Endet der Superzyklus im Supercrash?

by Karl-Heinz Thielmann on 6. August 2013

Kennen Sie Pilbara? Hierbei handelt sich um kein exotisches Südseeparadies, sondern um einen Ort in Westaustralien, an dem sich mit einer Produktionskapazität von 290 Mio. Tonnen jährlich eine der größten Förderstätten für Eisenerz auf der Welt befindet. Und Pilbara soll noch größer werden. Betreiber Rio Tinto will 5 Mrd. US$ investieren, um die Kapazitäten bis 2015 auf 360 Mio. Tonnen zu erweitern.

Bei den Wettbewerbern hat sich der australisch-britische Bergbaukonzern mit diesem Plan bereits sehr unbeliebt gemacht. Trotz anhaltend starker Nachfrage aus China und anderen Schwellenländern ist der Eisenerzpreis unter Druck, da Ausweitungen der Förderkapazität in den vergangenen Jahren dafür gesorgt haben, dass das Angebot sich inzwischen schneller ausweitet als die Nachfrage. Eine weitere Vergrößerung der Produktion wird unweigerlich dazu führen, dass die Preise weiter sinken und schwächere Rohstoffkonzerne unter Druck geraten.

Doch bisher weigert sich Rio Tinto, dem Drängen der anderen nachzugeben. Und warum auch? Andere Rohstoffkonzerne nehmen bei ihren Expansionsplänen ja auch keine Rücksicht auf ihre Wettbewerber, ganz im Gegenteil.

Zwischen 2002 und 2010 war an den Weltrohstoffmärkten ein Aufschwung zu verzeichnen, der alle bisherigen zyklischen Anstiege in den vergangenen Jahrzehnten in den Schatten stellte. Ausschlaggebend hierfür war eine Kombination von einmaligen Faktoren:

• Der wirtschaftliche Aufstieg der Schwellenländer Brasilen, Russland, China und Indien war mit einem erheblichen Nachfrageschub für Rohstoffe aller Art verbunden. Insbesondere China heizte mit einem Investmentboom für Infrastrukturprojekte die Nachfrage nach Industriemetallen an.

• Institutionelle Investoren entdeckten Rohstoffe als Anlageklasse. Enttäuscht von den Renditen an Aktienmärkten und in der Suche nach verbesserter Risikostreuung wandten sich viele Großinvestoren den Rohstoffmärkten zu, die stetige Ertragszuwächse versprachen und deren Risiko unabhängig von den klassischen Anlageformen Aktie und Rente schien.

• Die großen Rohstoffkonzerne ließen sich in der Anfangsphase des Booms nicht wie in früheren Phasen zu hohen Investitionen verleiten, mit denen die Produktion zu stark ausgeweitet wurde. Der Nachfrageanstieg schlug sich so voll in Preissteigerungen nieder.

Der „Superzyklus“ für Rohstoffe wurde von vielen Analysten ausgerufen. Insbesondere die Aussichten auf eine stetig steigende Nachfrage aus Entwicklungsländern beflügelten viele Prognosen über immer weiter steigende Rohstoffpreise. Nach der Finanzkrise 2008 konnten sich die Rohstoffmärkte schnell wieder erholen und schienen ihren Rekordlauf fortzusetzen.

Seit zwei Jahren ist der Aufschwung jedoch ins Stocken geraten. Nur in einzelnen Teilsegmenten der Rohstoffmärkte sind noch Preissteigerungen zu verzeichnen gewesen. In der Breite kamen die Preise jedoch unter Druck, ohne aber vollkommen wegzubrechen. Trotz aller Wirtschaftsprobleme ist die Nachfrage aus China, Indien und anderen Schwellenländern immer noch enorm. Hieran wird sich angesichts des nach wie vor vorhandenen Nachholbedarfs dieser Länder auch nichts ändern.

Dennoch sind die Aussichten für den Rohstoffsektor nicht mehr als besonders gut zu bezeichnen. Grund dafür ist weniger die schwächelnde Nachfrage, als vielmehr die ungeheuren Investitionen, die gerade in den vergangenen Jahren in den Aufbau von Förderkapazität geflossen sind. Vor 2008 hatten die großen Rohstoffkonzerne noch Disziplin gewahrt und waren einem selbstzerstörerischen Wettlauf um immer größere Förderkapazitäten ausgewichen, da dieser über kurz oder lang mit massiven Produktionsausweitungen die Preise zerstören muss. Diese Disziplin ist jedoch verloren gegangen. Ein Beispiel hierfür sind Zahlen aus Australien, die belegen, wie stark die Investments zugenommen haben.

Für 2012/13 hat noch einmal ein Zuwachs von ca. 20% stattgefunden. Investitionen für weitere 270 Mrd. Aus$ sind noch geplant. Derzeit fließen 60% aller australischen Investitionen in den Rohstoffsektor; nach 30% 2008 und zwischen 10% und 22% im Zeitraum 1990 bis 2006.

In der Seefahrt hatte der Boom bei den Frachtraten vor einigen Jahren dazu geführt, dass die Schiffswerften mit einer Auftragsflut überschwemmt wurden, die über Jahre für Auslastung sorgte. Jetzt kommen die neuen Schiffe an den einen Markt, der von massiven Überkapazitäten beim Seetransport geprägt ist. Bei den hierdurch gefallenen Frachtraten ist für die Neuankömmlinge wenig zu verdienen. Speziell deutsche Anleger, die über Schiffsfonds an diesem Boom partizipieren wollten, sind jetzt die Dummen. Allerdings war diese Katastrophe vorhersehbar; man hätte sich vor ein paar Jahren nur mal ausrechnen müssen, wie sich die geplanten Schiffsneubauten auf das Gesamtangebot auswirken.

Noch träger als beim Schiffbau reagiert das Angebot bei der Rohstoffextraktion. Neue Förderstätten benötigen zwischen 5 und 10 Jahre von Investitionsbeginn, bis sie ihre Produktion verkaufen können. Das heißt, dass wir erst in einigen Jahren eine massive Ausweitung der Produktion sehen werden, die aller Voraussicht nach die Preise auf breiter Front drücken wird.

Für uns von Grundstoffimporten abhängige Deutsche ist dies im Grunde eine gute Nachricht, ebenso für die rohstoffarmen Südeuropäer oder Entwicklungsländer wie Indien. Für Rohstoffländer wie Kanada, Australien, Südafrika oder Russland brechen hingegen gefährliche Zeiten an.

Professor José Antonio Ocampo von der Columbia University hat Rohstoffpreise seit 1865 ausgewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass der gegenwärtige „Superzyklus“ für Rohstoffe nur eine Aufwärtsbewegung innerhalb eines langfristigen, zyklisch verlaufenden Trends für Rohstoffe ist. Innerhalb dieses Trends gibt es Subzyklen von ca. 30-40 Jahre Länge. Zudem haben per Saldo Rohstoffe real – also inflationsbereinigt – in den Abschwüngen immer mehr verloren, als sie vorher gewonnen haben. Seit dem Höchststand 1917 bis heute bemisst er den realen Wertverlust mit Rohstoffen ca. 50%.

Dennoch empfehlen viele quantitative Analysten und Anlagestrategen Rohstoffe nach wie vor zumindest als Depotbeimischung. Ihre Analysen und Berechnungen basieren meist auf dem Zeitraum seit den 1980er Jahren. Sie umfassen damit gerade mal einen Subzyklus und den noch nicht einmal vollständig. Dies ist grob fahrlässig, wäre aber nicht das erste Beispiel dafür, dass Investmentbankanalysten Zahlen so zurechtbiegen, dass sie zu einer Marketing-Story wie „Superzyklus“ passt. Das Dumme ist nur, dass sich so viele globale Institutionen in den vergangenen Jahren genau aufgrund dieser dubiosen Berechnungen in Rohstoffen massiv engagiert haben. Wenn Kurse fallen, können diese leicht nervös werden, die „Notbremse“ ziehen, und ohne Rücksicht auf die Liquidität wieder aussteigen. Dies kann eine Abwärtsspirale auslösen bzw. massiv verstärken, die mit Fundamentaldaten gar nichts zu tun hat.

Ein deutliches Warnsignal ist, dass JP Morgan als einer der bisher größten Rohstoffhändler vor einigen Tagen angekündigt hat, sich aus dem Geschäft mit physischen Rohstoffen zurückzuziehen. Interessanterweise soll der Handel mit Terminkontrakten auf Rohstoffe aufrechterhalten werden. Leerverkäufe, mit denen man auf Kursrückgänge setzten kann, behält man sich also vor.

Natürlich weiß ich auch nicht, ob und wann der Einbruch am Rohstoffmarkt kommt. Angesichts der massiven Kapazitätserweiterungen und der hohen Finanz-Investments kann man aber nur ein ungutes Gefühl für die weitere Preisentwicklung bekommen. Ein Supercrash mit massiven Kurs-Rückgängen scheint möglich, ähnlich wie wir es vor einiger Zeit bei den Frachtraten im Seetransport sahen. Wenn Überschussproduktion und Verkäufe von Anlegern die Rohstoffpreise drücken, hilft auch das Nachfragewachstum in den Schwellenländern nicht mehr.

Prof. Ocampos Vortrag zur langfristigen Rohstoffpreisentwicklung ist als Video abrufbar unter: http://www.imf.org/external/mmedia/view.aspx?vid=2260899208001

Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form ebenfalls in „Mit ruhiger Hand“ Nummer 16 vom 5. August 2013.

Previous post:

Next post: