MF Global: 1,6 Mrd. US$ verschwundene Kundengelder, keine Anklage aber Bonus für das Management

by Dirk Elsner on 28. März 2012

Bei der im November letzten Jahres in Konkurs gegangenen Investmentbank MF Global fehlen weiter 1,6 Mrd. US$ an Kundengeldern. Die vom ehemaligen Goldman Sachs CEO und Ex-Gouverneur von New Jersey Jon Corzine geleitete Bank hatte sich angeblich mit europäischen Staatsanleihen verspekuliert. Insgesamt soll das Institut, so dass Handelsblatt im Januar, hoch riskante Geschäfte durchgeführt haben. Laut Wikipedia handelte es sich um die achtgrößte Firmenpleite der US-amerikanischen Geschichte und die Größte seit der Pleite von Lehman Brothers 2008. Laut Telepolis und nach einer Analyse des Finanzinformationsdienstes Thomson Reuters zeigt der Fall von MF Global, dass sich die Finanzmärkte, zu einem „unkontrollierten Pyramidenspiel“ (Stichwort für die Profis ist re-hypothecation-Skandal) entwickelt haben und wild sogar mit Kundengeldern spekuliert wird.

Wie gesagt, seit vier Monaten befindet sich das Institut in der Abwicklung und noch immer kann nicht erklärt werden, wo 1,6 Mrd. US$ Kundengelder verblieben sind und wer dies zu verantworten hat. Nun gab es Streit, so dass Wall Street Journal im März, über Bonusansprüche (hier Halteprämien genannt) für drei Manager, die dem Insolvenzverwalter bei der Abwicklung geholfen habe. Sie erhielten Prämien während viele Kunden und Geschäftspartner noch keinen Cent gesehen haben. Darüber sich aufzuregen ist freilich müßig, denn tatsächlich muss für die Abwicklung eines Unternehmens entsprechend kompetentes Personal zur Verfügung stehen, und das arbeitet nicht umsonst (ist übrigens auch in Deutschland so, wie das Beispiel Pfleiderer zeigt).

Der eigentlich Skandal aber ist, dass trotz der nicht auffindbaren Kundengelder bisher kein Verfahren gegen das ehemalige Management angestrengt wurde. Corzine selbst erklärte im Dezember vor einem Untersuchungsausschuss Kongresses, dass die fehlenden Kundengelder auf für ihn undurchschaubare Weise in den letzten, chaotischen Tagen vor dem Zusammenbruch verschwunden seien. Er selbst „sei am Boden zerstört“ und habe „keine Ahnung“, wo die Gelder wären, und es tue ihm so leid (zitiert nach Rainer Sommer auf Telepolis, mehr dazu in diesem Video einer Anhörung vor dem US-Kongress).

Nun ist angesichts der weiter verwirrenden Situation Peter Henning vom Dealbook der New York Times und Rechtsprofessor der Kragen geplatzt, weil man das Management so unangetastet lässt. Er veröffentlichte am Monat einen Beitrag, in dem er zeigt, wie man einen Kriminalfall führen könnte. Deutlich macht er, dass in jedem Fall eine strafbare Handlung vorliegt wegen eines Verstoßes gegen Commodity Exchange Act, 7 USC § 13(a)(1):

“The statute makes it a crime to “to embezzle, steal, purloin, or with criminal intent convert to such person’s use or to the use of another, any money, securities, or property having a value in excess of $100” from a customer of a futures or commodities broker. A violation is punishable by up to 10 years in prison and a $1 million fine.”

Auf Basis dieser Vorschrift entwickelt Henning eine Kausalkette, aus der die Justiz eine Anklage ableiten könnte. Im Kern steht, dass bewusste Blindheit (“willful blindness”) ebenfalls als Absicht gewertet werden kann. Das wäre so etwas wie “vorsätzliches Nichtwissen”, wenn Juristen solche Ausdrücke überhaupt benutzen.

Um es jetzt hier kurz zu machen, zeigt Henning, dass für das “Abdichten” des Vorwurfs gegen Corzine eine Zeugenaussage für eine bestimmte Zahlung an JPMorgan Chase in London (mehr Hintergrund dazu in diesem Beitrag) notwendig ist, um eine direkte Anweisung eines JC´s zu interpretieren. Mit dieser Zahlung sollten zusätzliche Sicherheiten hinterlegt werden. Solche Sicherheiten dürfen aber nicht aus Kundeneinlagen oder -wertpapieren erfolgen. Die Zeugin, Edith O’Brien, ist heute für eine Anhörung vor einem Untersuchungsausschuss in den U-Kongress geladen. Das Problem, sie kann sich durch die Aussage auch selbst belasten und deswegen die Aussagen verweigern. Deswegen wird wohl jetzt hinter den Kulissen um Immunität für O´Brien gerungen. Das alles klingt in Hennings Beitrag noch komplizierter als hier.

Erschreckend an diesem Fall ist selbst für Wall Street Insider, dass trotz diverser Aussagen, umfangreicher Dokumentation und der Tatsache, dass Kundengelder nicht auffindbar sind, keine belastbaren Beweise (smoking gun) vorliegen, dass jemand die Verantwortung trägt für einen Verstoß gegen den Commodity Exchange Act. Wenn aber niemand die Verantwortung trägt, dann hat das Management das Unternehmen dilettantisch und grob fahrlässig geführt. Das scheint aber kein Verstoß gegen dieses oder ein anderes Gesetz zu sein. In Deutschland etwa verpflichtet § 93 des Aktiengesetzes die Vorstandsmitglieder zu entsprechenden Sorgfaltspflichten.

Insgesamt sind die öffentlich werdenden Hinweise widersprüchlich. Gerade gestern noch dokumentierte das Deal Journal allerdings Hinweise, dass die Probleme von MF Global keine Überraschung waren. Wer noch tiefer einsteigen will in den Fall MF Global, der schaut in die gesammelten Beitrag hier vom Dealbook der New York Times oder hier von FTAlphaville. Es ist aber zu befürchten, dass man selbst nach der Anhörung im Untersuchungsausschuss nicht schlauer sein wird.

Die Anhörung gibt es hier live auf C-Span. Dazu berichtet, wer auch sonst, das Dealbook der NYT unter Harsh Words as Lawmakers Begin MF Global Hearing

Nachtrag vom 27.3.

Die Bonusgeschichte war dann wohl doch zu viel. Im US-Kongress rührt sich Widerstand dagegen und man will einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschieden, der es untersagt, Bonuszahlungen an das Management bankrotter Banken auszuschütten (Mehr dazu hier). Danke für den Hinweis an Ken D. von Eurozone Remarks.

 

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