tun, ist kein Vorschlag von mir. Aber er wäre eigentlich die Benchmark, um die anderen Vorschläge zu messen. Mein Erstaunen bezieht sich vor allem darauf, dass es so viele unterschiedliche Empfehlungen gibt. Und ökonomisch ist es ein Riesenunterschied, wie man eine Umschuldung durchführt: Wir sprechen ja aktuell von einer Umschuldung mit staatlicher Intervention. Würde man gar nichts tun, gäbe es ebenfalls eine Umschuldung, die Schuldner und Gläubiger miteinander vereinbaren müssten.
Die Kakophonie bezieht sich vor allem auf die Äußerungen in der Öffentlichkeit, die ja oft aus der Politik kommen.

enigma Juli 21, 2011 um 02:29 Uhr

„Den Ansatz rein gar nichts zu tun und die Regelung einfach den “Märkten” zu überlassen.“

Das kann man tun. Und zwar mit einer „kleinen“ Vorbedingung, daß die Ausgangspositionen dafür – so etwa wie sie in den EURO-Bedingungen mal festgelegt waren – einerseits wiederhergestellt und andererseits von ihrem Fundamentalfehler gesäubert werden.

Ganz salopp kann man es so sehen: es gab einen großen Irrtum, der darin bestand, daß für alle Teilnehmer der EURO-Zone die gleichen Bedingungen, sprich der gleiche Zinssatz gelten müsse. Zumindest war das – wie es gelegentlich geäußert wird – das politische Ziel des EURO. Das hat dazu geführt, daß alle EURO-Zentralbanken die gleichen Refinanzierungsbedingungen haben, obwohl sie, was die Gewährung von Kredit angeht, unterschiedliche Bonitätsvorstellungen pflegen. Und das auch noch – wie die TARGET-Debatte gezeigt hat – unter der Prämisse, daß die EURO-Zentralbanken untereinander offenbar einen unlimitierten Kredit zu identischen Konditionen in Anspruch nehmen können. Ich gehe mal davon aus, daß die Bundesbank in Kenntnis der schlechten Bonitätsstandards der PIGS-Länder diese Refinanzierungsfazilitäten wenn überhaupt niemals zu 1% gewährt hätte. Denn im Grunde genommen besteht auch zwischen den EURO-Zentralbanken ein Interbankenmarkt, der normalerweise davon gesteuert wird, wie die jeweilige Bonität der betreffenden nationalen Zentralbank eingeschätzt wird. Genau dies ist durch die EURO-Regeln amputiert worden, mithin der Markt aus politischen Gründen ausgeschaltet worden! Wenn es einen Fehler im EURO-System gibt, dann die zwangsweise Nivellierung der Refinanzierungsbedingungen aller EURO-Zentralbanken. Denn hier wird schlichtweg der Fehler gemacht ungleiche Sachverhalte gleich zu behandeln. Und das geht nie gut!

Wenn man aus den Fehlern der EURO-Startphase etwas lernen wollte, dann müßte man
a) den EURO-Inter-Zentralbankenmarkt wiederherstellen, damit sich der Preis der Liquidität wieder nach bankmäßigen Kriterien orientiert
b) die Ausgangsbedingungen für ein gesundes Operieren des EURO-Interbankenmarktes wiederherstellen
und
c) von der Vorstellung Abschied nehmen, daß eine einheitliche Währung auch gleichbedeutend mit einem einheitlichen Lebensstandard ist.

Was b) angeht, wäre es praktikabel einen „EURO-Illusions-Gedächtnisfonds“ auf EU-Ebene aufzulegen, der ALLE EURO-Länder zinsgünstig von ihren Altlasten aus Finanzkrisen- und EURO-Illusionszeiten befreit. Zielpunkt wäre eine Wiederherstellung der Maastricht-Kriterien, so daß dann – mit dem entstandenen Wissen um die Fehler unkonditionaler Liquiditätsversorgung – eine Ausrichtung der Finanzpolitik auf eine stabilitätskonforme Budgetgestaltung wieder möglich wird. Dies stünde selbst einem Deutschland gut zu Gesicht, denn die Bürgschaftsfalle wird, wenn die Probleme noch weitergewälzt werden, in ein paar Jahren zuschnappen! Und es ist dabei keine Beruhigung, daß es erst die anderen trifft, denn je mehr „Andere“ in die Staatsschuldenfalle laufen, desto schneller ist es auch mit der AAA-Bonität Deutschlands vorbei! In diesem Fall gibt es tatsächlich den (oft zu Unrecht gefürchteten) Schneeballeffekt.

Wie gesagt: den Markt wirken lassen ist wohl die beste Idee zur Sache. Aber die Rahmenbedingungen müßten dann wiederhergestellt werden! Die Einschätzung, ob die Politik die Einsicht in die Notwendigkeiten aufbringt, kann jeder für sich entscheiden. Meiner Meinung nach stehen die Chancen dafür nicht gut!

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