OECD-Studie: Einkommensungleichheit in Deutschland seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern

by Dirk Elsner on 13. Dezember 2011

Das Ergebnis dieser Studie, die die OECD dem Blick Log als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat, überraschte mich. In der Kurzusammenfassung der Studie heißt es:

“In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern. In den 80er und 90er Jahren gehörte das Land zu den eher ausgeglichenen Gesellschaften, inzwischen liegt es nur noch im OECD-Mittelfeld. Mit durchschnittlich 57.300 Euro verdienten die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher im Jahr 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent (7400 Euro). In den 90ern lag das Verhältnis noch bei 6 zu 1, der aktuelle OECD-Durchschnitt ist 9 zu 1.”

Die neue OECD-Studie „Divided We Stand: Why Inequality Keeps Rising” geht den Ursachen steigender Ungleichheit auf den Grund. Sie widerlegt die Annahme, dass Wirtschaftswachstum automatisch allen Bevölkerungsgruppen zugutekommt.

Die OECD beurteilt die Einkommensungleichheit anhand des Gini-Koeffizienten, das ist ein vom italienischen Statistiker Corrado Gini statistisches Maß, das zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Gini-Koeffizientenliegen zwischen 0 und 1, wobei 1 vollkommene Ungleichverteilung bedeuten würde, nämlich einem Menschen erhält das gesamte Einkommen, andere erhalten nichts.

Eine auch online erhältliche Übersicht (XLS-Format) fasst die Einkommensungleichverteilung ausgewählter Länder zusammen:

image

Eine ausführlichere Tabelle ist hier zu finden. Nach dieser Aufstellung ist Chile das Land mit der größten Einkommensungleichheit, gefolgt von Mexiko, der Türkei, den USA und Israel. Deutschland liegt mit 0,295 noch vergleichsweise gut im Rennen. Allerdings kann der starke Anstieg nachdenklich stimmen.

Der Bericht zeigt verschiedene Wege, wie der Trend zu größerer Ungleichheit gestoppt und sogar umkehrt werden kann. Wie realistisch das ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Die Publikation “Divided We Stand: Why Inequality Keeps Rising” ist leider online nicht frei verfügbar und kann nur zum Preis von € 75 bestellt werden unter www.oecd.org/bookshop oder bei:

  • UNO-Verlag GmbH
  • OECD-Vertrieb
  • August-Bebel-Allee 6
  • D-53175 Bonn
  • Tel.: +49 /0) 228 94 90 2-0
  • Fax: +49 (0) 228 94 90 2-22
  • oecd@uno-verlag.de
Jens Dibbern Dezember 14, 2011 um 16:22 Uhr

Dazu vielleicht auch interessant der Blick der Statistiker auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Inflation:

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/STATmagazin/Preise/2011__08/2011__08Inflation.psml

Malte T. Dezember 13, 2011 um 20:38 Uhr

Hallo,

@Stefan: Spontan fällt mir folgende Studie zur Einkommensverteilung in Deutschland ein: http://www.gesis.org/fileadmin/upload/forschung/publikationen/zeitschriften/isi/isi-33.pdf
Sie ist allerdings von 2005 und deckt nur die Zeit seit 1990 ab.

Zu den USA würde ich dir die Bücher von Pierson & Hacker 2010 (Winner-Take-All Politics), Krugman 2009 (The Conscience of a Liberal) und Gilens 2005 (Inequality and Democratic Responsiveness) empfehlen.

Stefan Dezember 13, 2011 um 12:40 Uhr

An der Studie stört mich, dass lediglich der Abstand zweier Jahre gemessen wurde. Wenn 1985 zufällig ein Jahr war, indem Ungleichheit besonders gering oder besonders stark ausgeprägt war, erhält man kein realistisches Bild. Außerdem würde ich gerne wissen, ob sich der Wert nicht nur einfach deswegen verschlechtert hat, weil durch die Agenda 2010 jetzt Leute der unteren Einkommensbereichen in der Statistik erfasst werden, die 1985 gar nicht berücksichtigt wurden.

Ich suche schon seit Jahren nach einer Publikation, die die Vermögensverteilung (aber auch die Einkommensverteilung) in Deutschland über die letzten Jahrzehnte und nicht nur ein paar Jahre zeigt. Ich wollte einfach mal prüfen, ob die These stimmt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Leider gibt es das anscheinend nicht. Fündig wurde ich nur bei den Amerikanern, wo man sehen konnte, wie die Ungleichheit ähnlich einer Sinuskurve seit Anfang des Jahrhunderts immer auf und ab schwankt.

Tim Dezember 13, 2011 um 08:58 Uhr

Wenig überraschend – bei dem geringen Stellenwert, den Bildungspolitik in Deutschland allen Lippenbekenntnissen zum Trotz immer noch hat. Solange das Kindergarten- und Schulwesen in Deutschland den sozialen Status einer Familie zementiert, wird sich an den geringen Aufstiegschancen bestimmter sozialer Gruppen nichts ändern, mit enstprechenden Folgen für ihre Einkommenserwartung …

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