Gastbeitrag von Udo Stähler*
Bundespräsident Gauck hat uns zum Nachdenken angeregt. Wir sind aufgefordert, leere Worthülsen wieder mit Inhalten zu füllen. Der „Mythos Neoklassik“ (Dirk Elsner am 8. März 2013) als Grundlage zur Begründung politischer Ideologien sonnt sich im präsidialen Licht. Die „überaus notwendige Rede“ (ZEIT online) von Bundespräsident Joachim Gauck am 16. Januar 2014 auf einer Festveranstaltung des Walter Eucken Instituts wird vor allem auf ihre Warnungen vor einer „Zentralverwaltungswirtschaft“ und anmaßenden Regulierungen des Staates untersucht. Die Bandbreite der Zusammenfassungen reicht von „Warnung vor staatlicher Regulierung“ (Spiegel Online) bis „Warnung vor staatlicher Überregulierung“ (taz). Die Priester der neoklassischen Wirtschaftstheorie haben vor Freude darüber Gaucks Widerstand gegen das Nichtstun, eigentlich Euckens Ansatz, überhört.
Dieses vermeintliche redivivi des freien Marktes, insbesondere des von Regulierungen bedrohten Kapitalmarktes, verschafft auch dem sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine Verschnaufpause. Meine Kunden wurden bereits von der „Wissenschaft“ darauf vorbereitet, dass CDU, CSU und SPD in den Koalitionsverhandlungen eine Fülle neuer Vorschriften für Unternehmen vereinbaren werden. Was sofort die Sorge weckt, dass der freie Unternehmer an die Kette gelegt werde und der Mittelstand im GroKo-Regulierungsprogramm den übelsten Wettbewerber hat. Das 60jährige Bestehen des Walter Eucken Instituts liegt in einer Zeit, in der die neoliberale FDP seine Interessen nicht mehr im Bundestag vertreten kann. Auch darüber machen sich einige meiner Kunden Sorgen.
Wir erinnern uns, dass in der Zeit nach Karl Schiller das Wirtschaftsministerium in der Spielstube des Ordoliberalismus, Gralshüter liberaler Ordnungspolitik e.h., dem Wirtschaftsgeschehen hinterher dämmerte. Bis Sigmar Gabriel – mal schauen, was noch kommt – haben alle Minister nichts angefasst. Angela Merkel hat diese Untätigkeit zur Entwicklung der Wertschöpfung als eine den Wohlstand bewahrende wirtschaftspolitische Leistung vermarkten können.
Die Wertschöpfungsprozesse des Mittelstandes haben in Walter Eucken gerade deshalb einen Bündnispartner, weil sein Neoliberalismus sowohl an den negativen Erfahrungen des Staatsinterventionismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als auch an den Erfahrungen mit dem laissez-faire-Liberalismus anknüpft. Die Geburtsstunde des politischen Neoliberalismus wird das „Manifest der Marktwirtschaft“, das am 9. September 1982 der damalige Wirtschaftsminister Lambsdorff dem Kanzleramt übergab, gewesen sein. Der „Mythos Neoklassik“ als Grundlage des laissez-faire eines Neoliberalismus in der Politik. Bundespräsident Gauck hat hier jedoch darauf hingewiesen, dass „sich Eucken und seine Mitstreiter selbst als sogenannte „Neoliberale“ genau gegen dieses reine „Laissez-faire“, das dem Neoliberalismus heute so häufig unterstellt wird“ (Gauck) gewandt haben.
Mit dem Manifest der Marktwirtschaft wurden die Liberalen blind für die Schattenseiten eines ungezügelten Mythos, insbesondere auf dem Kapitalmarkt. Während der Bundespräsident sich dieser Aus- und Nebenwirkungen gedanklich annimmt, wenn er festhält: „Was die Finanz- und Schuldenkrise bewirkt hat, das weiß jeder junge Arbeitssuchende in Spanien und Griechenland. An dieser Krise sehen wir sehr gut, was Freiheit erweitert und was sie einschränkt“, zelebrieren die deutschen Neoliberalen in FDP und AfD Kaltherzigkeit.
Wenn die Warnung des Bundespräsidenten vor einem regulierenden Staat die zentrale Botschaft gewesen wäre, hätte er dann vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Finanzkrise insbesondere auf die südeuropäischen Länder darauf hingewiesen, dass „Der Ordnungsrahmen der Finanzmärkte … nahezu weltweit nicht gewährleistet (hat), dass Banken ihre Risiken auf ein verantwortbares Maß begrenzten und für ihre Verluste hafteten“? Diese kritische Aufforderung zum Handeln wird im Freudentaumel der Neoliberalen überhört.
An dieser Stelle wird deutlich, dass Bundespräsident Gauck eben nicht der Rückkehr des ungezügelten Marktgeschehens, sondern dem regulatorischen Anspruch des Neoliberalen mit präsidialer Vornehmheit den Weg geebnet hat. Und zurück zum neuen Wirtschaftsminister: als Neoliberaler, wie Gauck ihn sieht, könnte er die Ära des Nichtstuns beenden.
Udo Stähler ist Diplom Volkswirt und Interimsmanager
Comments on this entry are closed.
{ 2 trackbacks }