Gastbeitrag von Michael Thaler**
Haben Sie sich noch nie darüber geärgert, dass Ihr Partner der Ihnen beim Börsenhandel über die Schulter blickt und von Aktien keine Ahnung, geschweige denn Interesse, so oft Recht hat? Während Sie in der Milchstraße mit Informationen überschüttet werden und bei der Auswahl geeigneter Aktien einen regelrechten Krieg der Sterne führen müssen, lehnt sich Ihr Partner genüsslich auf der Erde zurück und orientiert sich einfach an den hellsten Sternen. Beide Strategien haben Ihren Pferdefuß. Ohne den täglichen Einsatz tausender professioneller Analysten und Fondsmanager würden wir den Krieg der Sterne gnadenlos verlieren. Durch die Nähe zum „Feuer“ lässt sich die tägliche Entwicklung der Sternenformationen oder Unternehmensentwicklungen gut analysieren, Stärken und Schwächen können abgewogen und im Zeitverlauf beobachtet werden. Der große Vorteil der Erdenbewohner liegt darin, das große Ganze leichter zu erkennen. Eingeblendet werden nur die hellsten Sterne, maßgebliche wirtschaftlicher Ereignisse, gekannt werden nur die Siemens und Exxon-Aktien dieser Welt. Durch den langen Weg des Lichtes zur Erde kann es aber vorkommen, dass Sterne bereits erloschen sind, die für den Ignoranten heute noch hell erstrahlen.
Prof. Gerd Gigerenzer, Psychologe am Max-Planck Institut in Berlin und Autor zahlreicher prominenter Bücher, unter anderem von „Bauchentscheidungen“, argumentiert für die Komplexitätsreduktion. Wer naiv an die Sache geht und nur die hellsten Sterne kennt, hat gute Chancen mit der „Macht der Intuition“ (Rekognitionsheuristik) die Bedeutung von Ereignissen einzuordnen. „Investiere in das was Du kennst“, könnte ein daraus abgeleiteter Leitspruch sein.
Der Psychologe argumentiert, dass wir Menschen gar nicht die kognitiven Fähigkeiten haben alle Argumente pro und kontra zu gewichten und uns dann wie der Homo Oeconomicus zu entscheiden. Stattdessen arbeitet auch unser Gehirn mit einer vereinfachenden Daumenregel. Alle Argumente werden in den Listen pro und kontra angeordnet und dann fechten das beste Pro- und das beste Kontraargument den Kampf unter sich aus. Viele kleine gute Argumente sind also demnach immer einem großen schlechten Argument unterlegen. Damit fahren wir evolutionsbedingt nicht schlecht, es ermöglicht uns schnelle Bauchentscheidungen zu treffen. Und es ist leider ein mächtiger Gegner für die enthusiastischen Sternenkrieger. Viele Detailinformationen sind nicht kriegsentscheidend, die gewichtigen Argumente haben mentale Vorfahrt!
Diversität, verstanden als die Einschätzung aus verschiedenen Blickwinkeln hilft uns nicht nur an der Börse weiter, „realitätsnahe“ Bewertungen zu finden. Sie sehen die Gänsefüße! Solch eine Diversität liefert uns die Börse quasi frei Haus. In der Finanzbranche gibt es nur ein sehr eingeschränktes Urheberrecht, Börsenkurse sind qua Gesetz öffentliche Güter. Da es sich um weitestgehend kostenfrei reproduzierbare Informationen handelt, ist der Diebstahl den täglich mehrere hundert Tausend Börsianer begehen, kaum zu quantifizieren. Sie blicken und profitieren von Charts, die die „privaten“ Transaktionen und Bewertungseinschätzungen anderer Marktteilnehmer abbilden. Jede Transaktion trägt zum öffentlichen Gut des möglichst vollständigen und vollkommenen Marktes bei. Welch hohes Gut öffentliche Informationsgüter sind, müssen Verantwortliche in der Medien- und Urheberrechtsindustrie wohl erst noch lernen, siehe die aktuelle Diskussion um ACTA. Ohne öffentlich verfügbare Preise würde vermutlich die Volatilität der Transaktionspreise explodieren und am selben Tag die unterschiedlichsten Preise für homogene Güter bezahlt werden. Jeder Marktteilnehmer profitiert also bereits von öffentlichen Preisen, sprich Diversität in den Einschätzungen.
Was sind nun „realitätsnahe“ Bewertungen? Im täglichen Leben und in den Sozialwissenschaften haben wir mit einem Phänomen zu kämpfen welches in den klar strukturierten Naturwissenschaften zumindest derzeit keine Rolle spielt: Der Mensch!
Reinhard Selten hat an einem wunderbaren Spiel gezeigt, dass es mit der menschlichen Rationalität nicht weit her ist. Aber wir sind lernfähig und können uns peu à peu zur Wahrheit vortasten. Die Existenz wiederholter Spiele und die Möglichkeit der Iteration wird denn auch bei den meisten „Behaviorial Finance“ Experimenten großzügig ignoriert. Wobei Ignaz Semmelweis, Wiederentdecker der Handhygiene in der Medizin, eine spannende Geschichte erzählen könnte, wie bekannte Medizinkoryphäen seine nachweislichen Erfolge bei der Bekämpfung des Kindbettfiebers auch noch nach Jahrzehnten ignorierten, ja regelrecht bekämpften. Aber das ist ein eigenes Thema.
Selten stellte den Mitgliedern einer Gruppe die Aufgabe, eine Zahl zwischen 0 und 100 zu nennen. Der Teilnehmer würde gewinnen, welcher am Nähesten an der durchschnittlichen Nennung, multipliziert mit 2/3 liegt. Die rationale Antwort aller Teilnehmer nach unendlicher Iteration müsste 0 sein*. Auf einer bedeutenden Ökonomenkonferenz vor wenigen Jahren, das Spiel seit langem veröffentlicht, stellte der Ökonom Michael Mauboussin der anwesenden Gruppe dieselbe Aufgabenstellung. Der im Bereich Verhaltensökonomik forschende Richard Thaler gewann das Spiel, indem er 12,5 nannte. Er antizipierte damit richtig, bis zu welchem Iterationslevel seine Kollegen im Durchschnitt fähig waren. Und genau das ist der Unterschied. Eine Gruppe von Harvard-Absolventen kommt vielleicht näher an die rationale Lösung als eine wild zusammen gewürfelte Gruppe von Passanten – nicht nur auf Grund kognitiver Leistung. Denn es gilt eben auch einzuschätzen, für wie fähig man die anderen Teilnehmer hält, mit der Aufgabenstellung umzugehen.
Und genau vor dieser Aufgabe stehen täglich die Börsianer. Es geht nicht nur darum gute Unternehmen zu finden, es geht auch darum zu antizipieren, welche Aktienunternehmen andere Marktteilnehmer in der Zukunft für gut befinden werden und darum zu antizipieren, was andere Marktteilnehmer antizipieren, welche Aktien andere Marktteilnehmer in Zukunft für gut befinden und …. Dieser Fokus auf die Antizipationsschleife dürfte auch der Grund dafür sein, dass steigende und fallende Aktienkurse selbst verstärkende Elemente (Himmel hoch jauchzend zu Tode betrübt) aufweisen, obwohl wir doch im Supermarkt sehr wohl Sonderangebote für den Kauf zu nutzen wissen.
Und wieso Herr Thaler, haben Sie nun den Mitmachfonds im Jahr 2010 aufgelegt? Beim Mitmachfonds bestimmen prinzipiell alle Fondshalter aus einer vorgegebenen Anzahl von Aktien die jeweiligen Aktienfavoriten. Primär profitiert das Mitmach-Fondskonzept von der Diversität der Bewertungen durch die Teilnehmer. Denn bei jedem Aktienkauf steht grundsätzlich ein Käufer einem Verkäufer gegenüber. Bei uns sind es mehrere hundert Einschätzungen gegen Eine. Der Zufall sollte Ihnen also an der Börse mit 50% Wahrscheinlichkeit erfolgreiche und mit 50% Wahrscheinlichkeiten Nieten ins Portfolio holen. Gute Fondsmanager schaffen vielleicht Erfolgsquoten von 60%. Die Ergebnisse bei uns deuten darauf hin, dass wir darüber liegen – liegt natürlich auch immer an einer sauberen Definition des Zeit- und Vergleichsrahmens (Benchmark). Denn in einer Welt mit Inflation liegen irgendwann wohl fast alle im Plus.
In der Studie „How Wise Are Crowds“ zeigen Eric Kelley und Paul Tetlock (University of Arizona, Columbia University) mit 225 Millionen echten Transaktionsdaten von Privatanlegern in einem Betrachtungszeitraum von 2003 bis 2007, dass bei einem Kaufüberhang sich die jeweilige Aktie bis zu 60 Folgetage besser entwickelt als der Markt. Gleiches zeigt sich auch bei Verkaufsüberhängen. Durch Diversität bei der Bewertung steigt die Chance, dass unsere Aktie zu den hell leuchtenden Sternen gehört. Dies zeigt sich in der Rendite, primär aber auch in der Volatilität. Hinzu kommt, dass die Investition eigenen Geldes im Regelfall risikoavers angegangen wird. Insgesamt deutet viel darauf hin, dass große realwirtschaftliche Tendenzen (iPad, sauberer Strom) von einer Gruppe besser ertastet werden können. Nicht erst durch die Etablierung von sozialen Netzwerken wie Linkedin und Xing zeigt sich, dass über wenige Kontaktstufen Verbindungen zu vielen Branchen bestehen und durch informelle Kommunikation wichtige Indikatoren verbreitet werden.
Letztlich ist Diversität bei der Bewertungsentscheidung ein wichtiger Aspekt aus Risikomanagementgesichtspunkten. Glücklicherweise sind Marktdaten weitestgehend öffentliche Güter, so dass jeder Börsianer bereits mit Blick auf die Börsenkurse vom Wissen-der-Vielen profitieren kann. Der Mitmachfonds sagt, netter Anfang, da geht noch mehr 😉
* Zahlenwahlspiel: Würde der Teilnehmer gewinnen, der am Nähesten am Durchschnitt liegt, würden alle Teilnehmer aus den Zahlen zwischen 0 und 100 wohl korrekt die 50 wählen. Schwieriger wird es aber, wenn der Teilnehmer gewinnt, der am Nähesten am Durchschnitt, multipliziert mit 2/3 liegt. 50 * 0,6666 ergibt 33,33. Wenn aber alle 33,33 wählen würden, läge das richtige Ergebnis bei 22,22. Wenn wiederum alle Teilnehmer die Entscheidungen der anderen Teilnehmer richtig vorhersehen, dann sollten Sie eher auf 14,66 setzen. Bis hinunter zur 0.
** Michael Thaler ist der Initiator des ersten “Mitmachfonds” Deutschlands, der sich das Prinzip der Weisheit der Vielen zu Nutze macht. Siehe zu dem Konzept auch: Fondsmanagement 2.0: Investtor nutzt die Weisheit der Vielen und verspricht große Transparenz
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