Die Muppet Show gibt es nicht nur bei Goldman Sachs

by Dirk Elsner on 17. März 2012

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Kippt das Gebäude von Goldman? (Foto: Elsner)

Ja, ja, Goldman Sachs hat wieder einmal eine Steilvorlage für ein hämische Debatte geliefert. Seit Mittwoch Abend juckte es mir in den Fingern, ebenfalls meinen Senf zu der öffentlichen Kündigung eines Manager der Wall Street Bank abzugeben. Aber das Thema scheint mittlerweile von fast allen Seiten beleuchtet zu sein. Und nicht nur die Finanzwelt hat sich zwei Tage das Maul über Goldman Sachs zerrissen und weiter die Legende vom König des Smart Moneys entzaubert.

Mich überrascht an den öffentlichen Reaktionen eigentlich vor allem, dass Smith überhaupt eine so starke Debatte ausgelösen konnte und dass sie sich hauptsächlich (noch?) auf Goldman Sachs konzentriert. Wer sich über die inhaltlichen Punkte aus dem Eingeständnis von Greg Smith wundert, dem würde ich spontan diagnostizieren, dass er die letzten 30 Jahre auf einem tropischen Eiland ohne Kontakt zur Außenwelt gelebt hat. Keiner der Punkte, die Greg Smith zu seiner Kündigung bei Goldman Sachs bewogen hat, sind wirklich neu. Inhaltlich unterscheiden sich die Äußerungen von Greg Smith nicht von denjenigen der Bankberater, die vor ein paar Jahren in der Wirtschaftswoche Internas über den Umgang mit Kunden auspackten. Die Heftigkeit der Reaktion resultiert wohl einzig daraus, dass das Kündigungsschreiben durch die Veröffentlichung auf der Meinungsseite der New York Times eine besondere Adelung erhielt.

Smith klagt, es gehe nur noch darum, aus jedem Geschäft so viel Geld wie möglich herauszupressen, ohne Rücksicht auf die Interessen der Kunden. Das ist aber keine spezifische Feststellung, die nur auf Goldman Sachs zutrifft, sondern man hört sie aus vielen Finanzhäusern (siehe dazu Guardian “Beyond Goldman Sachs: the nasty culture”) und übrigens auch von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors. Man hört sie vor allem aus den Unternehmen, in denen die Anreizstrukturen für Management und Mitarbeiter so gesetzt werden, dass sie am meisten dann profitieren, wenn sie den maximalen Deckungsbeitrag aus ihren Kunden holen. Solche Anreizstrukturen funktionieren in der Praxis meist recht gut.

Viele Unternehmen haben sich eines wichtigen Korrektivs gegen die “Ausbeutung” ihrer Kunden selbst beraubt durch die Kultivierung einer ausgesprochen gnadenlosen Up-or-Out-Politik für ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte. Entweder schaffst Du es, schnell und effizient möglichst die Vertriebserfolge und Deckungsbeiträge zu realisieren oder Du bist raus. Für die Übererfüllung der Vertriebsziele durch „nie gekannte Bereitschaft zur Abzocke“ (FAZ) wartet ein reichhaltiges Inzentiveprogramm, für die Verfehlung das Arbeitsamt. Aktuelles Beispiel gefällig? FTD “Deutsche Bank räumt bei Oppenheim auf”.

Der große Feher einer solchen Personalpolitik ist, dass sie ihren Mitarbeitern extrem attraktive Anreize setzt (hohe Anerkennung in der eigenen Community, Aufstieg, Bonuszahlungen), die kurzfristigen Deckungsbeiträge aus Kundenbeziehungen zu maximieren, den langfristigen Marktwert eines Kunden aber ignoriert. Je größer außerdem die Intransparenz von Geschäftsaktivitäten, desto unwahrscheinlicher ist, dass Kunden „toxische und destruktive“ Konstruktionen erkennen. Komplexe Geschäftskonstruktionen, die im Investmentbanking zum Standard gehören, fördern dies entsprechend. Damit ist übrigens auch erklärbar ist, warum einige Finanzmarktkonstrukte nicht einmal die Banker selbst mehr verstehen.

Die Wall Street spricht ja bereits von einer Rekrutierungskrise, wenn man nun die Anreizsysteme für neue Mitarbeiter ändert. Herumreiten könnte man daher erneut auf der Legende, dass man ohne die entsprechenden gehaltlichen Anreize nicht die besten Talente von den Hochschulen und Business Schools bekommen würde. Bisher konnten die Investmentbanken offenbar die besten Gehälter zahlen. Aber haben sie damit tatsächlich die besten Talente gewonnen? Wenn diese These stimmen würde, dann hätte sich die Finanzbranche wohl kaum in die Finanzkrise hineingeritten und hätte mit Billionen staatlicher Unterstützung zig Mal gerettet werden müssen.

In Frage stellen sollten Unternehmen aus einem weiteren Grund, ob es sinnvoll ist, eine der großen Investmentbanken für eine Übernahme oder eine Börsenemission hinzuziehen. Investmentbanker verkomplizieren Unternehmenstransaktionen in einem Maße, dass die meisten Manager glauben, sie kommen ohne die Goldmänner nicht aus. Investmentbanker glauben, sie leisten gerade bei Unternehmenstransaktionen einen besonderen Beitrag dazu, Angebot und Nachfrage zusammen zu bringen  (siehe dazu dieses Interview mit Alexander Dibelius von Goldman Sachs). An diesem Mythos der letzten Jahrzehnte hat trotz der Finanzkrise kaum einer gerüttelt. Dabei lässt sich empirisch nicht zeigen, dass mit Hilfe von Investmentbanken strukturierte Unternehmenstransaktionen besser funktionieren.

Goldman Sachs und der als öffentlicher Prügelknabe dienende Chef Lloyd Blankfein (seine schmale PR-Reaktion übrigens hier) scheinen, wie viele andere Banken, den Paradigmenwechsel nicht zu verstehen. Ich will das hier nicht erneut vertiefen. Aber Smith bestätigt erneut nur das, was ich zuletzt im Beitrag “Warum Banken den Paradigmenwechsel ihres Sektors nicht verstehen” geschrieben habe. Und mittlerweile halten immer mehr Mitarbeiter, übrigens nicht nur bei Goldman Sachs, die Art, wie Finanzhäuser (nicht) kommunizieren für überholt (siehe dazu auch FT Silence is no longer Goldman).

Was Studien, Praxiserfahrungen, Strafen bisher nicht ändern konnten, kann vielleicht der zentrale Satz in Smith´ Text bewirken: “Over the last 12 months I have seen five different managing directors refer to their own clients as “muppets,” sometimes over internal e-mail.” Kein Kunde, kein Manager lässt sich gern als Muppet verhöhnen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass genau dieser das Alphaego treffende Satz viele bisher gutgläubige und sich durch das Ansehen von Goldman geschmeichelt fühlende Klienten zum Nachdenken bringen wird. Da hilft es auch nicht, dass die Original Muppets tatsächlich Kunde von Goldman sind.

Ausgewählte Reaktionen zum Abschiedsbrief von Greg Smith

FAZ: Öffentliche Kündigung Manager wirft Goldman moralischen Verfall vor (14.3.12): Denkwürdiger Abschied: Die „New York Times“ hat das Kündigungsschreiben eines Derivatehändlers von Goldman Sachs abgedruckt. Dieser beschreibt das Umfeld in der amerikanischen Bank als „giftig und zerstörerisch“.

HBR: What Happened to Goldman Sachs? (15.3.12): Greg Smith’s resignation op-ed from Goldman Sachs Wednesday raised a zillion questions. What was the back-story? What was with the ping pong? And what’s wrong with being a muppet?

HB: Reaktionen auf Mitarbeiter-KritikGoldman Sachs und die Prostitution in Vegas (15.3.12): Die öffentliche Abrechnung eines Ex-Mitarbeiters mit Goldman Sachs schlägt hohe Wellen. Für die einen ist er ein Held, für die anderen ein Aufschneider. Ihre Freude an der Affäre haben derweil die Comedians.

FTD: Nach öffentlichem Brandbrief Das Netz spottet über Goldman (15.3.12): Die öffentliche Abrechnung eines Goldman-Mitarbeiters hat eine neue Diskussion über die Investmentbank entfacht. Kritikern und Komikern kommt der Brandbrief gelegen: Im Internet kursieren bereits jede Menge Parodien.

NOB: Can people be fooled again and again? (Goldman Sachs edition) (14.3.12)

NYT-DB: Public Rebuke of Culture at Goldman Opens Debate (15.3.12): Until early Wednesday morning, Greg Smith was a largely anonymous 33-year-old midlevel executive at Goldman Sachs in London.

NYT-DB: Interactive Feature: A Chorus of Criticism for Goldman (15.3.12)

WSJ: More Than Culture Shifted On Wall Street (15.3.12)

Guardian: Beyond Goldman Sachs: the nasty culture (14.3.12): Greg Smith’s portrait of Goldman Sachs is shocking, but investment banks treat their clients as poorly as they do their staff

Diskussion in der NYT in Does Morality Have a Place on Wall Street?

DealBook: Public Rebuke of Culture at Goldman Opens Debate

Interactive Feature: A Chorus of Criticism for Goldman

HEARD ON THE STREET: More Than Culture Changed on Wall Street

Marsman März 17, 2012 um 02:23 Uhr

Also ich glaube Österreicher nennen so eine Kultur „sch …ssfreundlich“.
Womit ein ausgesprochen schizophrenes Kundesverständnis gemeint ist.
In manchen österreichischen, Wiener, Filmen wurde das des öfteren etwa
im Gastgewerbe recht herrlich dargestellt.
Ein Kellner zieht in der Küche über die ihm bekannten Kunden, Stammgäste,
her, lässt an diesen kein gutes Haar. Nur um dann, die Speisen den Gästen
servierend, wirklich katzbuckelnd und alleruntertänigst den Herrschaften alle
erdenklichen Komplimente macht, unter Umständen gar noch das Kleid der
gnädigen Frau lobt über das er sich zuvor in der Küche so ausgelassen hat
„na wie die wieder aussieht!“ Mit anderen Worten, in Form ein schwarz – galligen
Komödie eben derlei Verhältnisse genüsslich zelebriert.
Nur dass es bei Goldmann und anderen eben um Geld, sehr viel Geld, geht
und dann halt die Kunden auch deswegen mal, bei genauerem Nachdenken
und Nachrechnen, ein wenig aus den Wolken fallen.

Vielleicht auch interessant:
vom WDR gibt es eine sehr gut gemachte Dokumentation über Frau Schickedanz,
die Quelle – Erbin, die durch die Banken zugrunde gerichtet wurde, ebenso
wie die Kaufhausketten. Die Doku ist sehr angenehm gemacht, zeigt
das ganze Umfeld in dem es mal sehr vornehm zuging. Ein Fall, in dem
alles zu Tode gerettet wurde und damit symptomatisch ist für viele
ähnliche Massnahmen in der Gegenwart.
http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2011/05/02/die-story.xml

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