Die Sommerpause im Blick Log dauert an. Es wird zwar vereinzelte Beiträge geben, aber auch ein privates Blog darf sich auch einmal eine Auszeit nehmen. Überbrückt wird diese Auszeit mit bereits erschienen Beiträgen, die ich immer noch für aktuell halte oder die in anderer Weise einen Bezug zu aktuellen Ereignissen haben.
Nach meiner Urlaubslektüre war ich wieder einmal angetan davon, wie weit Physik, Biologie oder gar die fachbereichsübergreifende Chaosforschung mit ihren Erkenntnissen und Forschungsprogrammen sind, erst recht, wenn man dies mit der traditionellen Ökonomie vergleicht.
Nun will ich mir nicht anmaßen, ein fundiertes Urteil über den erkenntnistheoretischen Stand der Methoden und des Forschungsprogramm der verschiedenen ökonomischen Fachrichtungen abzugeben. Dazu bin ich mittlerweile viel zu weit weg vom dem wissenschaftlichen Betrieb und zu tief in der Praxis eingebunden. Ich kann nur das wahrnehmen, was vermittelt durch die eine oder andere Fachzeitschrift, in Ökonomieartikeln in Tages-, Wochenzeitungen, Blogs und durch die Stellungnahmen von Fachleuten angeboten wird. Leider ist das nicht besonders viel, obwohl ich stets versuche, Beiträge über den aktuellen Stand der Ökonomie aufzusaugen, soweit die Erkenntnisse auch in der Praxis weiterhelfen.
Nein, ich relativiere die letzte Aussage. Natürlich gibt es unzählige ökonomische Beiträge, dies zeigen allein die Themenseiten des Blick Logs. Freilich entsteht gerade bei der Lektüre über die Erklärung ökonomischer Phänomene, wie insbesondere die Finanzkrise oder die Analyse “erfolgreicher” Volkswirtschaften oder Unternehmen, der Eindruck einer ausgeprägten Beliebigkeit ökonomischer Argumente und eine immer noch strenge Orientierung am neoklassischen Paradigma. Dabei vermitteln “Experten” den Eindruck ein Erklärungsmonopol auf volks- und betriebswirtschaftliche Themen zu besitzen und liegen doch oft meilenweit daneben mit ihren Erklärungen.
Besonders deutlich wird dies, wenn man sich im Blick Log einmal die Textsammlungen über ökonomische Prognosen und Zustandsbeschreibungen am besten chronologisch beginnend anschaut (dazu auf dieser Seite mal die Überschriften von unten nach oben lesen und dann auf dieser Seite fortsetzen).
Wie gesagt, ich war angetan von meiner Urlaubslektüre, deren Schwerpunkt ich diesmal nach den Themen Komplexitäts- und Chaosforschung sowie Behavioral Economics ausgewählt hatte. Nach meinem Eindruck bewegt sich aber der Mainstream der Ökonomie, zumindest soweit ich sie wahrnehme, auf einem Stand, den die Physik mit den Newtonschen Gravitationsgesetzen erreicht hatte, dem vorherrschenden Paradigma im 19. Jahrhundert, das aber im letzten Jahrhundert abgelöst wurde durch Relativitätstheorie, Quantenmechanik und Chaostheorie.
Der Franzose Henri Poincaré entdeckte Ende des 19. Jahrhundert die Defizite der Newtonschen Physik, die nur unter bestimmten Bedingungen und unter bestimmten Annahmen gilt. Newtons reduktionistisches Modell konnte viele Phänomene in der Natur nicht erklären. So waren die Gleichungen etwa für drei Körper nicht mehr lösbar, soweit ich die Ausführungen verstanden habe.
Ohne jetzt auf die Details einzugehen, kommt mir der Vergleich der Newtonschen Physik mit der leider immer noch vorherrschenden neoklassischen Wirtschaftstheorie sehr passend vor. Newtons Gleichungen sind einfach und helfen tatsächlich in der Praxis bei vielen Berechnungen. Sie versagen aber stets dann, wenn die Komplexität steigt. Ähnlich ist es bei der vorherrschenden Wirtschaftstheorie. Unter eng gesetzten Annahmen leistet sie ebenfalls partielle Erklärungsbeiträge. Sie versagt aber bei der Erklärung vieler und vielleicht sogar der meisten Phänomene der Wirtschaftspraxis. Erst recht eignet sie sich nicht für die Erklärung solcher Ereignisse, wie die Finanzkrise.
Der noch herrschende Mainstream der Ökonomie, so mein Eindruck, kann mit vielen Begriffen der Physik, Biologie oder Komplexitätsforschungs nichts anfangen. Turbulenzen, Rückkopplungen, seltsame Attraktoren, Selbstähnlichkeit, natürliches Driften, Autopoise, unmögliche Vorhersehbarkeit und viele andere Begriffe, auf die ich bei der Lektüre nicht zum ersten Mal gestoßen bin. Sie beschreiben Sachverhalte, die durchaus auf ökonomische Sachverhalte zutreffen könnten. In der Mainstreamökonomie versucht man aber immer noch mit dem Sextanten die Position zu bestimmen.
Immerhin, die Behavioral Economics und die Experimentalforscher lösen sich vom neoklassischen Paradigma und versuchen neue Blickwinkel in die Ökonomie zu bringen. Malte Buhse schreibt im Handelsblatt über ein weiteres zartes Pflänzchen, nämlich von Ökonomen, die sich von Charles Darwin inspirieren lassen. Und gern lasse ich mich davon überzeugen, dass es in der Ökonomie einen weitaus umfassenderen Aufbruch in neue Richtungen gibt.
Jedenfalls bestätigte meine Urlaubslektüre wieder einmal, warum Investmentbanken lieber Physiker, Biologen, Psychologen und Vertreter weiterer Fakultäten für ihr Risikomanagement und Analysen einstellen als Wirtschaftswissenschaftler.
Lieber Herr Elsner,
ihr Artikel spricht mir aus dem Herzen, besonders: “ Nach meinem Eindruck bewegt sich aber der Mainstream der Ökonomie, zumindest soweit ich sie wahrnehme, auf einem Stand, den die Physik mit den Newtonschen Gravitationsgesetzen“.
Vielleicht ist dies ja auch kein Wunder, denn die Entstehung der Wirtschaftswissenschaften ist ja auch vom naturwissenschaftlichen physikalischen Denken beeinflusst. Wenn ich mich recht erinnere, sind die Parallelen recht gut in Beinhokers Buch beschrieben (da schliesse ich mich dem Kommentar von mounainsteve an).
Eigentlich hätten die Schwächen der herkömmlichen Ökonomie sehr viel früher entdeckt werden müssen. Denn Ökonomie ist doch in letzter Konsequenz „nur“ das Ergebnis menschlichen Handels innerhalb eines oder mehrerer Systeme.Leider bedingen sich diese aber gegenseitig mit Rückkopplungen.
Welchen Erkenntnisse anderen Wissenschaften sollten die Ökonomen sich also zuwenden, bzw. berücksichtigen?
Menschen : Psyschologie und warum nicht auch mal auf die Anthropologen schauen
Menschen in Systemen: Soziologie
(Menschen als Lebewesen: Biologie; da weiss ich nicht so recht?)
Sich entwickelnde „lebendige“ Systeme: Evolutionstheorie
Sich gegenseitig beeinflussende Systeme mit Rückkopplungen: Chaostheorie
Weil alles menschliches Verhalten innerhalb von Rahmenbedingungen stattfindet, müsste man auch noch Teilbereiche der Politikwissenschaften und Rechtswissenschaften berücksichtigen.
Jetzt kommt vielleicht der Einwand, ich könnte hier gleich alle Wissenschaften aufführen. Solch eine Forderung würde eine Ökonomie natürlich inpraktikabel machen, das ist mir schon klar. Die Forderung an eine neue interdisplinäre Ökonomie, soll nicht die grundsätzlichen ökonomischen Fragestellungen ins Uferlose ausweiten. Sie soll aber Schnittstellen ermitteln und prüfen, inwieweit Erklärungsansätze aus anderen Disziplinen zu besseren Ergebnissen der Ökonomie führen kann.
Einen erholsamen und anregenden Urlaub wünsche ich.
Den Vergleich zwischen den Naturwissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften finde ich spannend.
Der m.E. entscheidende Unterschied scheint mir die Komplexität der „Wirtschaftswissenschaft“ zu sein. Hier reicht es nämlich nicht mehr, sich nur auf seinem Fachgebiet zu bewegen. Um funktionierende Modelle entwickeln zu können muss man vielmehr von Betriebswirtschaft, Finanzwirtschaft , Volkswirtschaft, Sozialwissenschaft und vielleicht noch anderen Themen grundlegende Kenntnisse haben. Diese Wissensvielfalt werden aber sicher nur ganz wenige Wissenschaftler wirklich in einer Peron auf sich vereinen.
Ich würde solche Wirtschaftmodelle von der Komplexität am ehesten mit differenzierten Klima-Modellen vergleichen. Eine unüberschaubare Anzahl an Parametern und kleinste Abweichungen verfälschen das Ergebnis um Lichtjahre.
Nicht zu Unterschätzen sind auch die Auswirkungen von externen Regeländerungen. Hier sei nur mal beispielhaft die „Eigenkapitalhinterlegung der Banken für ihre Assets nach Basel 1-x“ oder auch die Einführung von „Aufstockerleistungen nach Hartz“ genannt, die solche Modelle von Heute auf Morgen auf den Kopf stellen können. Wenn man die Sache nun noch Global sieht, ist es wahrscheinlich schlicht unmöglich ein aussagekräftiges Modell zu entwickeln, das nicht morgen schon wieder überholt ist.
Danke für ihren Artikel obwohl Sie doch im Urlaub sind.
Schönen Resturlaub!
Mit Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen. Selber Physiker, drängt sich mir der Eindruck, den Sie von der vorherrschenden Mainstream-Ökonomie beschreiben, auch schon seit Längerem auf.
Die Modelle sind zwar simpel, aber ebenso unfähig die tatsächlichen Entwicklungen zu prognostizieren. Selbstverständlich zählen in unterschiedlichen Disziplinen unterschiedliche Maßstäbe. Aber dem Vergleich mit den Naturwissenschaften darf sich die Ökonomie auch nicht gänzlich entziehen.
Noch eine kurze Anmerkung zu dem Dreikörperproblem:
Anders als das Zweikörperproblem, z.B. isolierte Bewegung der Erde um die Sonne, lässt sich das Dreikörperproblem nicht analystisch lösen. Auch heute noch nicht. Das liegt aber nicht an einem Versagen der Theorie, denn die Newton’sche Mechanik und die Keplergesetze beschreiben es hervorragend, sondern an der Komplexität der zu lösenden Bewegungsgleichungen. Es gibt Probleme, und davon nicht zu wenige, die sich nicht in einer geschlossenen Form, also analytisch, sondern nur numerisch lösen lassen. Natürlich handelt es sich dabei dann nur um eine Näherung, die jedoch bei genügend hoher Genauigkeit, beliebig gute Vorhersagen treffen kann (Genügend Rechenleistung vorausgesetzt).
Was die Ökomomie nach rund 300 Jahren endlich einmal bräuchte, wäre Nachwuchs, der vernünftig modellieren kann. Also Informatiker, Physiker und Mathematiker.
Natürlich werden begabte Informatiker, Physiker und Mathematiker nach ihrem Diplom niemals eine Promotionsstelle an einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät annehmen.
Darum ist die Ökonomie auf dem Niveau einfacher Statistik stehengeblieben. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob es reicht, sich von guten Ideen aus anderen Disziplinien „inspirieren“ zu lassen. Schwieriges Fachwissen ist nötig, und ich sehe keinen Weg, wie die Ökonomie an so etwas herankommen soll.
zum thema modelle in den naturwissenschaften vs ökonomie ewmpfehle ich das sehr lesenswerte buch von eric d. beinhocker „die entstehung des wohlstands“.
jeder der sich schon mit mit analysen, resp modellierung von dynamischen systemen befasst hat (wozu wohl unbestritten alle sozialsysteme, inklusive des ökonomischen, zählen), kann sich wohl nur ungläubig die augen reiben, ob den simpelsten gleichgewichtsannahmen der ökonomischen modelle…! jedermann (-frau) am bekanntesten sind wohl die täglich im tv kommentierten wetter-vorhersage-modelle, jeder angehenden ökonom sollte sich mal mit den annahmen,resp. konsequenzen dieser modelle befassen…
[…] Jedenfalls bestätigte meine Urlaubslektüre wieder einmal, warum Investmentbanken lieber Physiker, Biologen, Psychologen und Vertreter weiterer Fakultäten für ihr Risikomanagement und Analysen einstellen als Wirtschaftswissenschaftler. […]
Dem kann man nur zustimmen.
Das Problem ist man kann eben „keine“ abgeschlossenen Experimente fahren. Auch das wurde von der von mir favorisierten Denkrichtung schon lange mit angeführt.
Statistische Verfahren dürften helfen, können aber eben nicht schwarze Schwäne erklären.
Immer geht es im Endeffekt um Menschen und das Problem ist doch „offensichtlich“, Menschen sind eben nicht einfache Maschinen die bei jedem Input den gleichen Output ausspucken. Also kann man zwar auch in die Vergangenheit schauen aber man kann daraus nicht schließen was in Zukunft gelten wird.
Schauen Sie sich doch die Entwicklung der „sozialen“ Marktwirtschaft an. Erhardt war von heute aus betrachte aber so was von unanständig liberal.. Und heute alle Parteien sind weit nach linke gerückt. Und entsprechend die Gesetze und auch die Ausweichsbewegungen auf Gesetze.
Menschen ziehen eben insgesamt auch die Gemeinheiten von Staaten in Betracht und davon haben wir ja in den letzten Jahren überreichlich bekommen. Fragen wir uns mal dumm warum geben die Deutschen so viel aus. Nun es lohnt sich offenbar nicht zu sparen sondern man nimmt wie der Staat lieber Schulden auf. Schauen Sie sich die Anzeigen von Autofirmen an dort steht irgendwo im Kleingedruckten 25 000 € oder so und beworben wird mit . „Ihr Golf für 100 €/Monat“ oder so.
Früher haben alle Leute mit Bargeld bezahlt und nicht umsonst gibt es den Spruch. „Nur Bares ist Wahres“ was andere auch anders schreiben nur Gold und Silber ist Geld der Rest sind alles Schuldscheine. Und heute werden Microeinkäufe mit der Karte bezahlt. Bequem? Vielleicht. Verleitend? Mit Sicherheit.
Auch dazu fällt mir eine Literaturempfehlung ein. Schauen Sie mal in „Credit Card Nation“ und Sie werden die Richtung erkennen. Von Schulden „bloß nicht“ bis Schulden „ja bitte“ sind wir heute gekommen.
Und geht es um Wirtschaft geht es in 90 % um mehr Fremdkapital. Das ist fatal wird aber in der VWL wenig thematisiert auch hier gibt es nur einige Ökonomen, die „warnen“.
Im Endeffekt gilt aber immer noch Erhardt: Wir können nicht mehr verbrauchen als wir haben oder willens sind herzustellen… Nur das braucht man zu formalisieren und wird wahrscheinlich weiter kommen als mit allen Nachfragelücken, Lidquiditätsfallen und was weiß ich was sich die „VWler“ noch so haben einfallen lassen.
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