Wie Phönix aus der Asche: Absturz und Comeback der schwedischen Wirtschaft – Teil 1: Der Absturz

by Karl-Heinz Thielmann on 5. April 2013

Als vor einigen Monaten die Eurokrise heftig tobte, war eine der bevorzugten Fluchtwährungen für verängstigte Investoren die schwedische Krone. Das Schweden als sicherer Hafen für risikoscheue Anleger galt, war aber nicht immer so. Vor 20 Jahren hatte das Land genau den gegenteiligen Ruf.

Damals war das bevölkerungsreichste skandinavische Land Zentrum einer schweren Wirtschaftskrise. Die Kombination aus einer sozialdemokratisch geprägten Umverteilungspolitik und einer geplatzten Spekulationsblase am Immobilienmarkt hatte das Land scheinbar ruiniert. Die Inflation war außer Kontrolle geraten. Rapide zunehmende Staatsschulden, steigende Arbeitslosigkeit, ein Bankensystem kurz vor dem Zusammenbruch sowie die Währung im freien Fall bildeten die albtraumhaften Bestandteile einer ökonomischen Katastrophe, die das Land heimsuchte. Der Rest der Welt hatte Schweden abgeschrieben.

Dennoch gelang es dem Land, innerhalb weniger Jahre das Blatt wieder komplett zu wenden. Durch mutige Weichenstellungen in der Politik wurde aber mehr erreicht, als nur die Krise zu überwinden. Vom hoffnungslosen Fall wandelte sich Schweden zum ökonomischen Vorbild. Richtungsweisende Entscheidungen, die mit lieb gewonnenen Traditionen teilweise radikal brachen, beseitigten nicht nur vorherige Fehlsteuerungen, sondern bildeten auch die Voraussetzungen, dass Schweden wieder zu den sehr wohlhabenden und als besonders stabil geltenden Staaten aufschließen konnte. Angesichts der nach wie vor ungelösten Strukturprobleme in der Eurozone lohnt deshalb der Blick auf die vor 20 Jahren in Skandinavien gemachten Erfahrungen.

Eine zentrale Rolle in der schwedischen Wirtschaftspolitik spielte traditionell die Ausrichtung am Gedanken eines Wohlfahrtsstaates. Dem Staat wurde eine zentrale Rolle eingeräumt, um benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen zu helfen. Hierbei wurde vor allem auf vier Arten von Maßnahmen gesetzt:

– Umverteilung durch hohe Steuern für Gutverdiener sowie großzügige Unterstützung sozial Schwacher;
– umfassende soziale Absicherung durch Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Altersvorsorge;
– ein umfassendes Bildungssystem;
– Förderung von Familien und Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Frauen.

Seit den 1930er Jahren ist der Gedanke des „Folkhemmet“ (Volksheims) Leitlinie schwedischer Politik und zum Synonym für einen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat geworden. Der Wahlsieg der schwedischen Sozialdemokraten 1932 leitete einen Politikwechsel in Schweden ein, der es dem Land ermöglichte, sich als erste bedeutende Industrienation von der Weltwirtschaftskrise zu erholen. In den kommenden Jahrzehnten kam es schrittweise zu einem immer stärkeren Einfluss des Staates in der Wirtschaft. Eine enge Verbindung zwischen Unternehmen, Staat und Gewerkschaften wurde propagiert, um mögliche Konflikte möglichst reibungsarm zu lösen.

In den ersten Jahrzehnten konnte dieses sozialdemokratische Politikmodell durchaus als Erfolg gesehen werden. Schweden hatte sich aus dem Zweiten Weltkrieg herausgehalten und entwickelte sich danach gestützt auf Exporterfolge zu einem der wohlhabendsten Länder der Welt. 1970 war das Land nach Zahlen der OECD gemessen am BIP pro Kopf das viertreichste Land der Welt. Ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg waren vor allem zwei Faktoren: Zum einen die starke Stellung bei Rohstoffen wie Holz oder Eisenerzen, die bereits an ihrem Gewinnungsort zu höherwertigeren Produkten verarbeitet werden konnten. Zum anderen aber hatte sich aber auch eine leistungsfähige Kapitalgüterindustrie entwickelt und bescherte Schweden in den 60er Jahren den Ruf einer technologisch führenden Industrienation.

Dann kam es jedoch zu der Ölkrise 1973, die die schwedische Industrie besonders traf. Aufgrund der wachsenden Popularität sozialistischer Ideen kam es zu einer Verschärfung der staatlichen Einflussnahme in die Wirtschaft. Durch diese verlor Schwedens schrittweise an internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Die Steuern wurden immer weiter angehoben, bis sie nicht mehr tragbare Niveaus erreichten. Berühmt geworden ist das Beispiel der Schriftstellerin Astrid Lindgren, die an sich eine überzeugte Anhängerin des schwedischen Systems hoher Steuern war. Als sie jedoch 1976 mit einem Steuersatz von 102% konfrontiert war, also mehr an Steuern abführen sollte, als sie verdiente, kritisierte sie dies öffentlich und leitete damit zumindest eine teilweise Rücknahme dieser exzessiven Besteuerung ein.

Dennoch wurden private Aktivitäten immer weiter zurückgedrängt. Der Staatsanteil an der Wirtschaft stieg immer weiter, bis er schließlich 1993 mit 67% einen Höhepunkt erreichte. Um den immer schwächeren Privatsektor auszugleichen, erhöhte die Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zunächst immer stärker die schuldenfinanzierten Staatsausgaben. Produktivitätsdefizite sollten durch Abwertungen ausgeglichen werden, die aber nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit führten, sondern nur Inflation zur Folge hatten. Zwischen 1976 und 1982 kam es zu 6 teilweise sehr drastischen Abwertungsrunden.

In den 80er Jahren versuchte die Notenbank Riksbank den Wechselkurs zu stabilisieren, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen. Für einige Jahre gelang dies auch, in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts beschleunigte sich die Geldentwertung aber wieder. 1991 wurde die Krone an das Europäische Währungssystem angebunden, allerdings nur mit kurzer Dauer. 1992 musste die Anbindung wieder aufgegeben werden, die Krone wertete innerhalb eines Jahres gegenüber den wichtigsten anderen Währungen um ca. 20% ab.

Die schwedische Finanzkrise hatte ihren Ausgangspunkt im November 1985, als im Rahmen der Versuche die schwedische Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern eine Deregulierung des Finanzsektors in Kraft trat. Dies führte zu einer weitestgehenden Aufhebung von Restriktionen für die Kreditvergabe. Die schwedischen Banken, deren Kreditpolitik in den Vorjahren vor allem politisch bestimmt war, fingen jetzt an, mit aggressiven Angeboten um Marktanteile zu kämpfen, ohne sich um Risikokontrolle zu kümmern. Die Kreditzinsen rutschten unter die Inflationsraten. Zudem begünstigte das Steuersystem Zinszahlungen, sodass Privatleute sich effektiv zu negativen Realzinsen verschulden konnten. Und diese Gelegenheit wurde reichlich genutzt, innerhalb von 5 Jahren stieg die Verschuldung des privaten Sektors von 85% des BIP auf 135% des BIP. Die Kredite wurden in den Immobilien- und den Aktienmarkt gepumpt, die Preise von Kapitalanlagen stiegen unaufhörlich an, vor allem die Immobilien profitierten mit spektakulären Preissteigerungen. Durch diese wirtschaftliche Scheinblüte stiegen auch die Steuereinnahmen. Schweden verbuchte Budgetüberschüsse, die Staatsfinanzen sahen sehr gesund aus.

Gleichzeitig verschlechterte sich sukzessive aber die fundamentale Situation der schwedischen Volkswirtschaft. Die schwedische Krone war an einen Korb von 12 Währungen gebunden worden, die Notenbank war um stabile Wechselkurse bemüht. Da die Inflationsraten aber nach wie vor relativ hoch waren, verloren schwedische Unternehmen zunehmend an Wettbewerbsfähigkeit und die Ausfuhren gingen zurück. Die traditionelle Exportnation verbuchte auf einmal Außenhandelsdefizite.

Anfang der 90er Jahre verschärfte sich die Situation. Die deutsche Wiedervereinigung löste einen europaweiten Zinsanstieg aus, dem sich auch die Schweden nicht entziehen konnten. Da die fundamentalen Schwächen der schwedischen Wirtschaft immer offener zutage traten, kam es jetzt auch zu Währungsspekulationen gegen die Krone, denen die Riksbank mit steigenden Leitzinsen entgegentrat. Diese wurden von den Banken an ihre Kunden weitergegeben. Anstatt mit negativen Realzinsen waren viele Kreditnehmer auf einmal mit sehr hohen Zinsen konfrontiert und konnten die Belastung nicht mehr tragen. Die Produktion brach dramatisch ein. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des IMF schätzt den Rückgang mit ca. 30% des BIP ein. Die Arbeitslosenrate stieg von 2% auf 11%.

1993 erschien Schweden ruiniert und wurde vom Ausland mit unverholener Skepsis betrachtet. Um einen völligen Kollaps des Wirtschaftssystems zu verhindern, wurden eine Reihe von mutigen Refomen beschlossen, mit denen die grundlegenden Probleme des Landes angegangen wurden. Die einzelnen Maßnahmen und ihre Auswirkungen werden Gegenstand eines gesonderten Beitrags auf blicklog.com sein. In einem weiteren Artikel wird dann analysiert, inwieweit sich die in Schweden gemachten Erfahrungen auf die heutige Situation in der Eurozone übertragen lassen.

Dieser Artikel erscheint in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 12 vom 2. April 2013.

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