Eine bei deutschen Anlegern sehr beliebte Form der Zertifikate ist die sogenannte Aktienanleihe. Laut Angaben des Deutschen Derivateverbandes DDV gibt es derzeit ca. 53.000 Aktienanleihen, in denen ca. 6 Mrd. € investiert sind. Weitere 4,5 Mrd. € sind in den vergleichbar strukturierten Discountzertifikaten angelegt.
Beide Formen von Zertifikaten funktionieren ähnlich, indem sie die verbriefte Form eines Optionsgeschäfts darstellen, bei dem der Zertifikatekäufer die Rolle eines Stillhalters im Rahmen eines Optionsverkaufs übernimmt: Bei der Aktienanleihe entspricht dies einem sog. Short-Put-Geschäft (auch Verkauf einer Verkaufsoption genannt). Bei diesem Geschäft wird das Recht verkauft, eine Aktie oder ein anderes Finanzinstrument zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Optionsverkäufer anzudienen. Hierfür erhält der Verkäufer der Option ein Entgelt, die „Optionsprämie“, die im Vergleich mit üblichen Zinsen sehr hoch ausfällt. Dafür trägt er aber auch das Risiko, dass er Aktien zu einem über dem über dem aktuellen Wert liegenden Kurs erwerben muss, wenn ihr Marktwert unter den Ausübungskurs sinkt. Hiermit wäre dann ein unmittelbarer Verlust verbunden.
Normalerweise muss für den Verkauf einer Verkaufsoption Liquidität hinterlegt werden, damit im Ausübungsfall der Erwerb gesichert ist. Bei den Aktienanleihen werden alle die mit dem Verkauf einer Verkaufsoption verbunden Schritte in einem Zertifikat (Hinterlegung der Liquidität und Optionsverkauf) kombiniert. Die Optionsprämie fließt in Form von Zinsen zurück; bzw. durch einen Preisabschlag, wenn die Zertifikate unter dem Nominalbetrag ausgegeben werden.
Aktienanleihen werden von Finanzvertrieben und Banken gerne mit dem Argument empfohlen, dass sie eine interessante Alternative zu konventionellen Anlagen darstellen: Risikoärmer als die Aktie, da sie weit weniger schwanken, und höher verzinst als die konventionelle Rentenanlage. Insbesondere in der derzeitigen Niedrigzinsphase sollen sie vergleichsweise attraktiv sein.
Doch stimmt dieses Bild einer hochrentierlichen und einigermaßen sicheren Alternative zu Aktien und Renten wirklich?
Die Derivatebörse Scoach errechnet Indizes zu verschiedenen Zertifikat-Typen. Diese werden auf Basis von Zertifikaten für den Eurostoxx 50-Index ermittelt. Der Index für Aktienanleihen wird seit 1.1.2009 ermittelt und weist bis 30.9.2013 einen Gewinn von 29,4% aus. Der Eurostoxx 50 Total Return erzielte im gleichen Zeitraum 42,0%, wenn auch bei größeren Schwankungen. Allerdings werden diese Zertifikat-Indizes – auch der für Aktienanleihen – in ihrer Zusammensetzung von relativ kurz laufenden Zertifikaten dominiert. Die Indexkomponenten werden also permanent ausgetauscht, was ihre Aussagekraft für einen langfristigen Performancevergleich erheblich einschränkt. Hierdurch würde es in der Praxis zu erheblichen Transaktionskosten kommen. Um ein realistisches Bild der Anlegeergebnisse von Aktienanleihen zu bekommen, erscheinen diese Indizes daher ungeeignet.
Der Deutsche Derivateverband DDV (eine Interessenvereinigung der wichtigsten Emissionsbanken für Zertifikate in Deutschland, die nach eigenen Angaben zusammen einen Marktanteil von ca. 95% haben) veröffentlicht eine Risikokennzahl für Aktienanleihen, die auf dem Value at Risk-Modell (VaR) basiert. Diese Risikokennzahl wird auf Finanzinformationsseiten im Internet und von Finanzvertrieblern übernommen. Auf der Basis dieser Risikokennzahl werden zudem Anlageprodukte vom DDV in Risikoklassen von 1 (niedriges Risiko) bist 5 (hohes Risiko) eingeordnet. Aktienanleihen werden aufgrund der VaR-Berechnungen meist in die niedrige Risikoklasse 2 (begrenzt risikobereit) oder in die mittlere Klasse 3 (risikobereit) eingeordnet. Zum Vergleich: DAX-Indexzertifikate – die den Index genau nachbilden – sind derzeit ebenfalls in Klasse 3 eingeordnet. Insofern sollte nach der Methodik des DDV zumindest ein Teil der Aktienanleihen ähnlich riskant sein wie der Aktienmarkt selbst.
Ganz abgesehen von den grundsätzlichen methodischen Problemen mit VaR ist allerdings auffällig, dass sich die angegebene Berechnung i.d.R. auf eine Haltedauer von 10 Tagen bezieht, die aber für die meisten Käufer von Aktienanleihen unrealistisch kurz ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass VaR sinnvolle Zahlen zur Risikobewertung liefert, müsste dieser dann aber auf die Haltedauer gerechnet werden, die bei Aktienanleihen i.d.R. mehrere Monate dauert oder bis zur Endfälligkeit geht. Weiterhin liefert der Value-at-Risk-Ansatz konstruktionsbedingt keine Information über das durchschnittliche Schadensausmaß bei ungünstigen Szenarien. Hierfür müsste man es das Risikomaß Conditional Value at Risk (CVaR) verwenden. Zudem sind die Erträge aus Aktienanleihen nicht „normal verteilt“. Damit fehlt aber die wesentliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit des VaR-Modells.
Ein zusätzliches Problem bei Aktienanleihen ist das Emittentenrisiko. Dieses ergibt sich daraus, dass der Herausgeber der Aktienanleihe i.d.R. ein Finanzinstitut ist, das gegenüber der eigentlichen Aktie zusätzliche Risiken aufweist. Es trifft den Anleger bei Aktienanleihen gleich zweifach: Zum einen in Form eines erhöhten Ausfallrisikos, weil diese Anleihen (wie z. B. bei Lehman Brothers 2008 geschehen) in der Form von Inhaberschuldverschreibungen herausgegeben werden, die im Konkursfall gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt sind. Zum anderen in der Form eines Liquiditätsrisikos, da zumeist der Emittent der Aktienanleihe auch der Market Maker für diese Anleihe ist, der während der Laufzeit an der Börse oder außerbörslich Kurse stellt und die laufende Handelbarkeit garantiert. Will ein Anleger vorzeitig verkaufen, ist also davon abhängig, dass die Emissionsbank ihm faire Kurse stellt. Genau dies ist aber oft nicht der Fall, wie vor Kurzem ein von der Rating-Agentur Scope durchgeführter Vergleich von Zertifikatekursen mit ihren aus der Optionspreistheorie abgeleiteten „fairen Werten“ zeigte.
Insofern muss man man sehr stark infrage stellen, inwieweit das Bild der Aktienanleihe einer attraktiven Anlage hinsichtlich Performance und Risikoeinschätzung wirklich zutreffend ist. Doch wie ist die Risikosituation bei Aktienanleihen wirklich? Um die Eignung der Aktienanleihe für mittel bis langfristig ausgerichtete Anleger zu überprüfen, wurde deshalb für diese Untersuchung folgender Ansatz gewählt: Welche Anlageergebnisse hätte ein ein Investor erzielt, der über Jahre hinweg immer wieder in den gleichen Typ von Aktienanleihe investiert hätte? Wie sehen diese Ergebnisse im Vergleich mit anderen Anlageformen aus?
Um eine möglichst repräsentative Basis zu bekommen, wurde von Aktienanleihen auf den DAX ausgegangen. Diese unterscheiden sich jedoch in Hinblick auf diejenigen, welche auf Einzelwerte lauten, in Bezug auf die Rückzahlung: Fällt eine Aktienanleihe auf den DAX unter ihren Basispreis, erfolgt die Rückzahlung normalerweise in Form eines um den Kursverlust gekürzten Geldbetrages. Bei einer Aktienanleihe auf einen Einzelwert erfolgt stattdessen i.d.R. eine Lieferung von effektiven Aktien.
Leider lassen sich die historischen Renditen für Aktienanleihen nicht mehr rekonstruieren. Daher wurde für die Performancesimulationen seit 1991 eine konstante jährliche Verzinsung angenommen. Im Basisszenario wurde deswegen zuerst die aktuelle Verzinsung für verschiedene Typen von Aktienanleihen untersucht.
Für die Untersuchung wurde angenommen, dass ein Anleger zu Beginn des Jahres 1991 den Gegenwert von 10.000€ angelegt hat. Hierfür wurden folgende Anlagestrategien simuliert:
1. 100% Aktien: Er hatte diese 10.000€ komplett in den DAX investiert.
2. 100% Staatsanleihen: Er hatte diese 10.000€ komplett in den REX investiert.
3. Werterhalt: Bei der Berechnung von DAX, REX sowie der Performance von Aktienanleihen werden Inflation, Steuern und Transaktionskosten nicht berücksichtigt. Um diesen Effekt zu kompensieren, soll angenommen werden, dass eine Pauschale von jährlich 3% erwirtschaftet werden soll, die einen realen Werterhalt nach Inflation, Steuern und Transaktionskosten ermöglichen.
4. Aktienanleihen: Der Anleger investiert sein Anlagegeld jedes Jahr in eine DAX-Aktienanleihe mit einem Jahr Restlaufzeit. Im Folgenden werden die Ergebnisse für verschiedene Ausstattungen simuliert.
Szenario 1: historische Wertentwicklung von Aktienanleihen bei aktuellen Konditionen
Derzeit bringen Aktienanleihen auf den DAX mit einem Jahr Restlaufzeit, wenn die Ausübungsschwelle (Basispreis) beim aktuellen Kurs des DAX liegt, ca. 7,5% Rendite p.a. Aktienanleihen, deren Ausübungskurs 5% unterhalb des aktuellen Kurses des DAX liegt – die also eine gewisse Sicherheitsschwelle gegenüber Kursrückgängen beinhalten – rentieren derzeit mit ca. 5,5% p.a.
Hätte ein Anleger seit 1991 jeweils zum Jahresanfang in eine Aktienanleihe des ersten Typs (Basispreis = aktueller Kurs des unterliegenden Finanzinstruments) angelegt und die Rückzahlung sowie die Erträge jeweils zum Jahresbeginn wieder investiert, hätten sich bei einer Verzinsung von 7,5% p.a. unten stehende Anlageergebnisse ergeben.
Die Anlage von 10.000 € in den DAX hätte einen Gewinn von 44.444 € ergeben; beim REX hätte man mit deutlich niedrigeren Kursschwankungen 30.940 € erzielt. Um einen Werterhalt nach Steuern und Inflation zu garantieren, hätten aufgrund des Zinseszinseffektes Erträge in Höhe von 9.160 € erzielt werden müssen, was sowohl mit Aktien wie auch mit Renten deutlich übertroffen wurde. Die Anlage in die Aktienanleihen des heute üblichen Typs hätte hingegen nur zu einem geringen nominalen Gewinn von 870 € geführt. Unter Berücksichtigung der Inflation hätte es sogar einen sehr deutlichen Wertverlust gegeben.
Sowohl mit einem Investment in den DAX wie auch in den REX hätten sich also Anlageergebnisse erzielen lassen, die einen Werterhalt nach Steuern und Inflation ermöglicht hätten. Mit der Aktienanleihe hingegen wäre nicht nur dies nicht gelungen, sondern nur ein sehr geringer Ertrag entstanden. Zwar stimmt das Bild, dass dieser Typ zwar bei einer Seitwärtsentwicklung des Aktienmarktes der Direktanlage in Aktien ebenbürtig oder überlegen zeigt. Allerdings waren diese Phasen in den letzten 22 Jahren sehr selten. Zumeist zeigte der Aktienmarkt starke Ausschläge nach oben oder unten. In Abwärtsphasen verliert die Aktienanleihe zwar weniger, kann aufgrund ihrer Performancebeschränkung die Anstiegsphasen nur stark unterproportional mitmachen. Auch im Vergleich zur konventionellen Rentenanlage schneidet die Aktienanleihe negativ ab: die starken Einbrüche gleichen zeitweise Zusatzerträge mehr als aus.
Bei einer Anlage mit „Sicherheitsschwelle“ sieht das Ergebnis mit einem Gesamtgewinn von 170€ nach 22 Jahren noch ungünstiger aus, da sie mit der Inkaufnahme signifikant niedriger Zinsen verbunden ist.
Dieser Zinsnachteil wirkt sich stark auf die Langfristperformance aus, während aufgrund der starken Kursschwankungen des Aktienmarktes eine Sicherheitsschwelle von 5% völlig unzureichend ist, um bei den seltenen, aber heftigen Einbrüchen größere Verluste zu vermeiden. Vier Verlustjahre gleichen die Erträge aus 18 Jahren aus.
Dieser Beitrag wird übermorgen fortgesetzt mit der Szenario-Analyse von weiteren möglichen Ausstattungen von Aktienanleihen.
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