Wie soll der Bundestag heute über Finanzhilfen für Griechenland abstimmen? Am besten gar nicht.

by Dirk Elsner on 27. Februar 2012

Ich kann mich ehrlich gesagt nicht anfreunden mit den Beschlüssen des griechischen Rettungspaketes, das heute im Bundestag beschlossen werden soll. Das liegt erst einmal daran, dass ich gar nicht genau weiß, was heute beschlossen wird. In einer Meldung des Bundestags heißt es Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt zunächst eine 20-minütige Regierungserklärung ab, an die sich eine 90-minütige Aussprache anschließt. Danach wird über einen Antrag des Bundesfinanzministerium über Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik namentlich abgestimmt.

Abgestimmt wird dabei über zwei Drucksachen, die es wirklich in sich haben

  • 17/8730: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (5 Seiten)
  • 17/8731 Anlagen dazu (726 Seiten)

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, worüber der Bundestag heute genau abstimmt. Und ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass die Abgeordneten, die Unterlage in 3 Tagen durchgearbeitet haben und dann morgen einfach ohne weitere Möglichkeit Fragen zu stellen oder Experten zu befragen durchwinken (siehe dazu auch egghats Zweitblog). Eigentlich sollte Norbert Lammert im Dreieck springen, weil man dem Parlament einen solchen Wust an Unterlagen mit so weit reichenden Konsequenzen und so hohen Risiken in diesem Zeitraum nicht zumuten kann. Aber unbedingt empfehlenswert ist die Analyse von André Kühnlenz im FTD Wirtschaftswunder

Je länger ich über die gesamten Rettungspaket in den letzten Monaten nachgedacht habe, desto stärker wächst meine Abneigung gegen das komplexe Hilfsprogramm. Und dabei will ich mich nicht einmal vergleichsweise oberflächlicher Argumente bedienen, wie dass einige griechische Abgeordnete ihren eigenen Maßnahmen selbst nicht trauen und Privatvermögen ins Ausland ins Ausland überweisen.

Hilfestellungen erhalten die Parlamentarier von André Kühnlenz und Timo Pache. Sie geben heute Morgen auf FTD-Online einen guten Abstrakt der 731 Seiten mit den wichtigsten Änderungen. Eine weitere Erläuterung kommt von der FAZ, die allerdings ihre Fragen und Antworten vor der Veröffentlichung der Drucksachen erstellt hat.

Für mich sind drei Argumente maßgebend:

1. Ein juristisches Argument: Die Hilfe steht nämlich deutlich im Widerspruch zu Artikel 125 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Zur Erinnerung: Darin steht:

(1) Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.

Mir ist es ziemlich schnuppe, mit welchen rechtlichen Konstruktionen man diesen Grundsatz nun so hinbiegen will, dass die Vereinbarungen zum EFSF und ESM doch im Einklang mit dem EU-Rechten stehen. Entscheidend ist, dass das Vereinbarungswerk gegen den Geist dieser mit viel Bedacht gewählten Vorschrift verstößt.

2. Aus den Beschlüssen sind kaum echte Entlastungen für Griechenland erkennbar. Das Paket enthält nach den Informationen der FTD 199 Mrd. Euro als Hilfen,  die das Land irgendwann wieder ablösen und zurückzahlen soll. Ich halte das für ausgeschlossen. Tatsächlich erheben sich ja bereits die Stimmen, die ein drittes Hilfspaket für Griechenland erwarten.

André Kühnlenz hat übrigens für das FTD Wirtschaftswunder gerechnet und durch die Umschuldung nur 7% Entlastung für Griechenland ausgemacht. Er schreibt außerdem ua.:

„Wichtig ist dabei, dass vom zweiten Paket mit einer Summe von 130 Mrd. Euro nur 54,5 Mrd. Euro für den Staatshaushalt Athens bestimmt sind – 75,5 Mrd. Euro sind für die Bankrettung und die Abwicklung des Schuldentausches vorgesehen. Mit den Geldern aus dem ersten Paket, von denen 10 Mrd. Euro für die Bankenrettung reserviert sind (und 24,3 Mrd. Euro für den Haushalt), werden 85,5 Mrd. Euro oder mehr als Hälfte der 164,3 Mrd. Euro Hilfszusagen an Banken und Investoren zurückfließen.

Die 50 Mrd. Euro zur Bankenrettung sind notwendig, weil vor allem griechische Häuser sehr viel Geld in Staatsanleihen ihres Landes investiert haben (so um die 50 Mrd. Euro). Was mit dem Sozialversicherungsfonds passiert, der 30 Mrd. Euro an Staatsanleihen hält, ist noch unklar. Sollte ihm nicht geholfen werden, wäre es ein ungeheurer Skandal. Auch so wird bereits die Absurdität der Umschuldung deutlich: Von den 110 Mrd. Euro ursprünglicher Entlastung bleiben am Ende 24,5 Mrd. Euro übrig – das sind effektiv nur sieben Prozent der 355 Mrd. Euro Gesamtschulden.“

3. Die Haftungs- und Verantwortungsstruktur der Gesamtvereinbarungen sind dermaßen komplex, dass ich keine Symmetrie mehr erkennen kann zwischen der Verantwortung für eigenes Handeln und daraus resultierenden Haftung. Nach meinem ordnungspolitischen Verständnis ist das eine absolut notwendige Voraussetzung unserer Wirtschaftsordnung. Von dem Haftungsprinzip, also der Verantwortungsübernahme für eigenes Handeln, haben wir uns seit 2007 mit den ersten Bankenhilfspaketen entfernt. Die Vergesellschaftung von Risiken wird nun ausgedehnt auf Staaten. Ich habe bisher keine überzeugende Argumentation für die Rechtfertigung solcher Maßnahmen gelesen.

Für mich haben die Staatshilfen für Banken und Staaten rein gar nichts mehr mit einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu tun. Ich bin hier dicht an der Auffassung von Edmund Phelps und Saifedean Ammous, die vergangene Woche in der FTD von staatlicher Günstlingswirtschaft und Kooperatismus sprachen. Sie beziehen ihre Aussagen zwar nur auf Banken und Unternehmen, ihre Gedanken lassen sich aber ebenso auf Staatshilfen für Staaten ausweiten. Im Namen eines nicht näher definierten „öffentlichen Interesses“ werden Staatsgarantien verteilt, deren Zielerreichung mehr als zweifelhaft ist.

Und was macht der Bundestag heute? Der wird sich wohl für das zweite Rettungspaket aussprechen. Auf Handelsblatt Online ist zu lesen: Breite Mehrheit im Bundestag zeichnet sich ab.

Mehr zum Thema war heute auch in der Webschau auf DradioWissen zu hören.

Nachtrag v. 28.2.12

Bundestag: Plenarprotokoll der 160. Sitzung von Montag, dem 27. Februar 2012 (pdf | 622 KB)

HB: Bundestag verabschiedet das Griechenland-Paket (27.2.12): Der Bundestag hat am Montag dem zweiten Rettungspaket für Griechenland mit großer Mehrheit zugestimmt. Für den Antrag der Regierung stimmten 496 Abgeordnete, dagegen waren 90, es gab fünf Enthaltungen.

HB: Kanzlermehrheit SPD und FDP setzen Merkel zu (28.2.12):Nach dem Verlust der Kanzlermehrheit bei der Abstimmung zum Griechenland-Rettungspaket im Bundestag fordert die SPD personelle Konsequenzen von der Kanzlerin. Die FDP zweifelt am Zusammenhalt in der Union.

Artikel wurde am 27.2. aktualisiert.

Wolf Februar 28, 2012 um 17:56 Uhr

Auf dieser Seite sind – neben anderen Materialien – die parlamentarischen Beratungen über die Eurokrise inklusive der Gutachten der öffentlichen Anhörungen dokumentiert: http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_parlamentaria_bundestag.html Eine Vielfalt von Informationen, die an den politischen Entscheidungsträgern abperlt wie das Wasser an der Seehundhaut

FDominicus Februar 28, 2012 um 14:07 Uhr

Sehr geehrter Herr Elsner, das sehe ich durchaus kritischer. Aber darauf läuft es hinaus. Und die Grenzen wie weit wir uns für andere verschulden dürfen hat der Bundesverfassungsgericht viel zu weit gesteckt. Wenn alle unsere Bürgschaften fällig werden sind wir über einem kompletten Jahresetat und dann wurde noch niemand bezahlt oder irgendetwas angeschafft.

Wir haben eben keinerlei Möglichkeiten unseren „Gewählten“ während der Amtszeit auf die Finger zu klopfen und in dieser Form stinkt Demokratie (Korrekt Parteiokratie).

Dirk Elsner Februar 28, 2012 um 14:42 Uhr

Ich teile Ihre Einschätzung im Hinblick auf die Risiken. Vor allem weil die Risiken für die diversen Rettungsfonds gar nicht in den Haushaltsansätzen auftauchen. Man geht ja immer davon aus, dass der EFSF nicht in Anspruch genommen wird.

FDominicus Februar 27, 2012 um 06:41 Uhr

§125 „Freiwilligkeit“ Griechenland klagt nicht aber die anderen geben freiwillig. Aber trösten Sie sich diese Frage habe ich Herrn Schäuble schon selber gestellt: Hier die Antwort aus dem Finanzministerium
http://fdominicus.blogspot.com/2010/04/also-das-ist-was-ich-bekommen-habe.html

Das ist ungefähr so wie. „Kleiner Querulant, wir ignorieren Sie wo wir können und solange wir wollen“. Politik stinkt.

Dirk Elsner Februar 27, 2012 um 08:01 Uhr

Das Schreiben des Bundesministerium der Finanzen, Referat für Bürgerangelegenheiten, klingt ja ganz schön überheblich.
Dass mit der „Freiwilligkeit“ sehe ich etwas kritischer. Juristisch mögen die Rettungspakete wasserdicht sein, entscheidend ist jedoch, dass die Vereinbarungen gegen den Geist der europäischen Verträge verstößt. Und daraus könnte die Gefahr etrwachsen, dass die ganzen Verträge mehr oder weniger willkührlich werden und an Akzeptanz verlieren. Aber die Dritt- und Viertwirkungen der aktuellen Maßnahmen interessieren ja aktuell ebenfalls nicht.

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