Morgen gibt das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zu den Eurohilfen bekannt. In einem Essay in der Fachschrift aus Politik- und Zeitgeschichte befasst sich der Richter des Bundesverfassungsgerichts, Udo Di Fabio, mit der Legitimation des höchsten deutschen Gerichts:
Einleitung
Wer gibt Gerichten eigentlich das Recht, Recht zu sprechen? Wenn zwei international tätige Unternehmen, das eine in Asien ansässig, das andere in Europa, eine wichtige Geschäftsbeziehung begründen, können sie sich Gedanken darüber machen, was eigentlich geschehen soll, wenn es später Streitigkeiten gibt, wie etwa bei Leistungsmängeln, Verzug oder Schäden. Für diesen Fall können sie, nur für sich, eine eigene Gerichtsbarkeit vereinbaren, ein Schiedsgericht, in das honorige, rechts- und sachkundige Frauen und Männer berufen werden. Das Recht eines solchen Gerichts, "Urteile" oder Schiedssprüche zu erlassen, beruht auf vertraglicher Vereinbarung, auf dem Willen rechtsfähiger Personen. Ein solches Gericht darf also urteilen, weil diejenigen, die dem Richterspruch unterworfen sind, es so wollen.
Staatliche Gerichte dagegen werden nicht durch einen Vertrag, sondern durch Gesetze begründet. Die Verfassung derBundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz, sieht die Errichtung von Bundesgerichten und die des Bundesverfassungsgerichts vor. Der Bund hat dafür ein spezielles Gesetz, das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, erlassen. Darin sind die Zusammensetzung, die Organisation, die Zuständigkeiten, das Verfahren sowie die Wirkung der Urteile geregelt.
Mit einem Vertrag einigt man sich, das Gesetz aber befiehlt: Früher waren die Menschen Untertanen, die gehorchten, weil sie Untertanen waren. Heute befiehlt das Gesetz, wir gehorchen aber vor allem deshalb, weil wir in dem Gesetz unseren Mehrheitswillen verkörpert sehen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger eines Landes in freier und gleicher Wahl eine Gesetzgebungskörperschaft gewählt haben, haben sie damit auch das Parlament legitimiert, Gerichte zu errichten und den Gehorsam zu erzwingen, der nötig ist, damit die Urteile auch beachtet werden. In einem freien Land unterscheiden sich also staatliche Gerichte gar nicht so sehr von freiwilligen Schiedsgerichten. Die der Urteilsverkündung vorangestellte Formel "Im Namen des Volkes" ist in unsererRepublik keine Floskel, sondern spiegelt wider, dass Richterinnen und Richter gewählte Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger sind, die einer Verfassung Geltung verschaffen, welche ihrerseits Ausdruck des Volkswillens ist.
Die weiteren Abschnitte auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung
Sehnsucht nach Überparteilichkeit
Elastische Funktionsmechanismen?
Legitimitätskrise aller Verfassungsorgane
Wahl zwischen Resignation und technokratischer Affirmation?
Dieser Auszug stammt aus “Aus Politik und Zeitgeschichte”, Ausgabe 35-36/2011) mit dem Schwerpunkt Bundesverfassungsgericht
Die weiteren Themen dieser Ausgabe
Bedeutung der Menschenwürde in der Rechtsprechung – Essay (Rosemarie Will)
Regiert Karlsruhe mit? Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik (Hans Vorländer)
Hinter verschlossenen Türen: Beratungsgeheimnis des Bundesverfassungsgerichts (Uwe Kranenpohl)
Das Bundesverfassungsgericht als Motor gesellschaftlicher Integration? (Gary S. Schaal)
Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaat im Wandel – Essay (Uwe Wesel)
Strafrechtliche Aufarbeitung von Diktaturvergangenheit – Essay (Winfried Hassemer)
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