Billigheimer und Verpackungskünstler

by Karl-Heinz Thielmann on 12. Februar 2013

Ein alter Freund von mir, der seit 20 Jahren im Ausland ist und seit einiger Zeit in einer europäischen Hauptstadt lebte, erzählte mir eine seiner Erfahrung nach typische Äußerung deutscher Touristen, mit der sie ihre höchste Freude über seine neue Heimat ausdrücken: „…. und das Essen war so billig!“

„Wer billig kauft, kauft teuer“ war hingegen einer der Wahlsprüche meiner Großeltern. Sie bevorzugten ganz klar das Wertbeständige. Das Etikett „billig“ war ein Warnsignal. Lieber gaben sie mehr aus für etwas, an dem sie länger Freude hatten. Allerdings durfte auf keinen Fall zu viel dafür bezahlt werden, Qualität und Preis sollten in einer angemessenen Relation stehen. Die heute dominierenden Konsumtrends sind aber „Hauptsache billig“ und Luxus. Beide muten, wenn man genauer darüber nachdenkt, etwas seltsam an, den beide haben in ihrer Konsequenz eine Entkoppelung von Preis und Qualität zur Folge.

Das Konsummotto „Hauptsache billig“ manifestiert sich im Werbespruch „Geiz ist geil“. Es geht darum, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu möglichst geringen Kosten zu bekommen, egal ob dies nur mit versteckten Mängeln zu erzielen ist. Potenzielle Qualitätsprobleme werden verdrängt.

Beim Luxus hingegen geht es darum, möglichst viel Geld auszugeben. Hier wird auf Qualität Wert gelegt, wobei fast egal scheint, wie viel diese kostet. Denn durch Luxus wird gezeigt, dass man es sich leisten kann und alles andere als geizig ist. Und hierauf kommt es an: Der Gebrauch eines Luxusgutes oder einer Dienstleistung wird erst durch die Bewunderung oder den Neid von Anderen richtig schön. Natürlich gibt es noch ein paar Leute, die sich ein Haute-Couture-Kleid, eine Luxusuhr oder einen Sportwagen zulegen, weil sie die Ästhetik oder die Technik schätzen, dennoch werden sie zunehmend zur Ausnahme. Deshalb wird auch für viele Luxuskonsumenten der eigentliche Gebrauchswert und damit die Qualität nebensächlicher. Eine folgerichtige Entwicklung ist deshalb, dass die meisten Luxusgüter inzwischen selbst zur standardisierten Massenware geworden sind. Sie sehen nur noch teuer aus, durch ihren Verkauf im Luxusambiente wird eine Exklusivität suggeriert, die es nicht mehr gibt. Zur großen Freude der Produzenten unterscheiden sich die reinen Herstellungskosten vielfach nur noch unwesentlich von denen normaler Produkte. Aber da sich der Wert für den Kunden vor allem aus dem mit dem Produkt verbundenen Image ergibt, reicht es völlig, wenn der Gebrauchswert nur noch Mindestanforderungen genügt. Der öffentlich zelebrierte Luxus erscheint in gewisserweise als der Triumph der Verpackung über den Inhalt.

Die Trends zum „Geiz ist geil“ und zur Luxusverpackung waren auch in der Finanzindustrie bestimmend. Ein gutes Beispiel für ein Billig-Produkt ist die normale Finanzberatung. Hier kommt es dem Kunden vor allem darauf an, dass er keine offensichtlichen Gebühren zahlt. Unabhängigkeit, versteckte Risiken und Gebühren scheinen wenig zu interessieren, Hauptsache der Finanzberater will nicht auch noch ein Honorar für seine Leistung. Und so geht die überwiegende Mehrheit der Deutschen immer noch zu Banken und Finanzvertrieben. Sie freuen sich über den Gratiskaffee und kommen sich besonders clever vor, wenn man ihnen großzügig ein paar Punkte vom Ausgabeaufschlag erlässt (weil der Verkäufer an anderer Stelle ja mehr als genug verdient). Neutrale Honorarberater hingegen kämpfen nach wie vor um ihr Überleben.

Und es gibt ein Luxusprodukt, das Private Banking. Sein Gebrauchswert ist nur unwesentlich höher als bei der normalen Finanzberatung, aber es sieht viel exklusiver aus. Der Kunde wird durch eine Marmoreingangshalle in gediegene Büros mit Echtholztäfelung geführt. Der Finanzberater trägt keine Tennissocken, sondern Maßanzüge. Er kennt sich nicht nur mit Fußball, sondern auch mit Oper, Golf und Champagnermarken aus und kann darüber hervorragend Small Talk machen. Dass er bei seiner eigentlichen Aufgabe, der Vermögensanlage, weniger vom Wohl des Kunden als von den Verkaufsvorgaben seiner Vorgesetzten geleitet ist, soll im edlen Umfeld nicht auffallen.

Individuelle Beratung kann aber weder nach dem Motto „Geiz ist geil“ noch aufgrund eines exklusiven Ambientes erfolgen. Kunden dürfen sich nicht der Illusion hingeben, dass gute Beratung umsonst ist bzw. sich aus einer schönen Gestaltung ergibt. Wer Billigheimern und Verpackungskünstlern vertraut, sollte sich über miserable Anlageergebnisse nicht wundern.

Kostengünstige Produktion im Finanzbereich muss nicht schlecht sein, sofern sie Effizienzvorteile nutzt, die auf Standardisierung beruhen. Weiterhin sollten die Kostenvorteile auch an die Kunden weitergeben werden. Ein Beispiel hierfür sind Indexfonds, die repräsentative Nachbildungen bestimmter Marktindizes sind und sich in einer akzeptablen Qualität zu niedrigsten Kosten herstellen lassen. Bei informierten Anlegern erfreuen sie sich deswegen berechtigter Weise zunehmender Beliebtheit. Allerdings bedingt ihr Einsatz eine genaue Analyse der Indexkomponenten und ihrer Sensitivitäten. Sonst kann es dem Anleger auch bei diesen Produkten passieren, dass er in etwas investiert, was er eigentlich nicht möchte.

Der steigenden Nachfrage nach transparenter und neutraler Information wird durch das zunehmende Wachstum von sozialen Plattformen entsprochen, die sich ausdrücklich mit Finanzthemen befassen. Hier können sich am Kapitalmarkt Interessierte über ihre Ansichten und Erfahrungen mit Finanzprodukten austauschen. Leider ist die Qualität dieser Plattformen aber noch sehr unterschiedlich. So dominieren in Deutschland noch diejenigen Angebote, auf denen Trader ihre kurzlebigen Ideen zum schnellen Reichtum austauschen können. Durch solche Angebote wird aber nur die fatale Neigung zu prozyklischen Spekulationen gefördert, die langfristig immer zur Kapitalvernichtung führen. In Großbritannien und USA hingegen haben sich schon Plattformen etabliert, in denen vor allem langfristig orientierte Anleger ihre Gedanken austauschen und anderen Investoren wertvolle Anregungen geben können. Diese stellen echten Fortschritt dar bei der Verbesserung der Transparenz der Finanzmärkte.

Ein weiterer klarer Trend am Markt für Kapitalanlagen ist das starke Wachstum von Family Offices, also individualisierten Vermögensverwaltungen von vermögenden Investoren. Ihre steigende Beliebtheit ist eine klare Indikation dafür, dass sich viele wohlhabende Anleger dagegen wehren, schön verpackte Massenware als Luxusprodukt verkauft zu bekommen. Sie stellen – ähnlich einer Schweizer Präzisionsuhr – echte Qualität dar: eine teuere, aber auch hochwertige und sehr individuelle Finanzdienstleistung. Und „teuer“ steht dann nicht für schöne Verpackung oder Befriedigung der Geltungssucht, sondern für vorzüglichen Inhalt.

Allerdings können sich die Wenigsten eine eigene Vermögensverwaltung leisten. Aber auch sie haben eine Alternative, die leider noch zu viel zu wenig genutzt wird. Honorarberater, die eine transparente und von Vertriebsinteressen unabhängige Beratung anbieten, haben es in Deutschland immer noch sehr schwer. Auch Privatanleger müssen lernen, was institutionelle Investoren schon lange wissen: Unabhängige Beratung kostet Geld und muss von neutraler Seite kommen, jedenfalls nicht von den Anbietern der Finanzprodukte. In Großbritannien hat man Anfang 2013 verboten, dass Berater sich durch Provisionen der Produzenten bezahlen lassen, und will so die neutrale Beratung stärken. Allerdings zeigen die ersten Erfahrungen, dass die überwiegende Anzahl der Kunden bisher nicht einsieht, dass sie für Finanzberatung angemessen zahlen soll. Laut einer aktuellen Umfrage von Allianz Global Investors in Großbritannien wollen 32% der Privatanleger für Finanzberatung nach wie vor kein Geld zahlen; 27% würden maximal £ 50,- (€58,60) pro Beraterstunde aufwenden. 86% der Finanzberater hingegen wollen zwischen £ 100,- (€117,20) und £ 200,- (€ 234,40) je Stunde verlangen; eine Gebühr, die wiederum nur 7% der Kunden zu bezahlen bereit sind.

Es ist also manches in Bewegung und vieles sogar in die richtige Richtung. Allerdings ist noch nicht genug geschehen. Man darf aber der Finanzindustrie nicht allein die Schuld an der bisherigen Misere geben. Ein gehöriges Maß Mitverantwortung tragen Kunden, deren hauptsächliche Anforderung an die Finanzberatung ist, dass sie entweder nichts kostet oder vor allem der Eitelkeit schmeichelt. Qualität und Unabhängigkeit haben ihren Preis, gerade in der Finanzbranche.

Der Text ist in einer gekürzten Fassung bereits erschienen in „Mit ruhiger Hand“ vom 4. Februar 2013.

Die Umfrage von Allianz Global Investors wurde zitiert nach: Steve Johnson: „RDR: Allianz exposes advice gap“ S.2 aus der Beilage FTfm von der Financial Times, 11. Februar 2013.

Guenni7 Februar 13, 2013 um 21:35 Uhr

„Ich bin da ziemlich ratlos und die einzige Lösung, die mir bisher eingefallen ist, ist sich intensiv mit allem selbst zu beschäftigen und niemandem in Sachen Geldanlage zu vertrauen.“

Das sehe ich mittlerweile genauso. Finanzberater können wirklich seriös eigentlich nur Grundlagenwissen vermitteln. Sobald Sie in die Anlageberatung gehen spielen Sie Roulette mit deinem Kapital. Wenn die meisten Fondsmanager schon eher mittelmässig abschneiden, warum sollte ein Finanzberater es besser können?

Paul Februar 13, 2013 um 10:19 Uhr

Die Einsicht ist da, aber wie findet man gute und unabhängige Finanzberater als Durchschnittsanleger, ohne das die Beratung so teuer ist, das nachher eine exorbitante Rendite erzielt werden müsste, um das wieder auszugleichen?

Ich bin da ziemlich ratlos und die einzige Lösung, die mir bisher eingefallen ist, ist sich intensiv mit allem selbst zu beschäftigen und niemandem in Sachen Geldanlage zu vertrauen.

Göllner Februar 13, 2013 um 09:01 Uhr

Das wüsste ich auch gerne.

Sima Februar 12, 2013 um 20:03 Uhr

@Stefan: Was hat ein begründetes Votum für Honorarberater mit Apple zu tun?

stefan Februar 12, 2013 um 08:08 Uhr

Apple lässt Grüßen

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