Integrated Reporting – Vorbote eines neuen Zeitalters?

by RalfKeuper on 6. Dezember 2011

Der erste Gedanke, der sich beim Lesen des Begriffs „Integrated Reporting“ einstellt, wird wohl nicht sein, mit einem Ansatz konfrontiert zu werden, der für eine neue Art des Wirtschaftens steht. Und doch verdichten sich die Anzeichen.

Ausgangssituation
In den letzten Jahren sind die Grenzen der herkömmlichen Berichterstattung von Unternehmen und Banken, die sich im wesentlichen aus der Veröffentlichung der Bilanz und der Gewinn – und Verlustrechnung zusammensetzt, sichtbar geworden. Bemängelt wird die einseitige Ausrichtung an finanziellen Daten, welche die Beziehungen des Unternehmens zur Außenwelt ausblenden, wozu neben der Umwelt und den Aktionären verschiedene Interessengruppen wie (potenzielle) Arbeitnehmer, Kunden, Aufsichtsbehörden, Gemeinden, Kapitalmärkte und die (digitale) Öffentlichkeit zählen.
Inzwischen haben sich mehrere internationale Initiativen gebildet, mit dem Ziel, neue Modelle für eine breiter ausgelegte Berichterstattung zu entwickeln, deren prominentester Vertreter die Global Reporting Initiative  http://bit.ly/aw9HWV (GRI) ist. Bei der GRI handelt es sich um den Quasi-Standard der Nachhaltigkeitsberichterstattung http://bit.ly/tmokP0, den bereits viele namhafte Unternehmen – auf freiwilliger Basis – anwenden. Vorreiter in Deutschland sind die Unternehmen BMW, SAP und Siemens.
Das „Integrated Reporting“ hat die Veröffentlichung finanzieller und nicht-finanzieller Informationen in einem Bericht zum Ziel http://bit.ly/sW4kF3. Anzumerken ist, dass die Mehrheit der Unternehmen die herkömmlichen Geschäftsberichte und die Nachhaltigkeitsberichte noch getrennt voneinander veröffentlicht.

Die Kritik wird lauter
Gegen die bisher weitgehend noch praktizierte, an Finanzdaten orientierte Berichterstattung wird der Vorwurf erhoben, sie stamme noch aus dem Industriezeitalter, das ganz andere Anforderungen an die Berichterstattung stellte, als es heute im Zeitalter der Digitalen Ökonomie der Fall ist. Viel zu wichtig seien inzwischen die wechselseitigen Abhängigkeiten von Unternehmen, Umwelt, Kunden, Bürgern, Behörden und Medien geworden, als dass sie sich durch die bisherigen Rechnungslegungsvorschriften, heißen sie nun IFRS, US-GAAP oder HGB, noch ausreichend abbilden ließen.
Durch die öffentliche Diskussion und Verbreitung des Nachhaltigkeitsgedankens, der sich nicht nur auf Frage des Ressourcenverbrauchs und des Klimas reduzieren lässt, erhöht sich der Druck auf die Unternehmen, ihre Transparenz gegenüber der Außenwelt zu erhöhen, was die Veröffentlichung von Informationen, die weit über die reine Finanzsicht hinausgehen, erfordert. Der Erfolg eines Unternehmens lässt sich daher nicht mehr nur am Jahresüberschuss, Cash Flow, Eigenkapital etc. ablesen, sondern muss auch die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit resultierenden externen Kosten berücksichtigen, wie das kürzlich der Sportartikelhersteller Puma getan hat http://bit.ly/rAjL8C Die Sparda Bank München ist dazu übergegangen, eine Gemeinwohlbilanz zu veröffentlichen. http://bit.ly/qa3ylK
Inzwischen häufen sich die Studien und Berichte, die nachweisen, dass Unternehmen die eine konsistente Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen, langfristig erfolgreicher sind. http://bit.ly/uqyu19

In den USA – wie überhaupt in den englischsprachigen Ländern, insbesondere Südafrika – ist das Thema schon längst in den Wirtschaftswissenschaften angekommen. Das mag um so mehr verwundern, da den angelsächsischen Ländern gerne eine reine Kapitalmarktorientierung nachgesagt wird. Vorreiter ist hier Robert G. Eccles von der Harvard University, der mit seinem Buch „One Report“ ein Grundlagenwerk geschaffen hat http://bit.ly/c9xlWn.
Das alles klingt nicht sehr ungewöhnlich, da es sich ja „nur“ um Fragen der Rechnungslegung und Unternehmens- bzw. Finanzkommunikation handelt, also in erster Linie nur die Außendarstellung betrifft. Das wäre jedoch zu kurz gegriffen. Anderseits stellt sich die berechtigte Frage, wie weit man mit der Messung der Unternehmensperformance in Abhängigkeit von externen Faktoren überhaupt gehen kann, ohne dabei einem Planungsfetischismus zu verfallen?
Zwischen diesen beiden Polen gilt es die Balance zu finden.

Mehr als „nur“ Reporting
Dass es sich bei dem Integrierten Reporting auch um ein Managementkonzept handelt, wird deutlich, wenn man folgende Sätze von Michael P. Kruzs, Co-Autor von Robert G. Eccles, auf sich wirken lässt:

„At the heart of integrated reporting is „management´s ability to coherently describe the relationships between financial and non-financial information. It may be helpul to think about the relationship between sustainabilty risks and opportunities in terms of the financial statement line items. … As a company achieves a better understanding about the relationships between financial and non-financial performance, monitoring and review controls will be improved and business processes will improved and systems and business processes will likely see increased efficiencies and effectiveness. These improvements are the foundation for modeling and analysis to reevaluate categories of risks, opportunities, and choices. As management achieves this, its capability to develop and implement sustainable strategies will improve.“ http://bit.ly/tU94v4

Nicht umsonst betont Kruzs in seinem Artikel die gedankliche Nähe zum Konzept der Balanced Scorecard von Kaplan und Norton, die ebenfalls die Unternehmensperformance unter mehreren Perspektiven (Kunden, Finanzen, Lernen, Prozesse) betrachten. Beide Konzepte argumentieren damit, dass die gleichberechtigte Behandlung finanzieller und nicht-finanzieller Faktoren zu einer besseren Unternehmensperformance führt, was sich wiederum positiv auf den Gewinn auswirkt. Die reine Finanzperspektive wurde von Kaplan und Norton in dieser Form zum ersten Mal von einem Managementkonzept abgelöst, das eine kohärente Sicht auf die verschiedenen Beziehungsebenen eines Unternehmens bot. Jedoch spielen in dem Konzept der Balanced Scorecard alle weiteren Interessengruppen des Unternehmens (Stakeholder) eine nur untergeordnete Rolle. Hier liegt der Vorteil des Integrated Reporting.

Vorreiter „Baseline Reporting“ (Kihlstedt/Johnson)
Früher noch als Robert Eccles formulierten die schwedischen Autoren Kihlstedt und Johnsson in ihrem Buch „Performance Based Reporting“ http://bit.ly/w1r61G ähnliche Gedanken. Darin stellen sie mit dem „Baseline Reporting“ ein Werkzeug zur Unternehmenssteuerung vor, das die Abhängigkeit des Unternehmens von der Außenwelt betont. Ziel aller Aktivitäten des Unternehmens sei es nicht nach Gewinnmaximierung zu streben, sondern die Handlungsfähigkeit, „Freedom to act“, zu sichern. Sobald nach den Worten der Autoren die Abhängigkeit des Unternehmens von der Außenwelt zu stark wird, ist automatisch die Handlungsfreiheit bedroht, weshalb in diesem Fall umgehend Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen.

Kihlstedt und Johnson räumen in ihrem Modell dem Rechnungswesen eine nur geringe Bedeutung bei, da es sich hierbei lediglich um eine ex-post Sichtweise handelt, aus der sich keine Empfehlungen für die Zukunft ableiten lassen:

Financial reporting has one, and only one, legitimate role: to register past business transactions. All efforts to use financial data for any other purposes are misguided. They lead to accounting addiction and to an increasingly unstable global economic system. Attempts to regain confidence must start with some basic agreements http://bit.ly/sPPz8E:

  • Accept that financial reporting will never be able to contribute more than marginally to the basis for resource allocation decisions! We must leave the financial “box” if we want to regain confidence!
  • Solve the Value Mess! Agree on sensible definitions of various kinds of “Value”.
  • Accept that Value is a perception, created in the minds of involved and interested parties, not an objective quality
  • Respect the law of nature that the future is genuinely unpredictable!

Die Ausführungen von Krzus und Kihlstedt/Johnsson verdeutlichen, dass es sich beim Integrierten Reporting um ein Management – und Kommunikationstool und weniger um ein Mittel zur möglichst redundanzfreien Präsentation von Finanzdaten handelt. Das ergibt um so mehr Sinn, wenn man sich Bedeutung der Reputation eines Unternehmens im digitalen Zeitalter vor Augen führt http://slidesha.re/bFNwQe . Die Fälle von Unternehmen, die auf in sozialen Netzwerken geäußerte Kritik empfindlich reagieren und damit erst recht einen Sturm der Entrüstung auslösen, sind inzwischen zahlreich. http://bit.ly/u0xkg4 Der Schaden für das Unternehmen und die Marke kann dabei beträchtlich sein. Jedenfalls sind danach erst einmal gezielte Maßnahmen nötig, die das Bild des Unternehmens ins rechte Licht rücken sollen. Daher gewinnen Themen wie Social Media-Strategie und Social Media Monitoring an Gewicht. Ein über die Jahre erarbeiteter guter Ruf kann heute innerhalb von wenigen Stunden und Tagen schweren Schaden nehmen, wenn nicht sogar zerstört werden.

Erst kürzlich hat das International Integrated Reporting Commitee (IIRC) ein Diskussionspapier mit dem Titel „Towards Integrated Reporting – Communicating Value in the 21st Century“ veröffentlicht. (http://bit.ly/u7yDYm) Wie die Überschrift schon sagt, dient das Integrated Reporting dem Zweck, den Wertbeitrag eines Unternehmens glaubhaft zu kommunizieren.

Für den St. Galler Wirtschaftsprofessor Markus Will besteht eine direkte Verbindung zwischen der Unternehmenskommunikation und der Rechnungslegung  http://bit.ly/tqCmTP  Vgl. dazu auch: http://bit.ly/uhTUn6 . Damit betritt er, zumindest im deutschsprachigen Raum, Neuland. Vom Ansatz her ähnlich ist das relativ junge Gebiet des Kommunikations-Controlling. http://bit.ly/o0Hbpa Beide Konzeptionen heben die zentrale Bedeutung der Kommunikation von Steuerungsinformationen nach außen für den Unternehmenserfolg hervor.

Shared Value – Die Idee erreicht den Mainstream 

Im Jahr 1970 veröffentlichte Milton Friedman in der New York Times seinen Artikel „The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits“ http://bit.ly/112BM, der die Diskussion über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen für Jahrzehnte bestimmt hat. Mittlerweile hat sich der Wind gedreht, was dazu geführt hat, dass Fragen der sozialen Verantwortung unternehmerischen Handelns in den Vordergrund rücken http://lat.ms/sLGidN.

In der Diskussion beweisen die amerikanischen Ökonomie-Professoren einmal mehr ihren sicheren Instinkt für neue Trends. Inzwischen haben sie auch hier die Meinungsführerschaft übernommen. So wirbt der Strategie-Papst Michael E. Porter mit seinem „Shared Value“-Konzept gar für die Neuerfindung des Kapitalismus:

The concept of shared value, in contrast (shareholder value), recognizes that societal needs, not just conventional economic needs, define marktes. It also recognizes that social harms or weaknesses frequently create >internalsharing< the value already created by firms – a redistribution approach. Instead, it is about expanding the total pool of economic and social value. (http://bit.ly/fDfPX7

Vor  ihm äußerte sich in ähnlicher Form Henry Mintzberg:

„Corporations are social institutions–communities. They function best when committed human beings work in cooperative relationships, under conditions of respect and trust. Destroy this and the whole institution of business collapses“. (http://bit.ly/9ummgS)

Als erster jedoch hat Philip Kotler in „Konkurrenzfähigkeit und Beitrag zum Gemeinwohl“ den Gedanken in die Diskussion geworfen. (in: Organisation der Zukunft, hrsg. von The Drucker Foundation, Düsseldorf 1998)

Hierzulande hat das Thema Integrated Reporting ebenso wie das damit eng verbundene Konzept der Coporate Social Responsibility (CSR) noch nicht den Mainstream unter den Ökonomen erreicht. Eine der ersten Reaktionen stammt aus den Reihen der ordoliberalen Schule http://bit.ly/oUrsVA  & http://bit.ly/oq2W4K Darin wird dem Thema CSR eine strategische Bedeutung eingeräumt, ein darüber hinausgehender gesellschaftspolitischer Anspruch jedoch weitgehend abgelehnt und in die öffentliche Diskussion verwiesen. Vgl. dazu: http://bit.ly/uOyxNw

Anders verhält es sich in den skandinavischen Ländern, mit Schwerpunkt Schweden. (http://bit.ly/sYRb5j  & http://bit.ly/uec1BL)

Fazit

Nachdem die Defizite des Shareholder Value – Gedankens nicht mehr zu übersehen sind http://bit.ly/syE6vw, scheint die Zeit reif zu sein für die Erweiterung des Blickfelds. Die isolierte Betrachtungsweise von Unternehmen, ohne deren wechselseitige Abhängigkeit mit der Außenwelt zu berücksichtigen wird durch einen „Stakeholder Value“ http://bit.ly/vpWRQ8 & http://bit.ly/n02bNH oder „Public Value“ http://bit.ly/thIod6 ersetzt – schon aus Eigeninteresse. Kurzfristiges, Börsenkursen und Stimmungen unterworfenes Denken, führt langfristig zu einem Substanz- und Ansehensverlust. Nicht selten entsteht sogar irreparabler Schaden. Immer jedoch sind damit ökonomische, und damit in Zahlen messbare,  Verluste verbunden.
Die Akzeptanz der relevanten Interessengruppen zu verlieren, weil sich die Ansicht durchsetzt, das Unternehmen leiste keinen signifikanten Wertbeitrag zum Gemeinwohl, es verhalte sich demnach asozial, kann für ein Unternehmen fatale Folgen haben. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, das ökonomische Prinzip einem kollektivistischen Denken zu opfern, wohl aber, sich der eigenen Abhängigkeit bewusst zu werden, ohne die kein soziales Lebewesen wie wir Menschen und ebenso wenig soziale Gebilde wie Unternehmen auf Dauer existieren können.

Der Gewinn dient dann vor allem dazu, im Spiel bleiben zu können. Gedanken, wie sie Fredmund Malik so beschrieben hat:

„Entscheidend wird somit nicht mehr die ökonomische Gewinnmaximierung sein, sondern die Entwicklung der Lebensfähigkeit und Robustheit einer Unternehmung; nicht das Herausquetschen der letzten Renditeprozente, sondern die Fähigkeit, auch Umsatzeinbrüche und massiven Preisdruck durchzustehen; nicht mehr das Geschäftemachen wird im Vordergrund stehen, sondern die Kunst, im Geschäft zu bleiben – und wesentlich werden weniger Fragen des Führungsstils sein, als vielmehr die Fähigkeit und Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und wenn notwendig auch einzulösen.“ http://bit.ly/v0Q5TZ

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