Bedeutung von Handels- und Kapitalungleichgewichten für die europäische Schuldenkrise

by Dirk Elsner on 6. Februar 2013

Achtung, dieses ist kein Beitrag über ein eventuelles Aufflammen oder gar Verblassen der Schuldenkrise, diese tagesaktuelle Hektik interessiert mich nicht. Dieser Beitrag soll eigentlich nur ein kurzer Lesehinweis auf eine im Januar veröffentlichte Studie werden, die ich am Wochenende entdeckte. Nun ist es doch ein wenig mehr geworden. Es geht um das Paper

The Importance of Trade and Capital Imbalances in the European Debt Crisis von Andrew J. Hughes Hallett, George Mason University – School of Public Policy und Juan Carlos Martinez Oliva, Bank of Italy.

Die Autoren kritisieren darin, dass die aktuelle Debatte die europäische Krise hauptsächlich durch fiskalische Ungleichgewichte erklärt. Ihr Papier möchte die Perspektive auf eine Sicht verschieben, die eher meiner Sicht entspricht, nämlich dass die innereuropäischen Zahlungsbilanzungleichgewichte wichtiger sind für die Krisenanalyse. Und diese Ungleichgewichte sind nicht nur abhängig von den Budgetdefiziten.

Die Leistungsbilanzungleichgewichte* zwischen “Nord” und “Süd” haben nämlich zu einer großen Anhäufung von Auslandsschulden in den Krisenstaaten geführt. Die Ströme von ausländischem Kapital aus den Überschussländern wie Deutschland in die Südländer, so argumentieren die Autoren, gingen aber nicht nur in “produktive Investitionen”, aus deren Erträge man die Schulden hätte tilgen können, sondern seien für den Konsum und die Immobilienfinanzierung verwendet worden.

Sie untermauern ihre mit vielen Formeln gespickte Analyse mit zwei Grafiken, die mich an meinen eigenen Beitrag erinnern: Ein Kern der Eurokrise in einer Grafik: Ungleichgewichte in der Leistungsbilanz 

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Das dynamische Wechselspiel zwischen Leistungsbilanzungleichgewichte und die Anhäufung von Auslandsschulden zeigt, dass das System in ein Ungleichgewicht gerät durch das Fehlen von Wechselkursen. Die Autoren meinen, je länger das Ungleichgewicht bestehe, desto härter würden die Anpassungen sein. Zur Instabilität hat dann geführt, dass Kapitalgeber ihre Mittel aus den Ländern abgezogen haben. Allerdings helfe das Ersetzen der privaten Gläubiger durch öffentliche Gläubiger nur vorübergehend einen Zusammenbruch zu vermeiden. Dies sei daher nur eine Notlösung, wenn die zugrunde liegenden Ungleichgewichte fortbestehen.

Und selbst wenn jetzt überall von Entspannung in der Schuldenkrise die Rede ist. Die absoluten Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite der Krisenländer gehen nicht oder nur geringfügig zurück**, sie wachsen also nicht mehr so stark, wie in früheren Jahren. Es ist damit simple buchhalterische Logik, dass damit die Auslandsverschuldung dieser Länder über Staat, Banken und private Gläubiger weiter ansteigt. Ich habe daher vor ein paar Wochen bereits geschrieben, dass ich allenfalls die Gläubigerkrise für vorübergehend beendet ansehe, nicht jedoch die Schuldenkrise, die eigentlich eine Leistungsbilanzkrise ist.

Auch wenn ich diese Analyse bis dahin teile, so zweifele ich noch an der Lösung der Autoren bzw. habe sie auch nicht verstanden. Leider vertiefen sie nämlich in dem Papier diesen Ansatz nicht. Eine dauerhafte Lösung bestehe in dem offiziellen “monetary transactions program” der Europäischen Zentralbank (EZB) offizielle monetäre Transaktionen Programm, wenn die daraus resultierenden Erweiterungen der Zentralbankbilanz akzeptiert werden. Nur wenn ich diesen Vorschlag richtig verstehe, dann läuft dieser auf eine weitere Finanzierung der Defizite hinaus.

Insbesondere an einer aktualisierten Ausgabe der unteren Grafik könnte man nach meiner Auffassung eine Entspannung in der Schuldenkrise erkennen. Dazu müsste die Kurve der Nordländer sich wieder nach unten bewegen. Im Klartext würde das bedeuten, die Nordländer müssten für mehrere Jahre erhebliche Leistungsbilanzdefizite mit den Südländern in Kauf nehmen. Ob das in Deutschland, das ja so stolz ist auf sein Exportweltmeister-Abo ist, jedem schmeckt, sei einmal dahin gestellt. Aber wenn die Schuldenkrise nachhaltig beendet werden soll und Deutschland weiter Exportweltmeister bleiben will, dann müssen wir auch Importweltmeister werden. Zwangsläufig werden aber die Krisenstaaten ihre Einkäufe in Deutschland zurückfahren, wie das Thomas Fischermann jüngst für ZEIT Online in “Gewinner von gestern” zusammen gefasst hat.

In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift WISU erklärt übrigens Thieß Petersen recht verständlich Leistungsbilanzungleichgewichte und Mechanismen des Leistungsbilanzausgleichs. Danach kennt die Außenwirtschaftstheorie drei Mechanismen des Leistungsbilanzausgleichs:

  • Wechselkursanpassungen,
  • Preisänderungen und
  • Veränderungen der Zinssätze

Die Außenwirtschaftspraxis könnte jetzt dazu noch ergänzen

  • mehr Waren aus den Überschussländern kaufen als dorthin verkaufen
  • Transferleistungen

* Die Leistungsbilanz erfasst neben den Exporten und Importen von Gütern und Dienstleistungen auch grenzüberschreitende Einkommens- und Transferzahlungen.

** Immerhin zeigen die aktuellen Leistungsbilanzdaten via Eurostat für Portugal, Spanien, Griechenland, Italien und Irland für Q3 einen Überschuss an. 

Stefan Wehmeier Juni 29, 2013 um 18:35 Uhr

1. Der Bancor-Plan ist nicht unabhängig von einer freiwirtschaftlichen Geld- und Bodenreform zu realisieren.

2. Eine freiwirtschaftliche Geld- und Bodenreform (ohnehin notwendig) macht den Bancor-Plan überflüssig.

Die tiefere Ursache, warum eine Menschheit, die bereits Raumfahrt betreibt, sich noch immer im zivilisatorischen Mittelalter (Zinsgeld-Ökonomie) befindet, ist die Religion (= selektive geistige Blindheit gegenüber makroökonomischen Konstruktionsfehlern):

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

Beate Februar 6, 2013 um 21:51 Uhr

Haben Sie geglaubt , dass Änderungen der Einkommensverteilung (höhere Lohnspreizung) wie Sie die Mehrheit der deutschen Ökonomen gefordert hat, nicht die Struktur der Nachfrage ändert?

Sollen jetzt die Einkommen noch mehr gespreizt werden, damit keine Arbeitsplätze in der Luxusautofertigung verloren gehen?

Mit Gutachten läßt sich Geld verdienen.

Viel Geld.

Guenni7 Februar 6, 2013 um 20:08 Uhr

Wenn nur die Südländer sich bewegen sollen, sprich eine interne Abwertung durchführen sollen, die Nordländer sich jedoch nicht bewegen, wird es die Währungsunion wohl tatsächlich irgendwann zerreissen.
Die Nordländer müssen intern Aufwerten, dann bleibt es (hoffentlich) für alle erträglich.

Alternativ können Sie das Ungleichgewicht natürlich auch mit Dauertransferzahlungen ausgleichen, da sehe ich nur den Sinn nicht…

Eric B. Februar 6, 2013 um 18:25 Uhr

Spannend. Ich stimme Tim zu, die Target-Salden müssen regelmäßig ausgeglichen werden, gleichzeitig muss die EZB den Defizitländern ausreichend Liquidität zuführen. Eine Alternative wäre mehr Inflation in den Überschussländern. Oder eine Transferunion, z.b. mit Eurobonds. Deutschland ist bekanntlich gegen alles. Berlin fordert mehr „Wettbewerbsfähigkeit“, was im Klartext nichts anderes als interne Abwertung über Lohnsenkung heißt. Dies wird die EU jedoch zerreißen…

Dieter K. Februar 7, 2013 um 08:43 Uhr

Mir scheint die Target-Lösung am Thema vorbei zu führen. Wenn in einem Land Banken, Unternehmen, Privatpersonen, der Staat Schulden aufbauen, wie soll dann der Ausgleich von Tartet-Salden zu einer Lösung führen?
Im Prinzip gibt es doch in der Konstellation nur zwei Lösungen, egal hinter welchen technischen Details man das versteckt:
– entweder kann zurückgezahlt werden
– es gibt Transfers.

Robert Michel Februar 9, 2013 um 08:01 Uhr

@Dieter K:

Wenn die Target-Salden regelmäßig ausgeglichen werden, würde das zu Deflation in den Defizitländern führen. Damit wäre das Ziel einer internen Abwertung erreicht. Die Frage ist, welcher Weg schmerzhafter ist, der aktuell beschrittene oder die Deflation.

Tim Februar 6, 2013 um 09:48 Uhr

Würde es nicht vollkommen genügend, im Euro-Systeme einen automatischen regelmäßigen Ausgleich der Target-2-Salden einzuführen, so wie im US-Zentralbanksystem?

Andreas Bangemann Februar 6, 2013 um 09:35 Uhr

Guter Beitrag, weil er den Blick auf ein wichtiges Ergebnis des herrschenden Finanz- und Währungssystems wirft.
Statt die Wellen kontrollieren zu wollen, welche die Gemeinschaftswährung zwangsläufig erzeugt hat – die Handelsbilanzungleichgewichte gehören dazu – wäre die bessere Taktik als Notfallmaßnahme „surfen zu lernen“. Das würde zum Beispiel bedeuten, über ein Konzept nachzudenken, das John Maynard Keynes bereits in Bretton Woods (Bancor-Konzept) vorgeschlagen hat und das den Punkt von Leistungsungleichgewichten im Blick hatte. Innerhalb einer Gemeinschaftswährung kommt man diesbezüglich allerdings nicht um eine Feinjustierung herum, wozu zum Beispiel die Einführung sogenannter „Komplementärer Währungen“ gehören würde.
Nachdem man surfen gelernt hat und die Wellen zu hoch schlagen um Spaß daran zu haben, sollte man sich auf jeden Fall auch noch mit dem Ursprung der Wellen befassen 😉

Andreas Bangemann Februar 9, 2013 um 09:40 Uhr

Hinsichtlich des Ausgleichs der TARGET-Salden, mache ich noch einmal den Vorstoß, sich einmal den BANCOR-Plan anzusehen. Unter diesem Aspekt sich das einmal genauer anzusehen, lohnt sich aus meiner Sicht auf jeden Fall:
http://postwachstumsoekonomie.org/Keynes-Bancor_Version2.pdf

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