Medienkrise durch Medienkompetenz?

by Dirk Elsner on 20. November 2012

In jüngster Zeit häufen sich erneut die kritischen Selbstreflektionen im Medienbereich. Derzeit steht das Thema Zeitungskrise ganz oben in der Agenda. Auf der Suche nach Ursachen meint Christian Jakubetz auf Cicero Online “das Konstrukt Tageszeitung ist überholt”. Jakubets Analyse gefällt mir dabei deswegen, weil er die Ursache des Zeitungssterbens nicht auf das Internet reduziert, sondern das Konstrukt der Tageszeitung an sich in Frage stellt. Er betrachtet u.a. den hinlänglich und auch hier zuletzt hier im Blog wieder belebten Streit, wie man guten Paid Content präsentieren kann.

Newspaper reader

Zeitungsleser sterben aus (Foto: flickr/John Fera)

Einen anderen Aspekt beleuchtete Michael Inacker vergangene Woche in der PDF-Ausgabe des Handelsblatts. Er beleuchtet, wie ich finde ziemlich treffend, die vielen Fehlinterpretationen des Meinungsklimas in Deutschland. Medien “konstruieren” ihre eigene Wirklichkeit von der “öffentlichen” Meinung und dem Denken der Bürger. Dabei unterlägen sie permanent Fehleinschätzungen. Er macht das u. a. an den Beispielen Claudia Roth, Stuttgart 21, dem Euro und weiteren Themen fest. Er fragt dann nach den Ursachen der Fehleinschätzung des Meinungsklimas.

Inacker vermutet eine „wachsende Entfremdung“ zwischen den Medien und der Bevölkerung. Eine Ursache sieht er in der Nivellierung der Meinungsvielfalt. Der mediale „Mainstream“ der Meinungen sei in den vergangenen Jahren immer geradliniger geworden. Es gäbe kaum noch Abweichungen und wer ausbricht, wird öffentlich abgestraft. Er verweist außerdem auf Netzwerkeffekte der Journalisten, die “sich wie im Kreis immer wieder auf sich selbst beziehen”.

Die Erkenntnisse über diese Fehlinterpretationen könnten einen wichtigen Wendepunkt signalisieren: Medien haben die Hoheit über die öffentliche Meinung schon lange abgegeben. Sie bestimmen nicht mehr, wie Meinung sein sollte. Die weglaufenden Medienkonsumenten sind erwachsen geworden und benötigen keine Orientierung durch ein Leitmedium. Sie sortieren, bewerten ihre Nachrichten und Informationen selbst.

Und genau hier könnte die Medienbranche einen Fehler machen, der zum „Kodakt-Moment“ werden könnte:

Man möchte nicht akzeptieren, dass Personen außerhalb des “inneren Kreises” des Mediensektors technisch und intellektuell in der Lage sind, Informationen selbst zu bewerten. Die in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegene „Medienkompetenz“ in der Bevölkerung wird unterschätzt, wobei man sicher vortrefflich streiten kann, was Medienkompetenz eigentlich bedeutet. Am Samstag hat gerade Korbinian Frenzel diese Uraltthese aus Medienkreisen auf DRadio-Kultur erneuert, „man“ möchte das Profis die Informationen aufbereiten. Ja, wir möchten das auch, aber nicht ausschließlich. Und wir werden oft enttäuscht in der Vorauswahl und Aufbereitung von Informationen.

Ohne dies jetzt wissenschaftlich belegen zu können, könnte es doch sein, dass unsere Fähigkeit, Medien und ihre Inhalte nach den eigenen Zielen und Bedürfnissen zu nutzen (Wikipedia zu Medienkompetenz) deutlich zugenommen hat in den letzten Jahren. Ich weiß nicht, ob es Studien über die Veränderung Medienkompetenz gibt. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn man eine Korrelation zwischen steigender Medienkompetenz und Medienkrise zeigen könnte. Die steigende Medienkompetenz hat zwar viel mit dem Internet zu tun, weil es das Informationsspektrum in einem vor 20 Jahren nie vermuteten Ausmaß gesteigert hat (allerdings auch das Informationsrauschen). Medienkompetenz hat aber auch viel mit Bildung, Ausbildung und Erfahrung zu tun. Das Netz lässt viel besser und schneller überprüfen, dass längst nicht alles stimmt, was in der Zeitung steht.

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