Zu wenig in der EURO-Debatte beachtet: Der Einfluss von Netzwerkeffekten

by Dirk Elsner on 31. August 2012

Das Feuilleton der FAZ hat sich in den letzten Jahren zu einer Grundsatzabteilung für Themen der Ökonomie entwickelt. Frank Schirrmacher und Kollegen räumen vielen Denkern und Ideengebern eine Menge Raum ein und bereichern mit neuen und oft erfrischende Gedanken die Debatte über Ökonomie und Gesellschaft. Dabei, und das ist ein absoluter Pluspunkt, spielt es keine Rolle, ob die jeweiligen (Gast-)Autoren bekannt und in der Ökonomie “etabliert” sind.

network

Foto: Simon Cockell

Colin Crouch jedenfalls war für mich vor der Lektüre der FAZ vor zwei Wochen noch kein Name, der mir bei ökonomischen Fragestellungen aufgefallen war. Seine Analyse über die Zukunft Europas und die europäischen Netzwerkeffekte hat mich aber fasziniert. Crouchs Gedanken sind nämlich längst nicht nur auf die Analyse Europas und der Schuldenkrise anwendbar, sondern auf viele andere Sachverhalte in der Wirtschaftspraxis.

Crouch stellt in seinem Text die wie ich finde absolut zutreffende These auf, dass nicht die Qualität eines Produkts, einer Leistung allein ausschlaggebend für den Absatzerfolg ist, sondern das Netzwerk, mit dem der Absatz der Leistungen gefördert wird. Dies kann z.B. das Vertriebsnetz sein, wenn ein Produzent aus welchen Gründen auch immer eine Art monopolistischen Zugang zu bestimmten Märkten hat. “Dieses Netz ist wichtiger als die Qualität des Produkts”, schreibt Crouch.

Er macht das fest am Beispiel der Vereinigten Staaten, die mit mit Dollar als globale Währung, der englische Sprache, ihrer militärischen Macht und den faktischen Standards für das Finanzsystem über wichtige Netzwerkvorteile verfügen. Er stellt fest:

“Ob die Produkte dieses Systems besser oder schlechter sind als andere, ist irrelevant – die Macht des US-Netzwerks garantiert ihren Erfolg. Diese bittere Lektion haben wir 2008 lernen müssen, als die amerikanisch dominierten Finanzmärkte sich als ganz schlechte Produkte erwiesen. Aber wir müssen uns mit ihnen arrangieren – solange die amerikanische Regierung nicht beschließt, andere Regeln zu erlassen. Individuelle Staaten in Europa oder anderswo sind nicht in der Lage, sie anzufechten.”

Wenn Unternehmen, so Crouch, ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzen, könne man sich an Kartellbehörden wende. In der globalen Wirtschaftswelt gäbe es solche Instanzen aber nicht. Die Konsequenz ist die Entwicklung alternativer Netzwerke, um eine Auswahl zu haben und nicht durch ein Netzwerk beherrscht zu werden.

In der Folge analysiert Crouch dann die europäische Politik unter diesem Netzwerkaspekt. Seine Kernthese dabei: “Staaten sind heute nur in Netzwerken effektiv. Wenn wir Europa schwächen, werden Mächte stärker, auf die wir keinen Einfluss haben.”

Ich finde Crouchs Ansatz faszinierend, weil ich diesen Ansatz in der zunehmend europaskeptischen Debatte bisher nicht gehört habe. Und es spricht viel dafür, dass Crouch richtig liegt und auch die professionelle Ökonomie hier einmal etwas genauer hinschauen sollte. Der Kerngedanke nämlich, dass ein wie auch immer geartetes Netzwerk einen mindestens gleichen oder sogar stärkeren Einfluss auf den Leistungserfolg haben könnte, dürfte den meisten Menschen aus Politik und Wirtschaftspraxis nicht fremd sein.

Ich denke, jeder, der sich länger in der Wirtschaftspraxis bewegt, kennt zig Beispiele, in denen nicht die das beste Produkte oder die leistungsfähigste Person das Rennen gemacht hat, sondern andere Kriterien ausschlaggebend gewesen sind. Anwendbar sind solche Netzwerkeffekte daher nicht nur auf den wirtschaftlichen Erfolg von Staaten oder Staatengemeinschaften, sondern auch auf

  • den Absatzerfolg von Produkten oder Dienstleistungen,
  • die Vergabe öffentlicher und privater Aufträge,
  • die Besetzung von wichtigen Posten in Unternehmen und der Politik,
  • die Erklärung von Lobbyarbeit von Verbänden zugunsten bestimmter Branchen und Bekämpfung neuer Konkurrenten,
  • und viele weitere Anwendungsbereiche

Wir alle wissen also, dass es nicht nur auf die Leistungen oder Qualifikationen ankommt, sondern auf weitere Faktoren, die aus meiner Sicht von der (“Mainstream”)-Ökonomie bisher zu wenig beachtet werden. In der Ökonomie werden Netzwerkeffekte zwar berücksichtigt in Form externer Effekte und finden Eingang in die Erklärung von Erfolgen für Unternehmen wie Facebook oder der Durchsetzung bestimmter technischer Standards. In der Eurodebatte habe ich dieses Argument freilich noch nicht gehört.

nigecus August 31, 2012 um 19:48 Uhr

@Tim
Kurz AW: Mit Euro!

Wenn man sich, wie Matthias gesagt, auf eine gemeinsame Fiskalpolitik einigt (insb. Steuerpolitik) dann braucht man auch eine einheitlichen Recheneinheit. Um diese „Recheneinheit“ namens Euro aber (näherungsweise) risikolos zu gestalten, braucht man letztlich 1 Zentralbank mit Lizenz zum Gelddrucken (Das haben wir faktisch bereits) und 1 Staat der versucht zu Vermeiden, dass die Zentralbank Gelddrucken muss (Das haben wir nicht).

Diese ganze Euro-Herumgezicke von den ganzen Nationalstaaten hat langfristig keine Zukunft, weil der Euro schlichtweg „nicht zu retten ist“ (als ganzes), wenn nicht irgendwann „Die Vereinigten Staaten von Europa“ als Ziel ausgeben wird.

Wähle:
(a) Leben in einem labilen politischen System, ohne risikolose Staatsanleihen, mit ständigen Herumgekrisel bis die Sch***e eh kollabiert.
(b) Eine klare zukunftsträchtige Vision.

Matthias Schwenk August 31, 2012 um 14:16 Uhr

Denkt man die These konsequent weiter, bedeutet das, dass Europa nicht nur den Euro, sondern auch eine harmonisierte Steuerpolitik, ein einheitliches Rechtssystem sowie weitere Standards braucht, die im globalen Netzwerkgefüge dann ihre Wirkung entfalten können!

Meines Erachtens wäre es auch im Bildungsbereich dringend erforderlich, mit Exzellenz-Initiativen auf europäischer Ebene (und nicht mehr nur nationalstaatlich gedacht) die Integration zu fördern und zugleich im Wettbewerb insbesondere mit den amerikanischen Spitzenuniversitäten ein größeres Gegengewicht zu erlangen. Solange aber jedes Land sich alleine abmüht, profitieren allein die Amerikaner von den Netzwerkeffekten, die Colin Crouch beschreibt.

Tim August 31, 2012 um 08:58 Uhr

Es bleibt aber die Frage: In welchem Fall wäre das europäische Netzwerk stärker – mit Euro oder ohne Euro?

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