Die deutsche Finanzkrise beginnt im Jahr 1998 in Wilmington (2)

by Gastbeitrag on 11. Oktober 2012

Exklusiver Auszug aus dem 6. Kapitel des Buches: Der größte Raubzug der Geschichte* von Matthias Weik und Marc Friedrich 

Der erste Teil dieses Auszugs kann hier nachgelesen werden.

Deutschland zögert EU-Verordnung sieben Jahre hinaus

Bereits im Juni 2002 beschließt das EU-Parlament eine Verordnung,
die die Umsetzung dieser Maßnahmen von europäischen Banken erfordert. In Deutschland wollen die Finanzpolitiker davon nichts hören.
Deutsche Banken erhalten eine Frist bis Januar 2005. Mit Ausnahme
der Landesbanken dürfen sie ihre Conduits noch bis 2008 verstecken.
Bei der Umsetzung der EU-Vorgaben in deutsches Recht lassen sich
die Finanzpolitiker in Deutschland unglaublich viel Zeit – das Bilanz-
rechtsmodernisierungsgesetz ist erst im Mai 2009 in Kraft getreten.

Die Berliner Bankgesellschaft und die Kaimaninseln

 

Im November 2000 steht die Berliner Bankgesellschaft vor einem gravierenden Problem. Kurzerhand werden mit einem wilden Bilanztrick über die Briefkastenirma Greico auf den Kaimaninseln gewaltige Risiken ausgelagert, und somit wurde der Jahresabschluss 2000 gerade
noch gerettet. Knapp sechs Monate später liegt der Bankgesellschaft diese Aktion um die Ohren und sie muss mit einer Kapitalspritze in Höhe von 1,75 Milliarden Euro und einer Bürgschaft von 21,6 Milliarden vor der Pleite bewahrt werden. Seit 1998 ist die Bankenaufsicht BaFin über diese Probleme informiert. Sie hat bis dahin 20 Sonderprüfungen veranlasst – mit keinerlei Konsequenzen für die Landesbanken.

WestLB-Verwaltungsrat Peer Steinbrück weiß Bescheid

 

Laut dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ lässt sich Peer Steinbrück im Juli 2001 in der Zentrale der WestLB über den Geschäftsgang informieren. Seit 1998 überwacht er die rheinische Landesbank, zuerst in der Funktion als Verwaltungsrat und vier Jahre später als Finanzminister von Nordrhein-Westfalen. Die Conduit-Deals bei der WestLB laufen immer besser. Gerade jetzt will ausgerechnet die EU-Kommission den Landesbanken, welche es endlich dank staatlicher Garantien geschafft haben, global ganz vorne mitzuspielen, den Spaß verderben und ihnen nur noch ein Jahr mit staatlichen Garantien gönnen. Die Landesfinanzpolitiker wollen dies natürlich nicht hinnehmen – und „oh Wunder“, sie erhalten von Brüssel eine Gnadenfrist und dürfen sich weitere vier Jahre Geld vom Staat leihen, und zwar in unbegrenzter Höhe. Jetzt können sie weiter unser Geld auf den Kapitalmärkten mit verbrieften US-Hypotheken verwetten.

Die staatlichen Verbindlichkeiten der Landesbanken steigen allein in den kommenden vier Jahren auf mehr als 100 Milliarden Euro – zuletzt werden es mehr als 500 Milliarden Euro sein. Steinbrücks Landesbank versenkt unter anderem eine Milliarde Euro in der Russlandkrise Ende der Neunziger Jahre und setzt in London 1,7 Milliarden Euro mit einem Großkredit in den Sand.

2002: IKB goes Delaware, BayernLB goes Jersey anstatt München und SachsenLB goes Dublin anstatt Leipzig

 

Jetzt aber der Reihe nach: Mit der Deutschen Industriekreditbank (IKB) verbindet man eine Bank, deren Kerngeschäft die Förderung des deutschen Mittelstandes ist. Dies stimmt so nicht ganz, denn auch die halbstaatliche IKB möchte am „Big Business“ teilnehmen und gründet deshalb in Delaware die Zweckgesellschaft Rhineland Funding, ausgestattet mit minimalem Eigenkapital. Genau diese Schattenbank wird fünf Jahre später der Bank das Genick brechen, und die staatseigene KfW wird diese mit Milliarden an Steuergeldern retten müssen.

Die BayernLB hat expandiert und auch im britischen Steuerparadies Jersey eine Schattenbank gegründet. Die Sachsen LB zieht es nach Irland – sie hat die Sachsen LB Europe mit Sitz in Dublin gegründet. Später werden die Sachsen mit Ormond Quay und Georges Quay zwei aggressive Investmentgesellschaften gründen, die mit Derivat- und Kreditgeschäften große Geldsummen bewegen und die ihnen in wenigen Jahren um die Ohren liegen werden und den Steuerzahler
Milliarden kosten. Aber hierzu später.

Ich bitte darum, dass Sie berücksichtigen, dass im Verwaltungsrat der
Landesbanken Landräte, Sparkassenleiter und Landespolitiker saßen und sitzen, die diesen Irrsinn abgesegnet haben. Also liegt die Schuld an der Finanzkrise keinesfalls ausschließlich bei ein paar gierigen Investmentbankern in Frankfurt, London und New York.

Mai 2002 – die BaFin erkennt das Risiko, und nichts geschieht

 

Am 1. Mai 2002 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin, ihren Dienst begonnen. Eine ihrer Aufgaben ist es, die Kreditgeschäfte der Landesbanken und das Risikomanagement der amerikanischen Banken zu verfolgen. Die Behörde soll prüfen, ob die
Banken angemessen mit ihren Risiken umgehen.

„Uwe Traber wird bis Oktober 2004 die wichtige Abteilung II der BaFin leiten, zuständig für die Groß- und Auslandsbanken. Spätestens 2002, sagt Traber heute, habe man bei der BaFin erkannt, dass es sich bei verbrieften Produkten, mit denen immer mehr Banken überall auf der Welt Geschäfte machten, tatsächlich um ein Risiko handelte, das zu einer ‚systemischen Gefahr‘ werden kann. Systemisch, das heißt: eine Bedrohung, die aus dem Bankensystem selbst erwächst – und die das System, wenn nichts unternommen würde, eines Tages aus sich selbst heraus zerstören könnte.“ (Quelle: Spiegel)

Bereits damals galten die Regeln des Basler Abkommens, Basel I, die Mindestkapitalquoten für Banken vorschrieben. Jedoch umgingen die Banken diese völlig legal durch ihre Zweckgesellschaften.

Wieso hat die BaFin diesen Unternehmungen keine Riegel vorgeschoben und die Bildung von Zweckgesellschaften an der Bilanz vorbei untersagt, wo sie die „systemische Gefahr“ dieser Praxis so früh erkannt hat? Warum wurde nichts unternommen?

„Die BaFin wird durch Zwangsumlagen und Gebühren jener Institute und Unternehmen inanziert, die sie beaufsichtigt. Gleichzeitig untersteht sie der Rechts- und Fachaufsicht des inanzministeriums, das macht sie unabhängig von den Banken, aber anfällig für politische Einflussnahme.“ (Quelle: Spiegel).

Ganz einfach, weil es von der Politik nicht gewollt wurde, denn diese hatte sich damals vorgenommen, den „Finanzplatz Deutschland“ zu stärken und die Entwicklung neuer Finanzprodukte zu fördern. Aus diesem Grund war eine allzu kritische Bankenaufsicht nicht förderlich – und das Finanzministerium bestimmt, wie mächtig die BaFin sein darf.

Fortsetzung folgt


Der Text ist urheberrechtlich geschützt. Der Auszug aus dem Buch erfolgt exklusiv und mit Genehmigung der Autoren und des Verlags. Ich hatte nach einem Mailaustausch mit Marc Friedrich gefragt habe, ob ich dieses Kapitel für den Blick Log übernehmen kann. Dieser Abschnitt enthält an verschiedenen Stellen Anmerkungen zu den Quellen der Aussagen. Aus Vereinfachungsgründen habe ich mich entschieden, die Anmerkungen aus diesem Blogtext rauszulassen. Auch technischen Gründen sind die Kurzzusammenfassungen an den jeweiligen Seitenrändern als Zwischenüberschriften eingefügt.

FDominicus Oktober 11, 2012 um 12:41 Uhr

Ich denke es trifft nur teilweise zu. Der größte Raubzug war die Etablierung des Fiat-Geld System mit dem Goldhalteverbot. Ich denke das Andere ist eine „Folge“. Und die Folgen werden umso gravierender je näher wir der Gegenwart kommen.

Heute gilt nicht nur das gebrochene Wort, sondern der gebrochene Vertrag und gebrochenes Recht…

Kai Oktober 11, 2012 um 07:58 Uhr

Wird immer besser!

F. Granz Oktober 11, 2012 um 06:05 Uhr

Hahaha der Steinbrück.

Genial, der nächste Bundeskanzler und große Bankenregulierer ist selber Teil des Systems. Wieso wundert mich das nicht?
Dieser Artikel passt wie die Faust aufs Auge zur Diskussion zu seinen Vortragshonoraren.

Ich freue mich auf das Buch und bin gespannt was sonst noch drin steht.

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