Stefan Eichner: Zur Debatte um die Abweichungen vom ökonomischen Mainstream

by Gastbeitrag on 1. Februar 2012

Im Zuge der Debatte um Ökonomie neu denken und abweichenden ökonomischen Positionen schrieb Dr. Stefan L. Eichner einen Kommentar zum Beitrag “Welche Reputationsrisiken tragen vom Mainstream abweichende Ökonomen?”. Diesen Kommentar stelle ich hier noch einmal heraus mit ergänzenden Informationen, die mir Dr. Eichner gesendet hat.

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Gastbeitrag von Stefan L. Eichner*

Zu diesem Thema kann ich etwas beitragen. Einmal deswegen, weil die Fokussierung auf den Preis als einzige maßgebliche Determinante des Wettbewerbs m.E. ein zentrales Problem der herrschenden Theorie ist. Wenn es so wäre, könnte man sich natürlich getrost allein auf den Homo Oeconomicus beschränken, um Märkte zu erklären. Allerdings kann man dann die Entwicklung von Märkten nicht erklären – was die Mainstream-Theorie ja auch nicht tut (und will) – und in der Realität vorkommendes “irrationales” Verhalten ebenso wenig.

Wer das genauer erklärt haben möchte, kann es gerne nachlesen, denn ich habe bereits vor zehn Jahren eine neue, von Mainstream abweichende (dynamische Markt- und) Wettbewerbstheorie vorgestellt, die die Funktionsweise von Märkten auf eine Weise erklärt, die den oben aufgeführten Aspekten Rechnung trägt.’

So gesehen wäre meine Theorie ja durchaus ein Ansatz für einen immer öfter geforderten Paradigmenwechsel. Sie ist auch – was natürlich wichtig ist, um akzeptiert zu werden – in einem renommierten Verlag veröffentlicht worden, der u. a. auch Keynes´ General Theory und Schumpeters “Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung” verlegt hat.

Vielleicht muss man die im Post angesprochene Problematik, warum sich die Wirtschaftswissenschaften so schwer tun, gänzlich neue Ansätze aufzugreifen, von einer anderen Warte aus betrachten, nämlich: Was haben die etablierten Ökonomen, der Mainstream, zu verlieren, wenn sie es tun? Und welche Möglichkeiten haben sie, dies zu verhindern?

Je weiter ein neuer Ansatz vom Mainstream abweicht, desto größer wäre der Schaden, wenn er akzeptiert würde. Der Schaden beschränkt sich nicht auf das riesige Theoriengebäude allein. Vielmehr beträfe er auch die Ökonomen selbst. Wer würde sie noch um Rat fragen, wenn jemand anderes es doch viel besser weiß als sie?

Davon abgesehen ist es sehr schwierig, Denkgewohnheiten zu ändern und deswegen sehr schwer, sich in “fremdartig” und vielleicht sogar zunächst abstrus klingende Erklärungsansätze hineinzudenken, sie zu verstehen und ihren Wert realistisch einzuschätzen. Hätte man vor 100 Jahren einem Wissenschaftler die Pläne eines A380 vorgelegt, er hätte einen für verrückt erklärt. Genauso ist es mit neuen Wirtschaftstheorien.

Ich habe nicht erwartet, dass auf der Tagung “Ökonomie neu denken” solche neuen Ansätze präsentiert oder gar diskutiert werden würden. Dafür wären eine viel grundsätzlichere Fragestellung und auch ganz andere Akteure notwendig gewesen. Einem alten Hund bringt man schließlich auch keine neue Kunststücke mehr bei.

Zu Ihrer Frage, ob es online verfügbare Dokumente zu meiner Theorie gibt: Die Theorie an sich habe ich in Posts in meinem Blog in verschiedenen Aufsätzen aufgegriffen und erklärt, was daraus für die Krisenerklärung und -politik resultiert. Die in diesem Kontext (Einordnung der Theorie) aufschlussreichsten Posts sind:

http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2011/08/euro-oder-dollar-krise-wo-ist-der.html
http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2011/10/dauerkrise-der-markte-und-politik-im.html
http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2011/09/rezessionsangst-und-kein-rezept-hat-die.html
http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2009/11/wirtschafts-und-finanzmarktkrise.html

Die Theorie selbst habe ich zusammenfassend in folgenden Posts dargelegt:

http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2011/02/wettbewerbsleitbilder-der.html
http://stefanleichnersblog.blogspot.com/2011/02/die-europaische-krise-teil-4-das.html

Das sind jetzt natürlich einige Texte. Ich habe sie jedoch im Sinne meines Kommentars bewusst ausgewählt, weil ich glaube, dass man sich darüber diese "Theoriewelt" am besten erschließen kann. Es kommt dafür ja darauf an, die Unterschiede zum Üblichen und deswegen gewohnten zu identifizieren.

Wichtig ist bezüglich des Verständnisse der Krise der Mainstream-Ökonomie, dass es ja bereits die Grundannahmen sind, die deren gesamtes Theoriengebäude ins Wanken bringen. Es gibt massive Konstruktionsfehler. Wenn man Märkte verstehen will, dann kommt es darauf an, den Wettbewerb richtig zu verstehen. Dort muss man m. E. mit der Fehlersuche beginnen … und dann das ganze Gebäude neu denken bzw. konstruieren. +

PS: Auszugsweise kann man die Publikation, in der ich die Theorie entwickelt habe (Eichner 2002, Wettbewerb, Industrieentwicklung und Industriepolitik), auch im Internet lesen (hier über Google Books).


* Dr. Stefan L. Eichner ist Ökonom. Auf der Webseite seines Blogs schreibt er in Über mich:

“Als Ökonom beschäftige ich mich seit 1990 mit den Themen: Europäische Integration, Wirtschafts- und Industriepolitik, Industrieökonomik und Wettbewerbstheorie. 2002 habe ich in einer Publikation eine neue Wettbewerbstheorie vorgestellt, die ich "evolutorischer Wettbewerb" nenne. Sie bietet eine andere Erklärung von der Funktionsweise des Wettbewerbs als die bisher bekannten Theorien namens "funktionsfähiger Wettbewerb" und "freier Wettbewerb". Eine auf Wachstum und Beschäftigung gerichtete Wirtschafts- und Industriepolitik kommt ohne eine zutreffende Vorstellung davon, wie Wettbewerb funktioniert und idealerweise funktionieren muss, nicht aus. Die Wettbewerbstheorie erklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Marktwirtschaft prosperiert. Darum ist sie wichtig.”

sean o'b Februar 3, 2012 um 21:39 Uhr

@Stefan
Ich glaube schon, daß Freeman und die ältere Garde der Innovationsökonomie Interesse an deinem Ansatz gehabt hätten, auch wenn sie selbst nichts zur Historischen Schule publizierten (und vielleicht auch nichts/wenig wußten). Schumpeter-Exegese ist immer noch angesagt. Egal.
Ich wollte eigentlich nur ausdrücken, daß es durchaus Netzwerke gibt und gab, an denen Interessierte andocken können (zumindest in diesem Bereich). Bei meinen in D tätigen Kollegen mußte ich immer wieder feststellen, daß diese sehr für sich allein vor sich hinwursteln mußten. Netzwerke, summer schools etc. wurden gar nicht gefördert, teils auch abgelehnt – auch im neoklassischen Mainstream. Da hat sich sicher in den letzten 10/15 einiges geändert. Die Handelsblatt-Konferenz war ja auch zweisprachig.

Ich habe nicht erwartet, dass auf der Tagung “Ökonomie neu denken” solche neuen Ansätze präsentiert oder gar diskutiert werden würden. Dafür wären eine viel grundsätzlichere Fragestellung und auch ganz andere Akteure notwendig gewesen.

Die INET-Konferenz in Berlin (leider für den ‚akademischen Pöbel‘ geschlossen) ist da aufgeschlossener und bringt eine Mischung aus Mainstream und Heterodoxen zusammen. Tony Lawson moderiert ein Panel, David Graeber sitzt in einem. Münchau moderiert ein Panel mit Sven Giegold, Yanis Varoufakis, Brunnermeier und Soros.

Grüße,
Sean

Stefan L. Eichner Februar 1, 2012 um 20:03 Uhr

Hallo Sean o´b,

vielen Dank für die vielen ermutigenden Hinweise.

Ich habe mich damals mit Freeman, Dosi et al. natürlich beschäftigt. Letztlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass ich mich mit meinen Ansatz nicht wirklich auf deren Linie bewegte, sondern damit viel näher bei der deutschen Historischen Schule, Schumpeter und der ordoliberalen Diskussion war. Das alles, wie vor allem auch die wettbewerbstheoretische Debatte, spielte sich (in der Vergangenheit) sehr stark im deutschsprachigen Raum ab. Eine echte wettbewerbstheoretische Debatte gab es im Grund seit Dekaden nicht mehr.

Es spielten allerdings auch die Umstände, unter denen die Arbeit damals entstand, eine Rolle. Unter anderem benötigte ich die Publikation – die vom Verlag Duncker & Humblot ja auch als Lehrbuch verlegt wurde – für meine eigenen Lehrveranstaltungen im Hauptstudium. Und so habe ich gar nicht nicht in Erwägung gezogen, die Schrift in Englisch zu erstellen. Das würde ich heute vermutlich anders machen – es ist ist immerhin 12 Jahre her.

Grüße
SLE

sean o'b Februar 1, 2012 um 18:09 Uhr

@Stefan
(1) Ein gutes Beispiel für das langfristige, teils mühselige, aber letzlich erfolgreiche Bohren der dicken Bretter des Paradigmenwandels ist das Science and Technology Policy Research Centre (SPRU), Brighton, des auch von dir zitierten Chris Freeman. Einen Überblick bietet das Paper einiger seiner Doktoranden (deshalb auch leider etwas ‚whiggish‘): http://ideas.repec.org/p/tik/inowpp/20110926.html
Seit den 1980er wurde es zu einem Inkubator zahlreicher kleinerer und größerer Innovationsforschungzentren in Europa (v.a. Skandinavien und NL, aber auch tatsächlich in D), die sich interdisziplinär und abseits vom Mainstream aufgestellt haben, in der Politikberatung auf beschränkten Teilgebieten einflußreich sind. Früher eher im post-autistischen Umfeld zu finden, findet man Giovanni Dosi mittlerweile auch beim Institute for New Economic Thinking; soll heißen, die Ideen diffundieren in den Mainstream. Ob dies die Neoklassik tötet (‚Missionstatement‘ von Dosi), oder ob sie sich durch partielle Aufgabe von einigen wenigen Positionen und etwas Pluralisierung letztlich retten kann, wird die Zeit zeigen.

(2) Mußtest du eigentlich beim Guttenberg-Verlag auf Deutsch veröffentlichen? Oder wollte das die Uni? Eine englische Veröffentlichung hätte die Anschlußfähigkeit an den europäischen Diskurs hergestellt. Mit dem Thema hättest du bei SPRU offene Türen vorgefunden, aber auch Copenhagen Business School, oder Paul Geroski, London Business School…

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