Meine Frustration mit Paid Content am Beispiel des NewScientist

by Dirk Elsner on 9. November 2012

Es ist schon lange her, dass ich mich das letzte Mal etwas intensiver mit dem Thema “Paid Content” beschäftigt habe. Ich habe hier vor einigen Jahren einmal gestanden, dass ich bereit bin für Verlagsinhalte via. Netz zu bezahlen. Tatsächlich erhält man aber als Medienkonsument mehr als drei Jahre, gefühlte 500 Konferenzen und mehreren tausende Fachartikel zu dem Thema, kaum Gelegenheit dazu, selbst wenn man es möchte. Und wenn man die Möglichkeit hat, dann wird es so umständlich und/oder teuer gemacht, dass man kopfschüttelnd aufgibt. So ist es mir erneut ergangen.

Seit einer Woche gibt es das neue Wochenmagazin NewScientist. Ich hätte es gern am vergangenen Sonntag gelesen. Weil bei uns in der Nähe kein Kiosk ist und ich keine Lust hatte, zum Bahnhof zu fahren, dachte ich, es lässt sich ja bestimmt per Paid Content beziehen und dann auf dem Tablett lesen. Über den Kindle-Shop und Zinio, für mich die bisher userfreundlichsten Angebote, funktionierte das genau so wenig wie über Springers iKosk, der mittlerweile auch verlagsfremde Publikationen aufnimmt. Also wieder ein Verlag, der mir eine eigene App bzw. eine eigene Registrierung aufdrängt?

Über die Website New Scientist wird man geleitet auf eine digitale Web-App. Da kommt dann Freude auf, wenn man die elektronische Ausgabe erwerben möchte. Es öffnet sich dieses Fenster

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Ab diesem Zeitpunkt ist mir bereits wieder die Lust vergangen. Ich wollte ein Heft kaufen und mich weder registrieren, noch ein Vorteilsabo oder 6 Monatsabo erwerben. Warum muss ich mich registrieren, wenn ich doch ohnehin ein Zahlverfahren wie Paypal nutzen kann? Zur Erinnerung: PayPal gestattet mittlerweile bei zahlreichen anderen Angeboten den Kauf ohne sich erst umständlich beim Verkäufer registrieren zu müssen (dieses Ritual stammt aus den 90ern).

Weiterhin störte mich, dass ich den NewScientist offenbar nur über die spezielle Web-app lesen konnte. Mir ist das als Konsument viel zu umständlich. Ich habe keine Lust auf die Fragmentierung mit unterschiedlichen Plattformen und Apps. Ich möchte eine zentrale Kiosk-Applikation, wie etwa Kindle oder Zinio, aus denen ich alle meine abonnierten Zeitungen und Zeitschriften über alle meine Geräte (PC, Smartphone, Tablet) idealerweise ohne DRM-Gängelung abrufen kann. Reale Zeitschriften kaufe ich ja auch nicht im Holtzbrinck-Store oder im Springer-Kiosk.

Leider verfügen Kindle und Zinio bisher nur über eine unzureichende Auswahl, können aber immerhin auch am PC abgerufen werden. Das Handling mit ihnen ist bequem und wirkt ausgereift, dafür ist das Pricing verwirrend. So ist für den Kindle das Handelsblatt erhältlich, jedoch nur im Abo. Einzelausgaben gibt es dafür in Springers iKosk, aber wiederum nicht für den PC. Dazu kommt ein verwirrendes Rechtemanagement, das weit von der Usability eines gewöhnlichen Kioskkaufs oder eines PDF-Dokuments entfernt ist. Zu Recht bezeichnet Gerald Himmelein im aktuellen Editorial der C´t den Kauf von E-Publikationen als Erwerb von Lizenzen “für eine kundenkontogebundene Erlaubnis zum Lesen”. So möchte man als Konsument nicht behandelt werden.

Paid Content wird so lange in Geoffrey Moore´s digitalen Graben fallen, bis die Verlage merken, dass die Mehrheit der Kunden nicht das möchte, was verrückt ist und technisch Spaß macht, sondern was ausgereift ist und wirklich bequem funktioniert und nützlich ist (ich hatte das bereits ähnlich letzte Woche am Beispiel von Finanzprodukten für das Wall Street Journal geschrieben).

Meine Zahlungsbereitschaft für gute journalistische Inhalte ist hoch. Unsere Familie gibt jeden Monat zwischen 100 und 150 Euro für klassisch gedruckte Printinhalte (diverse Zeitungs- und Zeitschriften-Abos und Einzelkäufe) aus. Gern würde ich davon einen Teil des Budgets elektronisch umschichten. Der New Scientist hätte längst meine 3,99 Euro gehabt, unter den Restriktionen habe ich darauf verzichtet und mir die Erstausgabe ganz traditionell am Bahnhof gekauft, übrigens für 2 € zum Einführungspreis.

Ich frage mich, warum die Verlage eigentlich ihr gesamtes technisches und kreatives Know how so verpulvert haben in den letzten Jahren. Spricht man mit Journalisten oder Verlagsleuten, dann vermitteln die zwar stets den Eindruck, ganz genau zu wissen, was ihre Leser wollen. Da mag auf Inhalte zutreffen, auf die elektronische Präsentation bzw. den digitalen Vertrieb auf gar keinem Fall. Hier hingt die Branche deutlich hinter dem her, was mittlerweile technisch machbar wäre, und scheint die gleichen Fehler, wie die Filmindustrie zu machen.

PS

Die Zeitschrift selbst ist übrigens richtig Klasse und macht Spaß zum Lesen. Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftsmagazinen findet sie in der ersten deutschen Ausgabe eine ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, Technik und aktuellen Themen. Das macht Lust auf Mehr. Was ich mir allerdings von einer neu auf den Markt gebrachten Zeitschrift in diesen Zeiten wünsche ist eine integrierte Nutzung von Offline und Print. Der Printausgabe merkt man das nicht an, der Webseite auch nicht und ich vermute einmal die Onlineausgabe wird auch keine Links etwa zu Quellen oder vertiefenden Inhalten anbieten. Aber so etwas kann ja noch kommen. Ich freue mich in jedem Fall auf die heute erscheinende zweiten Ausgabe.

Nachtrag

Passend zu diesem Beitrag bespricht Robert Vossen in Blog  Basic Thinking eine Studie von McKinsey, nach der, wie überraschend, sich Verlage stärker digital ausrichten müssen.

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