Es ist immer noch Sommerpause im Blick Log. Es wird zwar vereinzelte Beiträge geben, aber auch ein privates Blog darf sich auch einmal eine Auszeit nehmen. Überbrückt wird diese Auszeit mit bereits erschienen Beiträgen, die ich immer noch für aktuell halte oder die in anderer Weise einen Bezug zu aktuellen Ereignissen haben.
Selbstüberschätzung ist eine menschliche Eigenschaft mit einer negativen Konnotation und wird gern als Ursache für Finanzkrise, Finanzskandale und mehr verantwortlich gemacht. Dabei ist bis heute in der Wissenschaft umstritten, ob nicht gerade Selbstüberschätzung auch die Risikobereitschaft und den Fortschritt fördert, weil Unternehmer und Manager bereit sind, hohe Risiken einzugehen, die rationaler Zauderer nicht eingegangen wären.
In seiner gut lesbaren Dissertation “Kognitive Täuschungen vor Gericht” schrieb Mark Schweizer (S. 261, dort auch mit umfangreichen Literaturnachweisen)
“Menschen neigen dazu, sich und ihre Fähigkeiten egozentrisch und eigennützig zu beurteilen. Eigene Erfolge werden Können zugeschrieben, Misserfolge äusseren Umständen. Sie schätzen sich selber regelmässig als überdurchschnittlich ein in Bezug auf begehrenswerte Eigenschaften wie Gesundheit, berufliche Fähigkeiten, Autofahren und der Wahrscheinlichkeit, eine glückliche Ehe zu führen. Leute überschätzen ihren Beitrag zu gemeinsamen Aktivitäten. Beispielsweise nehmen beide Parteien nach einem Gespräch an, mehr als die Hälfte der Zeit gesprochen zu haben. Ebenso addieren sich die Anteile, die jeder Partner nach eigener Einschätzung zur Haushaltsarbeit beigetragen hat, in der Regel auf mehr als 100 %. Und natürlich unterliegen nur die anderen kognitiven Täuschungen.”
Für die Selbstüberschätzung im Management hat Olaf Storbeck in dem Beitrag “Wenn das Ego die Bilanz belastet” wieder interessante Anhaltspunkte aus verschiedenen Studien ( darunter “Are Overconfident CEOs Born or Made?”) zusammengefasst. Danach überschätzen viele Topmanager “ihre Fähigkeiten und machen systematisch Fehler, die ihr Unternehmen teuer zu stehen kommen.” Storbeck schreibt weiter:
“Die Forscher zeigen auch: Fast immer schadet die Hybris in den Top-Etagen dem Unternehmen und seinen Anteilseignern. Manager, die sich selbst für ein Genie halten, treffen oft zu riskante und falsche Entscheidungen. … So haben selbstverliebte Chefs zum Beispiel ein überzogenes Faible für Fusionen und Übernahmen. Topmanager, die an Selbstüberschätzung leiden, gehen wesentlich häufiger auf Einkaufstour als Berufskollegen mit normalem Ego, zeigen die Forscher Ulrike Malmendier (University of California, Berkeley) und Geoffrey Tate (University of California, Los Angeles) in einer Studie mit dem Titel "Who makes acquisitions?". Grundlage der Arbeit sind 477 große, börsennotierte US-Unternehmen und ihre Fusionen und Übernahmen innerhalb von 14 Jahren. Manager mit großem Ego fädeln nicht nur mehr, sondern auch schlechtere Fusionen ein. Die Finanzmärkte reagieren auf ihre Übernahmeabsichten deutlich negativer.”
Zu den Ursachen der Selbstüberschätzung schreibt Schweizer (wieder mit zahlreichen Nachweisen):
“Selbstüberschätzung hat verschiedene Ursachen. Erstens sehen sich die meisten Menschen selber als kompetent und sachkundig. Eine Überschätzung der eigenen Fähigkeiten stimmt mit diesem Selbstbild überein. Zweitens wollen sich die meisten Menschen in einem guten Licht darstellen. Sie glauben vielleicht nicht tatsächlich, dass sie besser als der Durchschnitt sind, aber geben dies gegenüber Dritten an. Drittens suchen sie in erster Linie nach Informationen, die ihre Annahme – beispielsweise, dass sie sich nicht scheiden assen werden – unterstützen. Da sie keine vergleichbaren Informationen über die Ehen Dritter haben, schliessen sie beispielsweise aus den vorhandenen Daten, dass ihre Ehe überdurchschnittlich ist. Viertens ist Erinnerung eigennützig in dem Sinn, dass eigene Handlungen besser erinnert werden als fremde Taten.
Wenn wir über unseren Anteil an der gemeinsamen Hausarbeit gefragt werden, erinnern wir uns besser an die Arbeiten, die wir erledigt haben, und überschätzen daher deren Anteil an der Gesamtarbeit. Schliesslich sind zahlreiche positive Eigenschaften unklar definiert, und jeder der Befragten erfüllt daher möglicherweise seine persönliche Definition der Eigenschaft. Beispielsweise verstehen Personen unter einem guten Autofahrer ganz Verschiedenes, und daher kann sich jeder einbilden, ein überdurchschnittlicher Autofahrer zu sein – immer gemäss seinen persönlichen Kriterien.”
Das Manager nicht ungefährlich leben mit der Selbstüberschätzung zeigt die Wirtschaftswoche in einem Beitrag anhand einiger Beispiele. Und sie schreibt über den Overconfidence-Effekt, den der Vater der Behavioral Economics, Daniel Kahneman, für die Ökonomie nachwies: “Demnach geht jeder Mensch insgeheim davon aus, dass er mehr kann, mehr weiß und mehr darf, als es in der Realität tatsächlich der Fall ist. Wir überschätzen unsere Befugnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen. Ständig und überall.”
Daniel Rettig und Liane Borghardt arbeiten für den Beitrag aber auch die Sonnenseite der Selbstüberschätzung heraus:
“So unlogisch dieses illusionäre Selbstvertrauen ist, so verständlich ist es auch. Niemand würde sich durch die Mühen eines Studiums quälen, wenn er das Scheitern von vornherein fest einplant, niemand den Motor starten, wenn er einen Unfall für unvermeidlich hält. Und niemand würde auf einem Chefsessel Platz nehmen, wenn er mit dem baldigen Konkurs des Unternehmens rechnet.
Der Glaube an sich selbst ist Teil unserer (Über-)Lebensstrategie – und somit Voraussetzung für Erfolg. Das Problem: Die Grenze zur Selbstüberschätzung verläuft fließend. Erst im Nachhinein wird uns bewusst, wann wir sie überschritten haben.
Mit einem derart gefährlichen Halbwissen treffen Führungskräfte tagein, tagaus zahlreiche Entscheidungen, häufig mit großer finanzieller Tragweite. Nicht wenige erleben dabei eine Bruchlandung.”
Also, bevor man Unternehmer und Managern voreilig verurteilt, sollte man sich fragen, ob wir nicht mehr von der aus Selbstüberschätzung resultierenden zusätzlichen Risikobereitschaft profitieren als wir darunter leiden. Ich bin sicher, ohne die Selbstüberschätzung eines Steve Jobs, würde Apple heute möglicherweise nicht mehr existieren.
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