Von Markus Gaertner*
Keine Frage: Die (Finanz-)Welt steht vor entscheidenden Tagen. Das hört nicht nur, wer an diesem Wochenende Mario Monti lauscht: “Wir sind schon einmal vor dem Abgrund zurückgewichen, aber das Loch wird jetzt größer, und es könnte uns verschlingen, wir sind wieder in einer Krise” Das sagte Monti am Samstag bei einem Auftritt in Mailand.
Wow, ein Loch, das Italien zu verschlingen droht. Und das sagt der Regierungschef, der vor sieben Monaten Herrn Berlusconi ablöste, um das Land in ruhigeres Fahrwasser zu steuern.
Eigentlich sollen immer neue Regierungen in Europa irgendwann einmal die Krise eindämmen und beenden. Aber es scheint, als würde das schier unaufhaltsam voran schreitende Drama stattdessen immer schneller die neuen Regierungen verspeisen. Denn Montis Reformpusch steckt fest, der Mann kommt kaum weiter voran.
Wie gefährlich muss eine solche Krise eigentlich werden, damit sich die Regierungschefs endlich zusammen in ein selbst gewähltes Arbeitslager begeben und solange nicht herauskommen, bis sie uns einen überzeugenden Fahrplan präsentieren können ? Vatikan: Habt Ihr gerade das Zimmer mit dem Kamin für den weißen Rauch frei ?
Nicht überall ist die Dringlichkeit – die aus Montis mahnenden Worten klingt – an diesem Wochenende zu hören oder zu sehen. Wer am Samstag die Europa-Nachrichten der Huffington Post aufsucht, findet prominent platziert den Bericht über einen österreichischen Politiker, den eine im Wald versteckte Ornithologen-Kamera beim Spaß unter Bäumen filmte.
Doch ansonsten mehr vom Üblichen: Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker wendet sich mit einem dramatischen Appell an die Griechen: Ein Sieg der Linksradikalen habe “unabsehbare Folgen für die Währungsunion”. Ist das ein spätes Eingeständnis ? Oder ist es die dreiste Angstmacherei des Premiers von Luxemburg, dessen BIP weitgehend auf der Aktivität von Banken beruht ?
Und wir hören den ehemaligen britischen Premier Gordon Brown. Seine Warnung: Die “üblichen, aber oft leeren” Pläne, die auf diversen Gipfeln beschlossen wurden, “werden nicht helfen, wenn die Eurozone ihren Tag der Wahrheit erreicht.” Browns zweite Warnung: Die Krise drohe, sich auf Italien und selbst Frankreich auszudehnen und Rettungspakete zu erzwingen.
Wow, für eine halb so dramatische Feststellung bezog Österreichs Maria Fekter in dieser Woche kräftig Prügel. Über Brown fällt keiner her. Weil er mehr Gewicht hat ? Weil er Brite ist und niemand etwas anderes erwartet ? Oder weil sein Befund jetzt kaum noch zu bestreiten ist ?
Beim “Spaziergang” im Blätterwald bin ich an diesem Wochenende auf so manches gestoßen, was mich erstaunt. Zum Beispiel im Spiegel.
1 Dort schreibt Wolfgang Münchau über “Die Mär von der Überlastung Deutschlands.” Ein Zitat daraus: Die deutsche Position ist zum Teil irrational. Man will seine Kreditrisiken strikt begrenzen, aber man will auch nicht, dass der Euro auseinander bricht. Und wenn man die beiden Ziele nicht in Einklang bringen kann, dann schlägt man verbal um sich. Das Verhalten erinnert eher an einen Psychopathen, der sich eine Waffe an die Schläfe hält und Drohungen ausspricht. – Hmmm. Ich bin, wie jeder hier weiß, kein Anhänger der Merkelschen Krisenpolitik. Aber wenn man einen Punkt in ihrer Strategie, wenn es eine gibt, versteht, dann ist es doch dieser: Das deutsche Portemonnaie wird vor allem deshalb zögerlich weiter geöffnet, weil so mehr Druck für Reformen in den Wackelländern erzeugt werden soll.
2 David Rosenberg, ehemals Nordamerika-Chefvolkswirt bei Merrill Lynch, gestand in dieser Woche, dass er jetzt “ein Licht am Ende des dunklen Tunnels” sieht. In einem Beitrag mit dem Titel “Die Wolken teilen sich” (klingt so wie damals, als sich das Wasser teilte) sagt Rosenberg, er sei “so aufgeregt, dass ich es gar nicht verbergen kann.”
Wow: Griechenland hält eine Wahl mit unabsehbaren Folgen ab, Gordon Brown befürchtet Bailouts für Frankreich und Italien, die Kunden in Spanien leeren ihre Bankdepots, China und Indien bremsen stark ab, die USA erleiden in einer keineswegs überzeugenden “Erholung” einen beängstigenden Rückschlag – und Herr Rosenberg sieht das Licht am Ende des Tunnels. – Hat der Mann ein schwarz-weiß-Problem ?
3 Die New York Times findet, es sei an der Zeit, jetzt langfristig in Europäische Aktien zu investieren. Das Blatt zitiert den Befund des Vermögensberaters Litman Gregory Asset Management: “We think the markets have gotten ahead of themselves, they’ve priced in so many problems for Europe that, on a relative basis, European stocks look very attractive for long-term investors.”
Hat sich die gute alte NYT da zur Postille für einen der Wall Street-Cheerleader gemacht ? (Das Blatt bringt den Artikel mit der Abbildung einer Euro-Münze, aus der eine Zündschnur herausragt). Oder ist das die alte Philosophie vom kaufen, wenn die Kanonen donnern ? – So weit ist es in Europa nicht, fürchte ich. In der laufenden Krise werden wir es noch erleben, dass die Börsen geschlossen werden. Erst dann mache ich mir eine Liste über die am meisten ausgebombten Aktien mit Zukunft.
* Markus Gaertner ist freier Journalist und lebt und arbeitet in Vancouver. Seinen Beitrag, der ursprünglich hier erschienen ist, wird mit seiner Zustimmung hier als Crossposting übernommen.
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