Der Ferienmodus hat gestern begonnen. Damit das Blick Log nicht austrocknet, folgen werktags hier ein paar Beiträge aus dem Archiv. Los geht es.
Einerseits verspüre ich seit Monaten eine gewissen Krisensättigung, andererseits kann ich dann aber doch nicht wiederstehen, wenn ich ein Buch sehe, dass die Finanz- und Schuldenkrise zum Thema macht. Ich glaube nämlich, dass erst jetzt so langsam die Bücher geschrieben werden können, die wirklich sinnvolle Erklärungsansätze zur Finanz- und Wirtschaftskrise bieten. Ein Buch, das sich aus feuilletonistischer Flughöhe mit Krisen befasst ist das Kursbuch 170 (ziemlich passende Kritik hier vom Deutschlandradio). Das Kursbuch erklärt zwar die Krise nicht, stellt aber die eine oder andere Frage (die meisten interessieren mich davon allerdings nicht). Aber der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe befasst sich in seinem Essay “Ohne Krisen keine Harmonie” u.a. mit der Frage, warum wir eigentlich auf die Versprechungen der Politik hereinfallen, sie verschaffe uns Krisenfreiheit. Er schreibt u.a. (Unterstreichung durch mich):
“Was gibt uns aber die Hoffnung, so könnte man fragen, die Hoffnung und den Wunsch, Krisenfreiheit sei nicht nur möglich, sondern auch durch politisches Tun erreichbar und, was ja gar nicht selbstredend ist, auch erstrebenswert? Wieso nehmen wir im Bewusstsein ihrer regelmäßigen Wiederkehr Wirtschaftskrisen nicht einfach nur hin, ertragen sie als die normalen Momente wirtschaftlichen Strukturwandels mit demselben Gleichmut, mit dem wir Aufschwünge betrachten. Uns allen ist doch längst klar geworden, dass es keine immerwährenden Aufschwünge geben kann, zumal fraglich ist, ob die Menschheit das überhaupt aushielte. Ökologisch jedenfalls wäre es eine einzige Katastrophe, aber auch wirtschaftlich ist es nur wünschenswert, wenn gelegentlich Altes untergeht und Neues entsteht. … Es scheint eher eine Art Schadenszauber zu sein, der da stattfindet: Die Politik schiebt die selbst erzeugten Desaster dem vermeintlich wild gewordenen Kapitalismus als dessen Erzeugnis in die Schuhe, womit sie sich selbst erneut als rettende Kraft ins Spiel bringt. Dass es sich in der Tat um Schadenszauber handelt, sieht man daran, dass in der Politik niemand ernsthaft daran denkt, der Wirtschaft ihre verhängnisvolle Autonomie zu nehmen. Dass die Linke als einzige Bastion für Verstaatlichungen plädiert, ist immerhin noch konsequent. Was gibt uns aber die Hoffnung, so könnte man fragen, die Hoffnung und den Wunsch, Krisenfreiheit sei nicht nur möglich, sondern auch durch politisches Tun erreichbar und, was ja gar nicht selbstredend ist, auch erstrebenswert? Wieso nehmen wir im Bewusstsein ihrer regelmäßigen Wiederkehr Wirtschaftskrisen nicht einfach nur hin, ertragen sie als die normalen Momente wirtschaftlichen Strukturwandels mit demselben Gleichmut, mit dem wir Aufschwünge betrachten. Uns allen ist doch längst klar geworden, dass es keine immerwährenden Aufschwünge geben kann, zumal fraglich ist, ob die Menschheit das überhaupt aushielte. Ökologisch jedenfalls wäre es eine einzige Katastrophe, aber auch wirtschaftlich ist es nur wünschenswert, wenn gelegentlich Altes untergeht und Neues entsteht.”
Ich finde die Frage von Plumpe absolut berechtigt. Seit Jahren verfolgen wir einen durch die Wirtschaftsmedien verstärkten kaum noch lesbaren Politiker- und Expertenzauber. Die Kakophonie der Wirtschaftselite mit ihrer Vorschlagsflut etwa zur Lösung der griechischen Schuldenkrise suggeriert, wir können solche Finanz- und Wirtschaftskrisen beherrschen und künftige Finanz- und Schuldenkrisen verhindern. Dabei sollte uns eigentlich schon das Kurzzeitgedächtnis lehren, dass selbst Beschlüsse auf Euro- oder G20-Gipfeln bereits Stunden nach ihrem Ende überholt sind.Täglich werden wir von Fachleuten belehrt, wie man Krisen verhindern kann. Dabei wissen sie gar nicht, ob das funktioniert. Der amerikanische Politologe Philip Tetlock hat in seinem Buch “Everybody’s An Expert” herausgearbeitet, dass Fachleute keine guten Prognostiker seien. Die meisten Experten waren in ihren Vorhersagen nur wenig besser als der Zufall. “Das Niveau an Wissen, das sich als nützlich erwies, war recht bescheiden”, fasste John Kay im Handelsblatt (v. 10.1.11) die Ergebnisse zusammen. “Es entsprach ungefähr dem, das ein eifriger Tageszeitungsleser erreicht. Größere Expertise war nicht hilfreich. Aber Tetlocks überraschendste Konklusion war, dass die Qualität einer Prognose vom Bekanntheitsgrad der Person abhing. Nicht in der Art, die Sie erwarten: Gerade schlechte Prognostiker werden am meisten von Politikern, Unternehmern und Journalisten herangezogen.” Der Mitherausgeber der Wochenzeitung DIE ZEIT, Josef Joffe, setzte noch eins drauf und erklärt uns, warum Experten als Weissager so gut sind wie Bleigießer. Joffe kommt zu der für Leser dieses Blogs wenig überraschenden Erkenntnis (siehe dazu “Erweckt das Echtzeitweb den Laplaceschen Dämon?”), dass sich komplexe Sacherhalte in Politik und Wirtschaft nicht vorhersehen lassen und fragt, warum wir dennoch ständig wieder “Expertenprognosen lesen. Seine Antwort:
“Davon leben die sogenannten Experten, und je wilder die Vorhersage, desto höher die Aufmerksamkeit. Wer bedacht und bescheiden die unendliche Komplexität menschlicher Existenz analysiert (»Vielleicht so, aber vielleicht ganz anders«), wird nie wieder in die Talkshow eingeladen. Die Bühne beherrschen immer die Pauken, nicht die Piccoloflöten. Noch besser: Keiner wird für den Unsinn geächtet oder gefeuert. Im Prophetengeschäft gibt es keine Qualitätskontrolle.”
Wenn also die “Experten”, auf die gehört wird, keine Problemlösungskompetenz haben und es vermutlich sonst niemanden gibt, der wirklich zuverlässig und verbindlich Wege weiß, wie man solche Finanz- und Wirtschaftskrisen verhindern, warum machen wir dann einen solchen Zinnober darum? Ich glaube, wir können nicht anders. Wir wollen glauben, dass wir Krisen beherrschen können. Und vielleicht will die herrschende "Elite" in Wirtschaft und Politik erreichen, dass die Beherrschten glauben, Krisen könnten erklärt und damit in den Griff bekommen werden. Sonst würde ein Teil der Legitimation der Herrschenden verloren gehen? Ich weiß es nicht. Tatsächlich lechzen wir nach besonderen Ereignissen nach schnellen Erklärungen und unterliegen der Täuschung, dass wir aus Ad-hoc Erklärungen vergangener Ereignisse auch schnelle Lösungen ableiten können. Dabei erweisen sich viele Erklärungen bei genauer und tiefer Betrachtung als vollkommen willkürlich. Nirgends wird das aktuell besser deutlich als bei der europäischen Schuldenkrise. In der Mindmap zur europäischen Schuldenkrise sammele ich in dem Ast diskutierte Maßnahmen Vorschläge verschiedener Fachleute. In der längst nicht abschließenden Sammlung habe ich 37 verschiedene Vorschläge von Fachleuten aus Wirtschaftswissenschaft, Politik, Wirtschaftspraxis und Medien zusammen getragen. Und diese Sammlung ist mit Sicherheit unvollständig. Es liegt auf der Hand, dass nicht alle Vorschläge gleich gut und richtig sein können. Das arbeitet auch Uwe Jean Heuser in dem bemerkenswerten Beitrag für die ZEIT “Der Glaubenskrieg” heraus. Darin geht es um den eskalierten Streit, wie der Westen die Krise überwinden kann. Mit noch mehr Geld, wie es Amerika will? Oder mit konsequentem Sparen, wie es die Euro-Staaten planen? Aber auch Heuser gelangt nicht zu der Frage, die Plumpe im Kursbuch gestellt hat: Wieso nehmen wir im Bewusstsein ihrer regelmäßigen Wiederkehr Wirtschaftskrisen nicht einfach nur hin?
Für die USA fand ich heute:
http://www.huffingtonpost.com/2009/09/07/priceless-how-the-federal_n_278805.html
Kurze Ergänzung bei Ihrem Mindmap sind soweit ich sehe keine Vorschläge enthalten ein Geldsystem zu benutzen… Warum eigentlich nicht?
Grundlegend wurden diese Krisen sehr wohl erklärt und erwartet und der Grund existiert immer weiter. Zentralbanken, Mindestreserve und die nahezu beliebige Vervielfältigung etwaiger Verrechnungseinheiten durch Ausschalten des Geldmarktes.
Comments on this entry are closed.