Skandinavische Erfolgsfaktoren

by Karl-Heinz Thielmann on 3. April 2013

Angesichts der gegenwärtigen Presseberichterstattung über die Eurokrise, die sich mit Schreckensmeldungen zu überbieten versucht, wird eines oft vergessen: Vor 20 Jahren hatte Europa auch eine Wirtschaftskrise. Deutschland kämpfte mit den wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung, erschien aber trotz aller Widrigkeiten als Hort der Stabilität. Großbritannien war durch die Währungsspekulationen von George Soros aus dem Europäischen Währungssystem herausgedrängt worden. Spanien und Italien hatten mit frappierend ähnlichen Schwierigkeiten wie heute zu kämpfen: Spanien mit den Konsequenzen einer geplatzten Spekulationsblase am Immobilienmarkt, Italien mit den lähmenden Auswirkungen einer korrupten Machtclique, die Politik und Großindustrie beherrschte. In beiden Ländern hatte sich innerhalb der Scheinstabilität des Europäischen Währungssystems die Wettbewerbsfähigkeit dramatisch verschlechtert.

In einer Region Europas sah aber alles ganz anders aus als heute, und zwar in Skandinavien. Alle vier Länder dieser Region waren von einer schweren Strukturkrise betroffen, die ihre Wurzeln in einer aus dem Ruder gelaufenen Immobilienspekulation hatte. Schonungslos legte sie die strukturellen Schwächen dieser Nationen bloß. Das Epizentrum der Krise lag im größten Land Schweden mit seinem aufgeblähten und ineffizienten Sozialsystem.

Wie dieses Land mit seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten umgegangen ist und sie gelöst hat, wird in den nächsten Tagen mit weiteren Artikeln auf blicklog.com genauer beleuchtet. Dennoch lohnt der Blick auf die gesamte Region, weil zwar die konkreten Probleme und Voraussetzungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich waren, aber alle vier Nationen es auf ähnliche Art und Weise geschafft haben, sich aus dem Krisensumpf herauszuziehen und inzwischen als Vorbilder der Stabilität zu erscheinen. Wie erfolgreich die skandinavischen Länder in den vergangenen Jahren waren, belegt eine Auswertung zur globalen Wettbewerbsfähigkeit von 144 Ländern vom World Economic Forum: Finnland steht auf den dritten Platz, dicht gefolgt von Schweden. Dänemark mit dem 12ten Platz und Norwegen mit dem 15ten Platz sind auch noch relativ gut positioniert.

Im Einzelnen lassen sich 4 Schlüsselfaktoren für den ökonomischen Erfolg dieser Region identifizieren:

1) Leistungsfreundliche Gestaltung des Steuersystems: Die Steuerbelastung in allen skandinavischen Ländern ist relativ hoch. Allerdings bekommen die Bürger auch etwas für ihr Geld, die Qualität öffentlicher Leistungen ist ebenfalls außergewöhnlich. Zudem wurde bei der Gestaltung der Steuersysteme darauf geachtet, dass die Steuersätze leistungsgerecht sind. Bei der Einkommenssteuer gibt es eine Progression, diese verläuft aber relativ milde. Die Steuern auf Unternehmensgewinne und Kapitalerträge sind hingegen im internationalen Vergleich eher niedrig, die Verbrauchssteuern aber relativ hoch.

Eine solche Steuerpolitik läuft linken Vorstellungen zur Besteuerung komplett zuwider. Dennoch sind die skandinavischen Länder in Hinblick auf Verteilungsgerechtigkeit weltweit führend. Der Gini-Koeffizient, mit dem eine gleichmäßige Einkommensverteilung gemessen wird, zeigt Schweden weltweit an erster Position, Dänemark an vierter, Norwegen an fünfter. Finnland liegt an zwölfter Stelle, noch vor Deutschland (14).

2) Marktwirtschaftliche Effizienz bei öffentlichen Leistungen: Alle skandinavischen Länder leisten sich nach wie vor einen umfangreichen Wohlfahrtsstaat, was nicht zuletzt auf einem am Gemeinwohl orientierten Gesellschaftsmodell liegt, dass von der Bevölkerung breit akzeptiert wird. Allerdings wurden die Sozialleistungen auf Effizienz getrimmt, indem marktwirtschaftliche Steuerungsmechanismen eingeführt wurden. Ein hohes Maß an Transparenz und Kostenbewusstsein hat dafür gesorgt, dass öffentliche Dienstleistungen erheblich günstiger als in anderen Ländern angeboten werden. Darüber hinaus wurde z. B. durch Privatisierungen Wettbewerbsdruck für öffentliche Unternehmen aufgebaut.

Diese Politik steht im eklatanten Gegensatz sowohl zu linken marktfeindlichen wie konservativen staatsfeindlichen Vorstellungen. Vielleicht ist sie aber gerade deshalb so erfolgreich, weil sie ideologiefrei die geeignetsten Elemente aus verschiedenen Politikansätzen kombiniert, ohne sich um die reine Lehre zu scheren.

3) Gesunde öffentliche Finanzen: Ein absolutes Politikprimat in Skandinavien war die Selbstverpflichtung zu Haushaltsdisziplin und Schuldenabbau. Der Anteil der Staatsschulden am BIP ist in den letzten 15 Jahren in Schweden von 69,9% auf 38,4% und in Dänemark von 72% auf 46,6% kontinuierlich zurückgegangen. In Finnland wurde nur ein geringer Anstieg von 47,6% auf 49% verzeichnet. Lediglich in Norwegen kam es zu einer Erhöhung von extrem niedrigen 30,3% auf 43,7%. Damit wird die weitverbreitete Ansicht widerlegt, dass Austerität langfristig Wirtschaftswachstum kostet: In Skandinavien war das Gegenteil der der Fall!

4) Offenheit gegenüber Innovationen und fremden Kulturen: Skandinavische Länder sind in der Regel sehr traditionsbewusst, so sind noch 3 der 4 Nationen konstitutionelle Monarchien. Dennoch verhindert diese Verankerung in traditionellen Werten nicht die Offenheit gegenüber fremden Kulturen oder neuen Technologien. In den vergangenen Jahrzehnten waren die Skandinavier am schnellsten, wenn es um die flächendeckende Einführung von Mobiltelefonie oder Breitbandinternet ging. Auch schafft man es immer wieder, heimische und globale Kultur in einer für die ganze Welt interessanten Art und Weise zu verbinden sowie daraus wirtschaftliche Erfolge zu machen. Skandinavisches Design gilt als weltweit führend. Schweden ist seit dem Erfolg von ABBA seit 40 Jahren einer der größten Anbieter von internationaler Pop-Musik. Finnland hat sich eine führende Rolle in der noch jungen Branche der Video-Spiele erobert.

Natürlich sind die skandinavischen Nationen nicht perfekt und schon gar nicht frei von Konflikten. Auch sind die Erfahrungen nicht 1 zu 1 auf andere Länder übertragbar. Allerdings hat man in dieser Region einen besseren Weg gefunden, mit den Problemen der Welt umzugehen und konstruktive Lösungen zu finden. Deswegen denke ich, dass Schweden und die anderen skandinavischen Länder als Vorbild in der Krisenbewältigung dienen können. In der Eurozone blockiert man sich derzeit gegenseitig, weil zu viele Politiker und ökonomische Ratgeber verbohrt auf ideologisch geprägten Positionen und nationalen Sonderinteressen beharren. Skandinavischer Gemeinsinn und Pragmatismus würden jetzt sehr helfen.

Dieser Artikel erscheint in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 12 vom 2. April 2013.

Berndt Juli 17, 2013 um 13:17 Uhr

„Damit wird die weitverbreitete Ansicht widerlegt, dass Austerität langfristig Wirtschaftswachstum kostet: In Skandinavien war das Gegenteil der der Fall!“

In wirtschaftlich guten Zeiten ist es ja auch einfach und richtig zu sparen (die Reduktion kam in allen vier Ländern vor 2008; seitdem steigt sie wieder (Ausnahme Norwegen))! Dies ändert sich in einer Krise aber schlagartig. Wie schön im Artikel beschrieben, denken die Skandinavier nicht in schwarz-weiß. Der Seitenhieb gegen die Gegner der Austeritätspolitik hätte also besser dem Vorbild dieser Länder folgen und somit unterbleiben sollen!
Viel wichtiger ist zu erkennen, dass es zwei Seiten der Makroökonomik gibt: Die „Gute“ (in der die normalen Marktmechanismen (Gewinnorientierung, angebotsseitige Politik) wirken) und die „Böse“ (in der diese Mechanismen aufgrund von Deleveraging und einem daraus folgenden Nachfrageausfall außer Kraft gesetzt sind). In der „Bösen“ sollte der Staat mit Defizitspending den Nachfrageausfall kompensieren (Borrower of last Resort) und danach in der „Guten“ Zeit die Staatsausgaben zurückfahren und dem Marktgeschehen den Vortritt lassen um ein crowding-out zu verhindern.

Jens22 April 3, 2013 um 21:09 Uhr

Geniales Interview zu Zypern und unserem Geldsystem:
http://www.youtube.com/watch?v=Nvr0PMBDekk&feature=player_embedded

FDominicus April 3, 2013 um 10:52 Uhr

„Was ist ein ineffizientes Sozialsystem?“

Ist ein anderes Wort für Normalzustand 😉

marsman April 3, 2013 um 13:59 Uhr

Die Effizienz eines Sozialsystems lässt sich u.a. durch eine genauere
Aufgliederung des Budgets ablesen.
Z. B. bei einer Krankenkasse der genauee Blick darauf wieviel von
den Ausgaben für bürokratischen Aufwand, inklusive – und da wiederum
genauer hingesehen – den Aufwand für das Topmanagement, Vorstand,
Aufsichtsräte, usw. – ausgeben wird und wieviel für Zahlungen an
medizinischen Aufwand (Ärzte, Medikamente, usw..).
Und diese Ausgaben lassen sich wiederum mit Aufwendungen
vergleichbarer Länder vergleichen.

marsman April 3, 2013 um 14:00 Uhr

Die Effizienz eines Sozialsystems lässt sich u.a. durch eine genauere
Aufgliederung des Budgets ablesen.
Z. B. bei einer Krankenkasse der genauere Blick darauf wieviel von
den Ausgaben für bürokratischen Aufwand, inklusive – und da wiederum
genauer hingesehen – den Aufwand für das Topmanagement, Vorstand,
Aufsichtsräte, usw. – ausgeben wird und wieviel für Zahlungen an
medizinischen Aufwand (Ärzte, Medikamente, usw..).
Und diese Ausgaben lassen sich wiederum mit Aufwendungen
vergleichbarer Länder vergleichen.

comment April 3, 2013 um 09:48 Uhr

zu 3) „Ansicht widerlegt, dass Austerität langfristig Wirtschaftswachstum kostet“

Der rwer-Blog sieht das dann für Schweden doch anders. Jayati Ghosh:
„In terms of macroeconomic strategy, an immediate measure was the devaluation of the exchange rate, which dramatically improved the export competitiveness of the economy and led to a long period of rapidly growing exports. However, the crucial point is that export-led growth was not seen as the only means of economic expansion, and measures were taken almost immediately to provide countercyclical fiscal policies that would generate internal demand to bring the economy out of the recession. This included labour markets and social welfare measures that affected women, which provided important countercyclical buffers.

Thus, instead of forcing reductions in fiscal deficits through austerity and contraction of public spending, the Swedish government let fiscal deficits increase during the crisis. This took the form of maintaining some earlier expenditures and expanding other spending to respond to the crisis and its employment effects. “

Die FRED-Grafik unter http://research.stlouisfed.org/fred2/series/DEBTTLSEA188A beginnt leider erst 1994, zeigt aber den deutlichen Schuldenabbau erst ab 1998.

Beate April 3, 2013 um 07:36 Uhr

Und ich dachte immer, die Abwertung der schwedischen Krone sei das entscheidende Element gewesen.

Was ist ein ineffizientes Sozialsystem?

Ich rätsel.

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