Wie aus John Maynard Keynes ein Starinvestor wurde

by Karl-Heinz Thielmann on 5. Februar 2013

John Maynard Keynes gehört zu den bekanntesten Ökonomen überhaupt. Mit seiner Analyse der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts begründete er die moderne Konjunkturtheorie und prägte er eine ganze Generation von Volkswirtschaftlern. Aus seiner Theorie abgeleitete Politikempfehlungen prägten Jahrzehnte lang die Geld- und Fiskalpolitik der wirtschaftlich bedeutsamsten Nationen. Darüber hinaus entwickelte er grundlegende Erkenntnisse darüber, auf welch irrationale Art ökonomische Entscheidungen manchmal zustande kommen. So geht der in den letzten Jahren populär gewordene Begriff „Animal Spirits“ auf ihn zurück. Darüber hinaus entwickelte er grundlegende Überlegungen, wie sich Unsicherheit und Nichtwissen auf wirtschaftliches Handeln auswirken.

Allerdings sind und waren seine Aussagen zur Konjunktur und zu ihrer Steuerung sehr umstritten. Die Tatsache, dass seine Theorie vor allem auf Nachfrageeffekte abzielte und Anreize für das Angebot vernachlässigte, führte insbesondere in den 80er Jahren zu einer zeitweise radikalen Abkehr von Keynes. Inzwischen sorgte aber insbesondere die Finanzkrise 2008 mit ihren Konsequenzen zu einer Rückbesinnung auf sein Gedankengut. Insbesondere die Überlegungen zur Unsicherheit spielen eine große Rolle bei vielen neueren Forschungsarbeiten.

Weniger bekannt, dafür relativ unumstritten ist seine Rolle als Fondsmanager und die Bedeutung für die Investmentwelt. Diese beruht zum einen darauf, dass er in den 20er und 30er Jahren zu den Pionieren zählte, die Aktien als Anlageform für institutionelle Investoren salonfähig machten. Zum anderen hat er aber auch einen Investmentstil geprägt, der in späteren Jahren so unterschiedliche Investoren wie Warren Buffett, George Soros oder David Swensen maßgeblich beeinflusst hat. Vor allem aber eine herausragende Wertentwicklung, die er mit seinen Anlagen erzielte, haben seinen Ruhm begründet. So konnte er in schwierigen Jahren der Depression und des Krieges mit Aktienanlagen positive Renditen erzielen und auch den Gesamtmarkt deutlich hinter sich lassen.

Über das Ausmaß seiner Outperformance gibt es verschiedene Aussagen. So wird meistens kolportiert, dass es Keynes gelang, den britischen Aktienmarkt um jährlich um ca. 11% zu schlagen. Jüngere Berechnungen weisen allerdings darauf hin, dass diese Zahl auf Vergleichen mit wenig repräsentativen Indizes beruht, die zudem Dividenden nicht berücksichtigen. Realistischer ist es, von einer überdurchschnittlichen Performance von ca. 5,4% jährlich auszugehen. Aber selbst diese Zahl ist so herausragend, dass Keynes mit Fug und Recht als einer der größten Investoren gelten kann.

Seine Leistung ist umso bemerkenswerter, da er ja nur nebenberuflich Fondsmanager war und in der Haupttätigkeit Professor für Ökonomie. Nicht zu Unrecht wird er deshalb auch als sogenannter Starinvestor bezeichnet. Aber der Weg von Keynes zu einem herausragenden Anleger war nicht einfach. Bevor seine Erfolgsgeschichte begann, musste er einige Fehlschläge verkraften, aus denen er jedoch lernte und die richtigen Konsequenzen gezogen hat.

1. Keynes in den 1920ern: die Wandlung vom Zocker zum Anleger

John Maynard Keynes wurde 1883 als Sohn eines Wirtschaftsprofessors in Cambridge geboren. Seine Mutter gehörte zu den ersten weiblichen College-Absolventinnen in Großbritannien, engagierte sich in verschiedenen sozialen Initiativen und war auch politisch tätig. 1932 wurde sie Bürgermeisterin von Cambridge und damit die zweite Frau, die dieses Amt jemals bekleidete. Obwohl durch längere Krankheitsphasen behindert wurde Keynes zu einem herausragenden Schüler und Studenten. 1906 trat er in den öffentlichen Dienst ein. Angeekelt von Ineffizienz und Inkompetenz verließ er ihn aber nach zwei Jahren wieder und begann seine akademische Karriere in Cambridge. Er wurde zum wirtschaftspolitischen Berater der britischen Regierung, zerstritt sich aber 1919 mit der politischen Führung, weil er den harten Kurs gegen den Kriegsverlierer Deutschland ablehnte. Aufgrund seiner Erfahrungen mit Politikern blieb eine tiefe Abneigung gegen diesen Berufsstand zurück, die sich in berühmt gewordenen Äußerungen niederschlägt, wie z. B. als er der Politiker generell als fürchterlich („awful“) bezeichnet; sich über ihre Dummheit beschwert („their stupidity is inhuman“) oder seine Regierung als verachtenswert bezeichnet („…a Government I despise for ends I think criminal“).

Nach seinem Bruch mit der Politik wendet er sich sowohl publizistischer Tätigkeit wie auch den Finanzmärkten zu. Am 14 August 1919 eröffnet er im Alter von 36 Jahren erstmals ein Depotkonto bei einer Bank, womit seine Karriere als Spekulant beginnt. Anfangs handelte er mit Währungen auf der Basis der Analysen von ökonomischen Trends und Ungleichgewichten und war damit sehr erfolgreich. Im Mai 1920 verlor er allerdings alles wieder und musste per saldo einen Nettoverlust von £13.125 (heutiger Wert ca. € 650.000) auf alle seine Geschäfte verbuchen. Nur durch die kurzfristige Beschaffung von £6.500 (heutiger Wert ca. € 320.000) durch Geldleihe und durch den Vorabverkauf von Buchrechten entging er dem Bankrott. Auf diese Erfahrung geht eines seiner berühmtesten Zitate zurück: „Der Markt kann länger irrational bleiben als man selbst solvent.“ (“The market can stay irrational longer than you can stay solvent.”) Er machte die Erfahrung, die auch heutzutage immer noch viele Anleger machen, wenn sie gegen fundamental unbegründete Marktentwicklungen spekulieren: Bis man Recht bekommt, kann eine lange und sehr kostspielige Zeit vergehen. Speziell, wenn man mit Hebelprodukten handelt, können die zwischenzeitlichen Verluste so groß werden, dass man sein Kapital verloren hat, bevor die Märkte wieder in die richtige Richtung gehen.

In den darauffolgenden 5 Jahren schaffte es Keynes aber wieder, mit einem erheblich risikokontrollierteren Vorgehen durch Spekulationsgeschäfte sein Vermögen wieder auf ca. £57.000 (heutiger Wert € 3,3 Mio.) zu steigern. Hierbei setze er nicht nur auf Währungstransaktionen, sondern engagierte sich auch zunehmend an Terminmärkten für Rohstoffe.

In dieser Zeit wuchs bei Keynes die Überzeugung, dass Aktien bei der Langfristanlage auch für institutionelle Investoren große Vorteile gegenüber den bisher bevorzugten Staatsanleihen und Immobilien hatten. Seit 1919 beriet Keynes die National Mutual Life Assurance Society bei ihren Kapitalanlagen, seit 1923 die Provincial Insurance Company. Im Jahr 1924 gründete er die Independent Investment Company, einen Investment Trust, in dem er seine Vorstellungen zur Anlagepolitik verwirklichte. Im gleichen Jahr wurde er allein verantwortlicher Fondsmanager für das Stiftungsvermögen des Kings College in Cambridge. Schon vorher, im Jahr 1921, hatte er Verantwortung für die Investments übernommen und durchgesetzt, dass die Anlagegelder in zwei unterschiedliche Fonds aufgeteilt wurden. Zum einen wurde ein sog. „beschränkter“ Fonds aufgelegt, der an gesetzliche Vorschriften zur Anlage von Stiftungsgeldern gebunden war und vor allem in festverzinsliche Wertpapiere investierte. Zum andern wurde ein sog. „diskretionärer“ Fonds aufgelegt, mit dem Keynes die Anlagen nach eigenen Vorstellungen frei zusammenstellen konnte. Zur Mittelbeschaffung für die Aktienanlagen wurden einige Immobilien verkauft. Dieser „diskretionäre“ Fonds wurde auch als „Chest“-Fonds bezeichnet und begründete Keynes Ruhm als Investor, weil er mit ihm trotz Krisenzeiten einen durchschnittlichen Ertrag von 16% p.a. erwirtschaften konnte. Seit 1925 strukturierte er auch seine privaten Anlagen ähnlich wie den „Chest“-Fonds. Allerdings gelang es Keynes nicht, in der ersten Phase seiner Zeit als Fondsmanager den britischen Aktienmarkt zu schlagen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre waren seine Anlageergebnisse zeitweise sogar deutlich schlechter. Zuerst agierte er zu vorsichtig, ahnte später aber auch den Aktienmarktcrash 1929 in keiner Weise voraus und musste schwere Verluste hinnehmen. Anscheinend hatte ihn seine makroökonomisch geprägte Vorgehensweise zu prozyklischem Verhalten verführt. Erst als er Anfang der 30er Jahre seine Anlagestrategie gründlich änderte, wendete sich auch das Blatt für ihn.

2. Keynes in den 1930ern und 1940ern: der Starinvestor

Keynes hatte sich nie explizit zu seiner Anlagephilosophie geäußert. Allerdings wurden in seinen Rechenschaftsberichten und in öffentlichen Statements immer wieder Anlageentscheidungen begründet und kommentiert, sodass Rückschlüsse auf den Investmentstil möglich sind. Hier ist zu Beginn der 30er Jahre ein deutlicher Wandel spürbar. Hatte Keynes vorher versucht, auf der Basis seiner wissenschaftlichen Kenntnisse kurzfristige ökonomische Trends aufzuspüren und auf diese zu spekulieren, lässt er dies ab ca. 1932 völlig sein. Stattdessen kümmert er sich kaum noch um kurz- und mittelfristige Trends, sondern verlegte sich auf das Identifizieren von fundamental attraktiven Unternehmen und ihre Bewertungsanalyse.

Sorgfältiges Research war hierbei der Schlüssel für seinen Anlageerfolg. Er setze zum einen auf ein gründliches Studium der Geschäftsberichte und Unternehmensmeldungen. Zum anderen aber hatte er führender Wirtschaftsforscher und als Mitglied des britischen Establishments ein breites Netzwerk an Wirtschaftsexperten und Managern, durch das er laufend neuste Informationen über Sektor- und Unternehmensentwicklungen bekommen konnte. Persönliche Kontakte zu Unternehmensführern waren dabei für ihn sehr wichtig. Ähnlich wie derzeit auch Warren Buffet schätzte Keynes ein vertrauenswürdiges Management als zentral für den langfristigen Unternehmenserfolg ein. Soweit sich dies rekonstruieren lässt, spielte Insiderwissen im heutigen Sinne – also die Ausnutzung von geheimen Informationsvorsprüngen – bei seien Anlagen aber keine Rolle.

Keynes setze aber auch als einer der ersten Anleger auf eine gründliche Bewertungsanalyse. Hierbei versuchte er, einen „inneren Wert“ von Aktiengesellschaften zu berechnen und verglich diesen mit der Börsenbewertung. Weiterhin ermittelte er Kennzahlen und machte anhand von ihnen Vergleiche mit Wettbewerbern. Dies mag uns heute selbstverständlich vorkommen, war aber vor 80 Jahren noch kaum verbreitet. Ihn aber deswegen als „Value-Investoren“ zu bezeichnen, ist zu simpel.

Tatsache ist, dass Keynes ca. 50% des Aktienmarktes keine Beachtung schenkte und z. B. nicht in Finanzwerte oder Ölaktien investierte. Unklar ist, ob er grundsätzliche Bedenken gegen bestimmte Sektoren hatte oder ob er diejenigen Sektoren, in denen er sich nicht so gut auskannte, vermied. Er konzentrierte sich auf den Bergwerkssektor und die Kapitalgüterindustrie. Interessant ist, dass dies genau die Sektoren waren, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts am meisten von den Megatrends der damaligen Zeit profitiert haben. Insofern reflektierte Keynes Investmentstil am ehesten den GARP(Growth at a reasonable price)-Ansatz: Er war auf die Wachstumssektoren seiner Zeit fokussiert und bevorzugte in diesen relativ niedrig bewertete Aktien.

Hierin unterscheidet er sich von anderen fundamentalen Investoren wie z. B. Warren Buffett. Während Buffett auf herausragende Unternehmen aus verschiedenen Sektoren setzt, legte Keynes den Fokus ganz klar vor allem auf den Sektor und dann erst auf die Unternehmen. Dies spiegelt sich auch in einer zunehmenden Tendenz zu grundsätzlich eher niedrigen Einzelwertgewichtungen nieder. So hat Keynes seit 1932 niemals weniger als 44 Positionen gehabt. Am Anfang seiner Karriere hatte er relativ wenige Positionen und eine hohe Konzentration auf Top-Holdings. Diese Konzentration wurde dann aber sukzessive reduziert, wobei er aber immer noch hohe Gewichtungen bei besonders erfolgreichen Aktien zuließ. Insofern ist eine Einschätzung, die man immer wieder zu Keynes liest, zu pauschal, dass er ein Fokus-Investor war. Ein klarer Fokus ist nur zu Anfang seiner Karriere als institutioneller Geldmanager zu erkennen. Bei Sektoren hat Keynes den Fokus beibehalten, bei Einzelwerten aber nicht.

Ein weiterer bedeutender Unterschied zu anderen Langfristinvestoren wie Warren Buffett liegt darin, dass Keynes nicht der klassische „buy-and-hold“-Investor war, der eine Position grundsätzlich lange durchhielt. Am Anfang seiner Karriere schichtete Keynes relativ häufig um (ca. 1x im Jahr das komplette Portfolio) und machte auch aktives Trading. Im Laufe der Zeit änderte sich dies und der Umschichtungsfaktor verminderte sich deutlich. So akkumulierte er signifikante Langfristpositionen in seinen Lieblingsunternehmen wie Union Corporation, Hector Whaling und Austin Motors. Allerdings lässt sich feststellen, dass sich Keynes auch in seinen letzten Jahren nicht auf das Trading verzichtete und immer wieder opportunistisch versuchte, Marktineffizienzen auszunutzen. Hierbei dürfen seine Aktivitäten aber nicht mit dem Trading vieler heutiger Investoren verwechselt werden, die versuchen, auf kurzfristige Markttrends aufzuspringen. Keynes hat mit seinem Trading im Wesentlichen antizyklisch – also gegen den Trend – gehandelt. Bei seiner Ansicht nach übertriebenen Kursausschlägen hat er sich dagegen positioniert; nach einer Normalisierung wurde die Trading-Position wieder aufgelöst.

Neben der Sektorspezialisierung sind bei Keynes noch zwei weitere Charakteristika seiner Portfolios bemerkenswert: zum einen die Vermeidung von Blue Chips – also den Titeln mit den größten Börsenkapitalisierungen – und eine klare Bevorzugung von Unternehmen mit Auslandsaktivitäten.

Ähnlich wie auch heutzutage noch ist das Segment der kleinen und mittleren Unternehmen dasjenige, in dem sich die Firmen mit dem größten Wachstumspotenzial befinden. Zudem gibt es hier noch größere Informationsdefizite als bei den von Vielen analysierten Blue Chips, sodass sich Marktineffizienzen besser ausnutzen lassen.

Keynes hatte eine Vorliebe für Unternehmen, die ihr Geld außerhalb von Großbritannien verdienten. Hierbei handelte es sich sowohl um britische Unternehmen, die erhebliche Auslandsaktivitäten hatten, wie auch um ausländische Unternehmen. Dieser Ansatz war zu seiner Zeit durchaus ungewöhnlich, da die Globalisierung noch sehr viel weniger ausgeprägt war als heute und auch die Börse sehr viel stärker die Binnenwirtschaft widerspiegelte. Unklar ist, ob sich dahinter eine bewusste Entscheidung verbirgt oder ob sich diese Orientierung implizit aus den Einzelwertentscheidungen ergeben hat. Allerdings zeigt auch die heutige Erfahrung, das Unternehmen, die sich im internationalen Wettbewerb bewähren, i.d.R. effizienter und innovativer sind als vor allem binnenorientierte Firmen und daher meist auch höhere Erträge für ihre Aktionäre erwirtschaften.

Insgesamt lassen sich in Keynes Leben 4 Phasen als Investor unterscheiden:

1) Keynes als Zocker (1919-1920)
In seiner ersten Phase an den Kapitalmärkten machte Keynes eine Erfahrung, die auch heute noch viele intelligente Menschen machen. Mit ihrem theoretischen Wissen glauben sie, schlauer sein zu können als der Markt. Sie versuchen, mit riskanten Hebelprodukten Markttrends auszunutzen. Dies geht auch oft für eine gewisse Zeit gut, führt aber dann bei den handelnden Personen dazu, dass sie sich und ihre Fähigkeiten überschätzen und das Risiko immer mehr steigern, weil ja auch immer größere Gewinne locken. Irgendwann ändern sich die Märkte aber wieder. Was vorher noch als Rezept für schnelles Geld funktioniert hat, scheitert auf einmal mit fürchterlichen Verlusten.

2) Keynes als erfolgreicher Spekulant (1920-1924)
Gemäß dem Wahlspruch von André Kostolany, „wer kein Geld hat, muss spekulieren“ nutzte Keynes seine schmerzhaften Erfahrungen dazu, sich sein verlorenes Vermögen zurückzuholen und noch weiter zu steigern. Allerdings schien er wesentlich gereifter zu sein, kontrollierte seine Risiken und ließ sich nicht mehr von der Gier zu waghalsigen Spekulationen verführen. Nachdem er wieder ein substanzielles Vermögen angehäuft hat, beendete er die kurzfristigen Geschäfte und wandte sich der langfristigen Kapitalanlage zu.

3) Keynes als Global-Makro-Manager (1924-1932)
Privat und in seiner Tätigkeit als Fondsmanager konzentrierte sich Keynes jetzt auf die Anlage in Aktien und Rentenpapieren. Hierbei versuchte er aber immer noch, mit seiner Anlagestrategie von ökonomischen Trends zu profitieren. Hierbei lag er manchmal richtig, manchmal falsch. Er schaffte es in dieser von großen Unsicherheiten bestimmten Periode nur anfangs, dem briti¬schen Aktienmarkt vergleichbare Renditen zu erzielen. In dieser Periode erinnert er an viele der heutigen Fondsmanager, die versuchen, mit ihren Fonds Markttrends hinterherzulaufen. Manchmal treffen sie die Trends, manchmal liegen sie daneben, insgesamt generieren sie aber vor allem Transaktionskosten. Die Börsenweisheit „hin und her macht Taschen leer“ beschreibt die Problematik dieses Investmentstils.

4) Keynes als fundamentalanalytisch ausgerichteter Anleger (1932-1946)
Anfang der 30er Jahre setzte bei Keynes ein Umdenken in Hinblick auf die Anlagestrategie ein. Er, der Ökonom, verzichtete bei seinen Anlageentscheidungen auf die Einbeziehung kurz- und mittelfristiger ökonomischer Trends und setzte stattdessen voll auf die Identifikation von fundamental attraktiven Aktien. Er ging dabei ähnlich vor wie die in den USA der 30er Jahre aufkommenden Value-Investoren, ohne allerdings sein Vorgehen an diesen zu orientieren. Vielmehr scheinen sowohl Keynes wie auch die Value-Investoren (der bekannteste war Graham Dodd mit seinem grundlegenden Buch „Security Analysis“ von 1934) gleichzeitig zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen zu sein.

Hierbei ist für heutige Zeiten erstaunlich, dass Keynes zweimal mit seinen Aktivitäten an den Kapitalmärkten zunächst ausgesprochen wenig erfolgreich war: zuerst mit seinem Fastbankrott 1920 sowie Ende der 1920er, als seine makroökonomisch geprägte Vorgehensweise versagte und er dem Aktienmarkt hinterherlief. Es ist aber auch bemerkenswert, dass sowohl seine (anonym gebliebenen) Geldgeber von 1920 sowie die später Verantwortlichen des Kings College die Anfängerfehler tolerierten und ihm weiter vertraut haben.

Denn nur durch die eigenen Missgriffe konnte Keynes die Erfahrungen sammeln, die ihm später erlaubten, ein Starinvestor zu werden. Die grundlegende Erkenntnis, dass man am besten aus eigenen Fehlern lernen kann, erscheint in Zeiten modernen Risikomanagements nicht mehr hinnehmbar. Dies mussten unlängst viele Fondsmanager erfahren, die in den wilden Zeiten von Finanz- und Eurokrisen einige kurzfristige Trends verpassten und dann entweder zu einer Änderung ihrer Anlagepolitik gezwungen oder hinausgeworfen wurden. Wer heutzutage nicht immer gleich richtig funktioniert, wird schnell wieder eliminiert. Aber nur wer den Mut hat, auch Fehler zu machen, kann Erfahrungen sammeln, die zu herausragenden Leistungen befähigen.

Aber nicht nur die Toleranz gegenüber Fehlern würde den Risikomanagern heutiger Tage die Haare zu Berge stehen lassen. Sie sind von Benchmarkdenken geprägt, das aber in krassem Gegensatz zu Keynes Investmentphilosophie steht, da er sich nicht um repräsentative Marktindizes als Vorlage für eine Portfoliostrukturierung gekümmert hat. Allerdings achte Keynes sehr auf, dass die einzelnen Positionen von möglichst unabhängigen oder gegenläufigen Risikofaktoren abhängig waren. In dieser Hinsicht nahm er einige der Erkenntnisse der modernen Portfoliotheorie vorweg.

Keynes Ziel war nicht, eine Aktienmarktperformance nachzubilden. Dies wäre in den Krisen- und Kriegszeiten, in denen er lebte, auch relativ unbefriedigend gewesen. Das Benchmarkdenken heutiger Tage, das einen Marktindex als Maß aller Dinge propagiert, war ihm völlig fremd. Er wollte absolute Erträge erzielen und damit das Vermögen seines College mehren. Sein Risikomanagement bestand weder in einer naiven Diversifikation der Anlagen noch in komplizierten Korrelations- und Volatilitätsanalysen, sondern in einer Vermeidung von potenziell problematischen Sektoren, einer sorgfältigen Einschätzung der Bewertung sowie einer überlegten Streuung der Einzelwerte unter Beachtung ihrer spezifischen Risikoabhängigkeiten.

Insofern ist sehr fraglich, ob Keynes starke Abweichungen zum Gesamtmarktindex wirklich ein höheres Risiko darstellten als die heute favorisierten indexnahen Anlagephilosophien. Keynes kannte die moderne Portfoliotheorie noch nicht und konnte also zu ihr noch nicht Stellung nehmen. Dies hat aber der seiner Anlagephilosophie sehr nahestehende Warren Buffet getan, der die aus der modernen Portfoliotheorie hervorgegangene Risikophilosophie so zurückwies: “Das Risiko eines Investments wird nicht durch das Beta (ein Wall Street Ausdruck, der Volatilität beschreibt und oft zur Messung von Risiko eingesetzt wird) gemessen, sondern durch eine Wahrscheinlichkeit – die begründete Wahrscheinlichkeit, dass der Anleger einen Kaufkraftverlust über die Dauer seines Investments erleidet“. An anderer Stelle schrieb Buffet: „Risiko entsteht, wenn man nicht weiß, was man tut.“ Keynes wusste zumindest in seiner Erfolgsperiode immer exakt, worin er investierte.

Insgesamt lassen sich die Investmentprinzipien von Keynes erfolgreichen Jahren wie folgt zusammenfassen:

– Konzentration auf attraktive Segmente des Aktienmarkts, die von strukturellen Trends profitieren.

– Starke Risikostreuung bei Einzelwerten, die von möglichst unterschiedlichen Risikofaktoren abhängig sind.

– Hohe Gewichtungen werden nur bei wenigen, sehr intensiv analysierten Kerninvestments zugelassen.

– Gründliches fundamentalanalytisches Research als Basis für die einzelne Anlageentscheidung.

– Eine Vielzahl von Bewertungskriterien wird verwendet, um herauszufinden, inwieweit der Aktienpreis die Aussichten des Unternehmens reflektiert.

– Unternehmen mit starker Marktposition und vertrauenswürdigem Management werden klar bevorzugt.

– Zusatzerträge können durch mittelfristig ausgerichtetes, antizyklisches Trading erzielt werden.

Diese Kriterien sind heutzutage alles andere als veraltet. Im Gegenteil, nach den Erfahrungen der Finanzkrise erscheinen sie relevanter denn je. Insbesondere seine erfolgreiche Konzentration auf langfristig attraktive Bereiche des Aktienmarktes sollte all den zu denken geben, die propagieren, einfach nur den Markt zu kaufen. Denn mit dem Markt kauft man Gewinner und Verlierer, als Investor profitiert man aber nur von den Gewinnern. Diese sind natürlich im Einzelnen schwer zu identifizieren. Wenn man aber den Aktienmarkt quasi „vorsortiert“ und sich nur auf aussichtsreiche Segmente konzentriert, hat man schon sehr viel gewonnen. Keynes hatte dies erkannt. Wir sollten uns wieder darauf besinnen.

Der Beitrag erscheint ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 10 am 4. Februar 2013

Quellen:

Zu Keynes Leben und Werk vgl. Robert Skidelsky: Keynes – The Return of the Master; London 2009; Penguin Books; sowie http://www.maynardkeynes.org. Keynes Karriere als Investor wird am genauesten dargestellt bei: David Chambers und Elroy Dimson: KEYNES THE STOCK MARKET INVESTOR; Cambridge 2012 (http://ssrn.com/abstract=2023011).

Die Berechnungen für heutige Geldwerte wurden mit Hilfe folgender Website vorgenommen: http://www.thisismoney.co.uk/money/bills/article-1633409/Historic-inflation-calculator-value-money-changed-1900.html

Die Originalzitate von Warren Buffet lauten:

“The riskiness of an investment is not measured by beta (a Wall Street term encompassing volatility and often used in measuring risk) but rather by the probability – the reasoned probability – of that investment causing its owner a loss of purchasing-power over his contemplated holding period.” (Letter to the shareholders of Berkshire Hathaway for 2011)(http://www.berkshirehathaway.com/letters/2011ltr.pdf)

„Risk comes from not knowing what you´re doing.“ (http://www.bigfatpurse.com/2007/09/warren-buffett-risk-comes-from-not-knowing-what-youre-doing/

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