Bitcoin kommt gerade erst in der Realität an

by Dirk Elsner on 15. April 2013

In diesen Wochen sind ja mindestens zwei “Spekulationsblasen” geplatzt, jedenfalls glauben das viele: Gold und Bitcoin. Insbesondere Bitcoin hat eine ganze Menge Rauschen im Nachrichtenwald erzeugt. Für eine echte Bewertung oder gar einen vorzeitigen Abgesang ist es noch viel zu früh.

Spannend finde ich die Entwicklung um die dezentrale und virtuelle Währung und wie dicht die angeblichen vom Establishment distanzierten Nerds dann doch an der Wall Street dran sind. Wenn es darum geht, etwas für sich zu gewinnen, dann werden ideologische Brücken schnell eingerissen. Aber ich weiß gar nicht, ob diese Mutmaßung richtig ist. Also gleich in die unterste Klischeeschublade damit.

Dennoch bleit es bemerkenswert, Kursbewegungen der “Hackerwährung” zu beobachten. Das kann man gut auf der Seite von clarkmoody, die die Handelsdaten von Mt. Gox als Basis für ihre Darstellung nehmen.

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Ich habe unten lesenswertes Material über Bitcoin zusammengestellt und spare mir hier eine erneute Erklärung der “Herstellung” und Übertragung dieser elektronischen Zahleinheit.

Der Hype um den Kursanstieg und den drastischen Verfall erinnerte mich an die Mutter aller Spekulationslegenden, an die Tulpenzwiebelspekulation. Alle Welt schien im 17. Jahrhundert Tulpenzwiebeln haben zu wollen, niemand konnte damit etwa anfangen außer darauf hoffen, einen Dümmeren zu finden, der die Zwiebeln zu einem noch höheren Preis abkaufte. So scheint es auch bei den bitcoins gelaufen zu sein, deren ökonomische Bedeutung eigentlich noch nahe der Nulllinie verläuft. Wer diese digitale “Zahlungsmittel” erworben hat, konnte bisher nur in wenigen Shops damit etwas anfangen (hier von t3n ein Beitrag zur Einführung für Online-Händler) und hoffte wohl eher darauf, es zu einem höheren Preis verkaufen zu können.

Ich nehme den Berichten einmal vorläufig ab, dass es ziemlich schwierig ist, die Bitmünzen zu fälschen. Eigentlich müsste man dazu jetzt einen Exkurs in die Kryptographie machen. Das spare ich mir. Jedenfalls wollten bis vergangenen Mittwoch viele Bitcoins haben und trieben den Preis bis auf 266 US$ hoch. Dann begann der Verkaufsdruck, übrigens auch ausgelöst, wie die Financial Times schreibt, durch Verkäufe von Händlern, die Bitcoins als Zahlungsmittel akzeptieren. Der Wert aller im Umlauf befindlichen Bitcoins fiel so von 2,6 Mrd. US$ auf unter 1 Mrd.

Mir hat sich bis heute nicht der besondere Vorteil der Verwendung dieser privaten Kunstwährung erschlossen. Für einen gravierenden Nachteil halte ich die Begrenzung auf maximal 21 Millionen Einheiten, die Satoshi Nakamoto seinem Peer-to-Peer Electronic Cash System mitgegeben hat. Derzeit sollen 11,027 Millionen Bitcoins im Umlauf sein (siehe Bitcoin Charts). Wenn immer mehr Menschen Bitcoins verwenden, um immer mehr Produkte und Leistungen damit zu bezahlen, dann muss der Preis für Bitcoins in lokaler Währung zwangsläufig steigen bzw. die Preise in Bitcoins für Produkte ständig sinken. Erwarten die Käufer dies, dann werden sie eher Bitcoins horten statt sie auszugeben (siehe auch Slate: Bitcoin Will Spiral Up and Down Forever). Der Vorteil eines angeblich “eingebauten” Inflationsschutzes wird so zum Bumerang.

Vielleicht ist ja etwas dran an einer von Regierungen unabhängigen Weltwährung. Die Zeit dafür scheint aber noch lange nicht reif zu sein. Währungen leben vor allem vom Vertrauen darauf, dass ihre Besitzer auch morgen und übermorgen noch reale Güter und Dienstleistungen dafür möglichst zum heutigen Wert kaufen können. Große spekulative Preisschwankungen, technische Beschränkungen und willkürliche Handelsstopps tragen nicht gerade dazu bei, dieses Vertrauen herzustellen. Daneben scheinen die Handelsplätze für Bitcoins noch nicht über die professionelle Infrastruktur traditioneller Börsen zu verfügen. Das kann man ihnen allerdings kaum zum Vorwurf machen, denn mit so einem Hype dürften sie kaum gerechnet haben. Weitere Nachteile der Cyperwährung hatte Dieter Petereit schon 2011 für t3n zusammengestellt:

  • Zahlungen mit Bitcoins können nicht rückgängig gemacht werden. Hat man versehentlich an den Falschen gezahlt, ist man dem Wohlwollen dieser Person ausgesetzt. Im Zweifel ist das Geld weg.
  • Werden die Bitcoins auf der lokalen Festplatte gelagert und tritt ein Systemfehler auf, sind die Bitcoins weg.
  • Klaut jemand Euren Rechner, sind die Bitcoins weg.
  • Kauft Ihr Sachen, die man nicht kaufen sollte, und erhaltet statt der Ware Morddrohungen, sind die Bitcoins auch weg.

Trotz dieser Nachteile bin ich kein Freund davon, Bitcoin zu verbieten oder gar zu reglementieren. “Bitcoins sind eine interessante Erfindung”, schrieb Michael Casey für das Wall Street Journal. “Und dadurch, dass sie bei diversen Online-Seiten bereits als Zahlungsmittel akzeptiert werden, haben sie in vielerlei Hinsicht einen höheren praktischen Nutzen als Gold.” Ich denke daher, man sollte dem Instrument und der engagierten Community einfach einmal die Zeit zur Reife geben. Und mir ist mir eine unabhängige CryptoCurrency lieber als private Währungen, wie sie etwa Facebook (Facebook Credits) kreiert hatte oder Amazon mit den Coins noch rausbringen will.

Lesenswertes zu Bitcoin:

herzmeister April 18, 2013 um 11:08 Uhr

Weitere Nachteile dieses freien Internets habe ich schon 1994 für „Blick Log“ zusammengestellt:

Das Internet ist nicht so schön bunt und sicher wie unser AOL.

Über die Leitung gesandte Daten können nicht rückgängig gemacht werden. Hat man versehentlich an den Falschen gesendet, ist man dem Wohlwollen dieser Person ausgesetzt. Im Zweifel macht der damit was er will.

Wird eine HTML-Seite auf einem eigenen Server gespeichert und tritt ein Systemfehler auf, ist die Seite weg.

Klaut jemand euren Server, sind die Daten weg.

Veröffentlicht ihr Sachen, die man nicht veröffentlichen sollte, und erhaltet statt Anerkennung Morddrohungen, habt ihr auch Pech gehabt.

Holger April 15, 2013 um 22:25 Uhr

Da der Wert von Bitcoins eigentlich nur steigen kann (langfristig, aufgrund der forcierten Deflation und dem sich ständig vergrößernden Teilnehmerkreis) ist es fast mit einem Pyramidensystem vergleichbar.
Im Durchschnitt zahlen alle nachfolgenden Teilnehmer für die vorher schon eingetretenen Markteilnehmer. Ich denke, das ist mindestens mal diskussionswürdig.
http://kommentieremich.blogspot.de/2013/04/kann-bitcoin-mit-unserem.html

egghat (@egghat) April 15, 2013 um 21:20 Uhr

Noch sind Bitcoins ein Fliegenschiss gegenüber den normalen Währungen. (die im Übrigen auch immer zum Zahlen von Steuern benutzt werden konnten und daher immer einen gewissen Wert behalten. )

Man stelle sich jetzt mal vor, Bitcoins werden relevant und stellen sagen wir mal 1% der weltweiten Geldmenge. Da reden wir schnell über Summen, die zigfach höher sind als das was Bitcoins heute wert sind. Da die Hälfte der Bitcoins bereits erzeugt sind, kann mehr Geldmenge nur über Wertsteigerungen der vorhandenen Bitcoins entstehen. Das kann ich mir aber ehrlich gesagt nicht vorstellen.

Ich schätze, dass Bitcoins schneller verboten bzw. bekämpft werden als wir schauen können. Banken, Kreditkartengesellschaften und vor allem Zentralbanken können eine Konkurrenz nicht akzeptieren. Deren Geschäftmodelle werden komplett „disruptet“, im Fall der Notenbank wird diese entmachtet. Denn eines darf man bei Bitcoins nicht vergessen. Das Prinzip ist beliebig kopierbar. Es gibt bereits Lucre. Und die Sourcen für den Programmcode sind da. Wenn Google oder Amazon oder China eine eigene Währung wollen, können sie diese jetzt problemlos herstellen.

bernie April 15, 2013 um 16:06 Uhr

Die Argumente gegen Bicoins sind richtig – und schwach. Wie verhält es sich denn mit „normalem“ Geld? Ein Bündel Euro schneidet hier wohl kaum besser ab:

1. Zahlungen können nicht rückgängig gemacht werden: ist im realen leben nicht anders. Wenn ich am Kiosk zuviel bezahlt habe ist es Glücksache, ob ich das Geld wieder bekomme. Bei einer Überweisung habe ich bessere Chancen, muss mein Geld aber eventuell einklagen.

2. Systemfehler:
Brennt mein Haus ab, ist das 10.000 Bündel weg. Auf dem Konto ist es sicher. Allerdings kann man Datenverlust leicht vorbeugen: Backups machen!

3. Klaut jemand meine Brieftasche ist das Geld weg. Phischt jemand mein Konto ab, ist das Geld weg. Es sei denn man hat das Glück und die Bank ist kulant.
Bei Bitcoins ist das Geld nicht unbedingt weg: der Weg von Bitcoins lässt sich zweifelsfrei nachvollziehen. Ein Dieb kann Bitcoins kaum ausgeben ohen entdeckt zu werden.

4. Illegale Sachen kaufen: … halte ich nicht für ein schützenswertes Recht. Aber egal, ich vergleiche auch dieses Argument mit dem realen Leben. Ich nehme mein 10.000-Euro-Bündel und gehe zum Drogendealer um Kokain zu kaufen. Er will nicht liefern und erschießt mich. Dumm gelaufen!
Natürlich kann ich auch überweisen. Das läuft genauso wie bei Bitcoins: keine Ware aber Morddrohungen.

queue April 15, 2013 um 08:29 Uhr

Die Argumente von 2011 sind waren schon damals nicht vollständig gültig, Bitcoin hat sich aber auch weiterentwickelt:
1. Es ist inzwischen möglich, über das Protokoll Transaktionen durchzuführen, die zur Vollendung von mehr als einer Stelle bestätigt werden müssen. Das ist dann natürlich eine Stelle, der beide vertrauen müssen.
2. Das Guthaben ist an keinem physischen Ort gespeichert, sondern in der verteilten Blockkette online. Man kann (und sollte) seine privaten Schlüssel exportieren und sicher an einer zweiten Stelle lagern, das geht auch auf einem Stück Papier. Mit dem Schlüssel kommt man immer an sein Guthaben ran, auch an das, welches nach dem Export hinzu gekommen ist. Der Export wurde in den letzten 2 Jahren deutlich erleichtert und ist nun eine Standardfunktion von jedem Client.
3. Alle Clients haben mittlerweile die Möglichkeit, die eigene „Brieftasche“, vor allem aber die privaten Schlüssel, verschlüsselt zu speichern. Ohne ein Kennwort kommt der Dieb also nicht an die Bitcoins. Man selbst mittels Backup aber schon.
4. Man glaubt es kaum, aber selbst Schwarzmarkt-Plattformen treten als Treuhänder auf und bezahlen den Händler erst, wenn die Lieferung bestätigt ist und vermitteln im Klärungsfall. Betrügt ein Händler mehr als 10% seiner Kunden oder wird eine solche Drohung an die Betreiber weitergegeben, dann wird er nicht bezahlt und die Käufer erhalten ihr gesamtes Geld zurück.
Handelt man abseits einer solchen Plattform mit einer komplett fremden Person, dann kann das beschriebene Szenario natürlich eintreten… genau wie mit jedem Drogendealer in einer dunklen Straßenecke, der einen dann auch gleich um die restlichen Euros in der Brieftasche erleichtert und krankenhausreif schlägt.

Interessant sind auch die Zahlen, die Bitpay ( http://blog.bitpay.com/ ) als größter Bitcoin-Zahlungsdienstleister (im legalen Bereich) veröffentlicht. Das Handelsvolumen (Waren und Dienstleistungen, nicht Geldwechsel) stieg von unter 700.000 $ im Februar auf über 5,2 Mio. $ im März, davon 3 Mio. $ in den letzten 8 Tagen.
Ausgerechnet während des heftigsten Kursanstiegs haben die Leute also Bitcoin verstärkt als Zahlungsmittel verwendet, anstatt zu horten.

Bis Bitcoin seinen Zweck als allgemeingültige Online-Währung erfüllen kann, werden noch Jahre vergehen, aber es ist viel zu früh, um Bitcoin abzuschreiben oder von einer geplatzten Blase zu sprechen. Schon gar nicht, weil der Kurs auf den Stand vom Vormonat zurück geht (derzeit entspricht der Durchschnittskurs der letzten 2 Tage fast dem der letzten 30 Tage). Es wird sicher noch 1-2 Hype-Zyklen mit anschließendem „Crash“ (Korrekturen) geben, bis der Kurs sich richtig stabilisiert. Im letzten Jahr war er übrigens über Monate stabil, und gerade in der Zeit wuchs die Bitcoin-Wirtschaft.
Der größte Schwachpunkt sind heute wie 2011 die Börsen, mit Ripple ist aber gerade eine dezentrale Lösung am Start, die das entschärfen könnte.

Kurz: Ich glaube an Bitcoin als Zahlungsmittel, nicht als Spekulationsobjekt. Irgendwann 2015 oder später.

FDominicus April 15, 2013 um 06:43 Uhr

Ich bleibe für mich bei der alten Regel: Gold = Geld und alles andere sind Schuldscheine…

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