Welche Reputationsrisiken tragen vom Mainstream abweichende Ökonomen?

by Gastbeitrag on 27. Januar 2012

Zum Vorbericht hier im Blick Log auf den vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und dem Handelsblatt veranstalteten Kongress “Ökonomie neu denken” habe ich einen interessanten Kommentar erhalten, den ich hier einmal in einen eigenen Beitrag hebe. Der Leser Nixda wirf darin eine interessante Frage auf, die möglicherweise den wissenschaftlichen Fortschritt oder gar einen Paradigmenwechsel verzögern könnte. Ich gebe hier den Kommentar einfach noch einmal ungeschnitten und ergänzt um ein paar Links wider.

“In den letzten Tagen ist die wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung über die Ursachen der hohen Preise bei Prostitution durch die Blogs gewandert (siehe z.B. egghats Blog “Warum sind Nutten so teuer? Ökonomen erklären”). Für die Autoren kam weder Marktversagen noch Erklärungen außerhalb des Homo Ökonomicus Modells für die hohen Preise in Frage. Auch dass die Arbeit nicht die attraktivste ist, schien keine Rolle zu spielen, andere unattraktive Tätigkeiten werden ja auch schlecht bezahlt.

Man erklärte die hohen Preise schließlich mit den hohen Opportunitätskosten der Anbieter, in der Form, das die Chancen auf eine gute Eheschließung sich verringern. Das ökonomische Modell der allzeit rational handelnden Marktteilnehmer war gerettet, der Artikel wurde in einer renommierten Fachzeitschrift abgedruckt. Mit den Betroffenen hatte niemand gesprochen. Die für Außenstehende offenkundige Absurdität scheint weder den Autoren noch den Redakteuren aufgefallen zu sein.

Vielleicht wäre es einmal eine Aufgabe für einen Doktoranden, und das ist ein durchaus ernstgemeinter Vorschlag, zu untersuchen, wie hoch die Opportunitätskosten eines Doktoranden im Sinne eines potenziellen Karriereschadens und Einkommensverlustes wären, wenn er sich in seiner Doktorarbeit sich mit alternativen Modellen zu den vorherrschenden Modellen beschäftigt. Dann käme man zumindest in den Besitz einer ökonomische Theorie, warum die heutige ökonomische Theorie so ineffizient ist.

Und die Ökonomen könnten danach über das “Paradoxon des Epimenides” philosophieren.

Stefan L. Eichner Januar 27, 2012 um 10:24 Uhr

Zu diesem Thema kann ich etwas beitragen. Einmal deswegen, weil die Fokussierung auf den Preis als einzige maßgebliche Determinante des Wettbewerbs m.E. ein zentrales Problem der herrschenden Theorie ist. Wenn es so wäre, könnte man sich natürlich getrost allein auf den Homo Oeconomicus beschränken, um Märkte zu erklären. Allerdings kann man dann die Entwicklung von Märkten nicht erklären – was die Mainstream-Theorie ja auch nicht tut (und will) – und in der Realität vorkommendes „irrationales“ Verhalten ebenso wenig.

Wer das genauer erklärt haben möchte, kann es gerne nachlesen, denn ich habe bereits vor zehn Jahren eine neue, von Mainstream abweichende (dynamische Markt- und) Wettbewerbstheorie vorgestellt, die die Funktionsweise von Märkten auf eine Weise erklärt, die den oben aufgeführten Aspekten Rechnung trägt.‘

So gesehen wäre meine Theorie ja durchaus ein Ansatz für einen immer öfter geforderten Paradigmenwechsel. Sie ist auch – was natürlich wichtig ist, um akzeptiert zu werden – in einem renommierten Verlag veröffentlicht worden, der u. a. auch Keynes´ General Theory und Schumpeters „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ verlegt hat.

Vielleicht muss man die im Post angesprochene Problematik, warum sich die Wirtschaftswissenschaften so schwer tun, gänzlich neue Ansätze aufzugreifen, von einer anderen Warte aus betrachten, nämlich: Was haben die etablierten Ökonomen, der Mainstream, zu verlieren, wenn sie es tun? Und welche Möglichkeiten haben sie, dies zu verhindern?

Je weiter ein neuer Ansatz vom Mainstream abweicht, desto größer wäre der Schaden, wenn er akzeptiert würde. Der Schaden beschränkt sich nicht auf das riesige Theoriengebäude allein. Vielmehr beträfe er auch die Ökonomen selbst. Wer würde sie noch um Rat fragen, wenn jemand anderes es doch viel besser weiß als sie?

Davon abgesehen ist es sehr schwierig, Denkgewohnheiten zu ändern und deswegen sehr schwer, sich in „fremdartig“ und vielleicht sogar zunächst abstrus klingende Erklärungsansätze hineinzudenken, sie zu verstehen und ihren Wert realistisch einzuschätzen. Hätte man vor 100 Jahren einem Wissenschaftler die Pläne eines A380 vorgelegt, er hätte einen für verrückt erklärt. Genauso ist es mit neuen Wirtschaftstheorien.

Ich habe nicht erwartet, dass auf der Tagung „Ökonomie neu denken“ solche neuen Ansätze präsentiert oder gar diskutiert werden würden. Dafür wären eine viel grundsätzlichere Fragestellung und auch ganz andere Akteure notwendig gewesen. Einem alten Hund bringt man schließlich auch keine neue Kunststücke mehr bei.

Viele Grüße
SLE

Andreas Bangemann Januar 27, 2012 um 09:12 Uhr

In dem Zusammenhang sehr lesenswert. Der Mathematik-Professor Jürgen Kremer vom Rheinahr-Campus hat einmal „nachgerechnet“ und kommt auf erstaunliche Ergebnisse:

http://www.humane-wirtschaft.de/von-den-blinden-flecken-der-volkswirtschaftslehre-juergen-kremer/

Marsman Januar 27, 2012 um 06:18 Uhr

Vielleicht interessant:
Ziemliche Wellen geschlagen haben vor einiger Zeit die Verluste der
Stiftungen von Universitäten in den USA.
Hierzu einige Artikel:
How Larry Summers lost Harvard $ 1,8 Billion
http://blogs.reuters.com/felix-salmon/2009/11/29/how-larry-summers-lost-harvard-18-billion/

The $ 23 billion question
http://changinguniversities.blogspot.com/2010/05/23-billion-question.html

The university endowment model …
http://money.cnn.com/2010/07/06/news/economy/university_endowments.fortune/index.htm

University endowment (explained, and more, on wikepedia)
http://money.cnn.com/2010/07/06/news/economy/university_endowments.fortune/index.htm

Alice in wonderland von Lewis Caroll ist m. E. nach immer wieder
recht herrliche Lektüre, es bedarf dazu nur eines enstprechenden
Kontextes. Boshaft gesagt (don’t tell it one of those profs!) ist darin
u.a. die ganze „dismal science“, das Verhalten der Wissenschaftler,
hervorragend erklärt und dargestellt.

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