Meist befasse ich mich in diesem Blog um den Jahreswechsel mit dem Sinn und Unsinn von Prognosen (siehe hier für 2013). Nun hatte ich mich gerade im November erst mit wirtschaftlichen Vorhersagen am Beispiel eines Lavastroms auf Hawaii befasst. In dem Beitrag war mir aufgefallen, wie zurückhaltend Naturwissenschaftler bei ihren Vorhersagen sind, weil sie um die Schwächen genauer Prognosen von Vulkanaktivitäten wissen.
Kaum vorhersehbar: Lavastrom am 28.10.2014 (Foto: HVO)
Solche Zeugnisse intellektueller Bescheidenheit findet man in veröffentlichten ökonomischen Vorhersagen eher selten und bestenfalls in Fußnoten. Besonders faszinierend sind Finanzmarktprognosen, die oft mit großer Eloquenz vorgetragen werden, als folgten die Modelle einer gesetzlichen Logik. Leider wird der anekdotische Charakter dieser Vorhersagen auch von vielen Medien nicht erkannt, geschweige denn entlarvt. Das Handelsblatt hatte Mitte Dezember zu den Fehlschätzungen der Bankenanalysten festgehalten: “Beim deutschen Leitindex Dax waren die Schätzungen im Schnitt zwölf Prozent zu hoch, beim britischen Auswahlindex FTSE rund acht Prozent, wie die Auswertung von Reuters-Umfragedaten zeigt.“ Warum Kapitalmarktprognosen stets zu gut ausfallen, habe ich in dem Beitrag „Wenn Du ein Bär bist und falsch liegst, wirst Du gefeuert“ beleuchtet.
Kritiker schimpfen beim ex-post-Realitätscheck gern über die Unfähigkeit von Analysten und Volkswirten. Oft klingt die Kritik so, als müsste man einfach nur bessere Analysten und Verfahren finden, um dann zu der richtigen Vorhersage zu kommen. Solche Denke ist noch größerer Blödsinn. Trotz des verbreiteten Bewusstseins über die Fehleranfälligkeit ökonomischer Prognosen wiederholen sich die Rituale jedes Jahr.
Der Wirtschaftsforscher Thomas Straubhaar beschwerte sich vor Weihnachten in der Welt, dass Wirtschaftsweise in Grund und Boden gestampft würden, weil ihre Prognosen nicht eintreffen. Straubhaar wies übrigens auch darauf hin, dass im Gegensatz zur Wetterprognose Konjunkturprognosen das Verhalten in der Ökonomie beeinflussen und sich dadurch selbst zerstören oder bestätigen könnten. “Eine punktgenaue Vorhersage kann somit gar nicht das Ziel einer guten Konjunkturprognose sein.”
Das ist natürlich eine prima Entschuldigung. Straubhaar hat dabei wohl nicht im Kopf gehabt, was der Ökonom MIlton Friedman einst sagte: “Eine Erklärung ist erfolgreich, wenn mit ihrer Hilfe eine erfolgreiche Prognose gelingt.” (zitiert nach Brodbeck). Wendet man diesen von Friedman angeführten Maßstab an, dann sieht es sehr mau aus für die Ökonomie.
Widerlegt mangelnde Prognosefähigkeit die Neoklassik?
Wie reagieren Ökonomen auf die Konfrontation mit ihren eigenen Fehlprognosen? Hans-Werner Sinn soll nach Brodbeck auf eine entsprechende Frage geantwortet: „Wir machen ja keine unbedingten Prognosen – auch wenn wir in der Öffentlichkeit gern so interpretiert werden –, sondern wir treffen Wenn-dann-Aussagen: Wenn das Wachstum der Weltwirtschaft, der Rohölpreis, der Aktienkurs und anderes mehr bestimmte für plausibel gehaltene Werte annehmen, dann reagiert unsere Wirtschaft in einer bestimmten Weise, und es ergibt sich eine Konjunkturprognose.
Brodbeck kommentiert das so:
“Sinn wiederholt hier einen häufig von Ökonomen gemachten Denkfehler, der auf einer Petitio principii beruht: Die Aufgabe der ökonomischen Theorie – in Friedmans Definition – ist es, Preisbewegungen zu prognostizieren. Sinn übergeht diese Aufgabe und verpackt die wichtigsten Preise in der modernen Volkswirtschaft (Erdölpreis, Preise für Wertpapiere) in den „Datenkranz“: Weil er den Erdölpreis und die Preise der Wertpapiere nicht erklären kann, deshalb könne er die Märkte bzw. den Gesamtmarkt nicht vorhersagen – weil Märkte nicht prognostiziert werden können, deshalb versagen Marktprognosen.
Diese Immunisierungsstrategie, Prognosen von Bedingungen abhängig zu machen, die selbst zum wichtigsten Erklärungsbereich der ökonomischen Theorie gehören, kommt einer Selbstaufgabe der Ökonomie als Wissenschaft gleich. Was würde man von einem Astronomen sagen, dem die Prognose einer Mondfinsternis misslungen ist und der als Ausrede anführte: „Ich konnte die Bewegung der Erde nicht Vorhersagen“? Wenn Märkte interdependent sind, dann gibt es keine bedingte Prognose, die einige Märkte als „Daten“ betrachtet. Schumpeter hat diesen methodischen Fehler zu Recht betont: „Wir können unser Weltbild natürlich sehr vereinfachen und zu sehr simplen Sätzen gelangen, wenn wir uns mit Behauptungen folgender Art zufrieden geben: sind A, B, C … gegeben, so hängt D von E ab. Wenn nun A, B, C … Faktoren sind, die außerhalb des untersuchten Gebietes liegen, so ist alles in Ordnung. Sind sie jedoch Teile der zu /194/ erklärenden Phänomene, dann können Aussagen darüber, was durch was bestimmt wird, leicht unwiderlegbar formuliert werden.“
Das angeführte Beispiel verdeutlicht ein Prinzip. Das Scheitern von Prognosen, die nach Friedman das Kriterium und die Rechtfertigung für die Annahmen der Mainstream-Ökonomie sind, hat die Ökonomen noch nie daran gehindert, immer wieder solche „bedingten“ Prognosen, also empirisch leere Aussagen zu formulieren, die nicht widerlegt werden können. Ein Paradigma stirbt aus, sagt Thomas S. Kuhn, wenn seine Vertreter aussterben. Doch das neoklassische Paradigma hat bislang alle seine Vertreter überlebt. Es muss also für die Aufrechterhaltung der „reinen Ökonomie“ einen Grund geben, der weder in der Sozialstruktur ihrer Vertreter noch in ihrem Erfolg als Prognoseinstrument zu finden sein kann.”
Siehe dazu auch Iromeister “Warum die Wirtschaftswissenschaft keine Prognosen abgeben kann”
Keine Verbesserung in Sicht
Die Süddeutsche zitierte Ende letzten Jahres aus einer Studie von Oliver Holtemöller nach der es den Ökonomen bisher nicht gelungen sein, ihre Prognosefehler merklich zu verringern. Holtemöller hält dabei übrigens fest, dass man Ökonomen nicht verwerfen könne, dass sie nicht deutlich genug machen, wie unsicher ihrer Vorhersagen sind. So würden die Wirtschaftsforschungsinstitute regelmäßig Prognoseintervalle veröffentlichen, die würden jedoch in der Öffentlichkeit kaum beachtet werden.
Ich glaube aber auch an marketingtechnische Gründe. Mit ökonomischen Vorhersagen und Marktprognosen bzw. darauf aufbauenden Investitionsentscheidungen wird weiter viel Geld verdient. Und je bestimmter sie vorgetragen werden, desto eher werden sie geglaubt. Wer hier zaudert oder sich gar selbst in Frage stellt, wirkt bei den Zielgruppen in der betriebswirtschaftlichen Praxis unglaubwürdig.
Danke fürs Verlinken, bitte unter dem richtigen Namen Iromeister, der rührt von meiner damaligen Frisur her 😉 (http://www.iromeister.de/-iromeister-is-back)
Das in der Ökonomie Prognosen immer wieder daneben gehen, ist meiner Meinung nach ziemlich leicht zu erklären: Neben der Tatsache, dass das Untersuchungsobjekt auf die Prognose selbst wieder reagieren kann, ist das Menschen sich in der vergleichbaren Situationen unterschiedlich verhalten/entscheiden können und das auch noch aus unterschiedlichen Gründen, für mich ein maßgebliches Problem bei der Sache. Die Möglichkeit, wie die Naturwissenschaften sie haben, mit denselben, kontrollierten Umgebungsbedingungen, wo gezielt genau ein Parameter verändert werden kann, etc. ist für die Ökonomie meistens nicht gegeben. Vielleicht mag das auf dem Mikrolevel noch in Laborversuchen klappen, auf dem Makroleveel einer ganzen Volkswirtschaft bzw. mehreren davon sind es einfach zu viele Parameter, die den Ausschlag geben können. Davon, die Versuchsanordnung zu wiederholen, um einen anderen Parameter zu testen, müssen wir erst gar nicht reden.
Als Erklärung für ein Verhalten kommen unterschiedliche Gründe in Frage, bei jedem Individuum möglicherweise andere. Um diese Gründe abzudecken müsste man wahnsinnig viel über jedes einzelne Individuum wissen, über seine Erfahrungen, Ansichten, den kulturellen Hintergrund und die aktuelle Lebenssituation und seine Wünsche. In einer pluralistischen Gesellschaft wird das zunnehmend schwieriger.
Wir wissen immer noch viel zu wenig, warum sich Menschen wann wie entscheiden. Die Annahme eines „homo oecomicus“, der sich rational entscheidet, ist jedenfalls eine grobe Vereinfachung.
Ökonomen arbeiten ja gerne mit vereinfachenden Modellen. Die meisten können einen Sachverhalt ganz gut erklären, scheitern aber dann bei anderen krachend. Im Prinzip kann man sich das wie Landkarten vorstellen: Eine Wanderkarte hat einen bestimmten Maßstab und bestimmte Informationen, die für Wanderer wichtig sind. Eine Karte über die Flächennutzung sieht ganz anders aus und eine Wetterkarte nochmal ganz anders. Jede ist für ihre Zwecke gut, aber mit einer Wetterkarte wandern zu gehen, …
Und ein Zusammenwirken der Modelle klappt aufgrund unterschiedlicher Annahmen und Zwecke meist nicht. Ein paar Karten kann man sinnvoll kombinieren, aber wenn man alle Karten übereinanderlegt und zu einer zusammenbaut, wird es gigantisch und unübersichtlich.
Widerlegt mangelnde Prognosefähigkeit die Neoklassik?
Nein, das wohl nicht. Viel eher belegt die mangelnde Prognosefähigkeit die Richtigkeit der Effizienzmarkthypothese.
Das stimmt. Die Neoklassik kommt ja ohne Prognose aus, weil alles bekannt ist.
Moin Dirk,
erstmal schönen Urlaub. Ich habe ja auch schon einiges zum Thema Prognosen zu sagen gehabt und teile daher Deine Anmerkungen weitgehend; möchte aber dennoch etwas zum Zitat von Brodbeck schreiben.
* Wenn er schreibt: „Die Aufgabe der ökonomischen Theorie – in Friedmans Definition – ist es, Preisbewegungen zu prognostizieren“, so kann ich dies nicht teilen. Hier wird einiges durcheinander gebracht.
* Seinen Vorwurf an die Ökonomie halte ich weiterhin für reichlich fragwürdig: „Diese Immunisierungsstrategie, Prognosen von Bedingungen abhängig zu machen, die selbst zum wichtigsten Erklärungsbereich der ökonomischen Theorie gehören, kommt einer Selbstaufgabe der Ökonomie als Wissenschaft gleich.“ Progenosen – zumindest solche, die nicht aus der Glaskugel kommen – sind immer und in jeder Wissenschaft von ihren Annahmen bzw. Bedingungen abhängig, von was denn sonst?
Nein, Naturwissenschaftlich sind keinesfalls zurückhaltend bei ihren Prognosen. Sie sind nur sehr vorsichtig dabei, was sie vorhersagen. Wann ein Vulkan ausbricht, läßt sich z.B. noch immer nicht sehr genau vorhersagen. Welche Konsistenz das ausgeworfene Material hat, wie hoch die Lava-Temperatur ist, teilweise auch welchen Fluß die Lava nimmt usw. läßt sich hingegen recht gut prognostizieren.
Naturwissenschaftler haben recht früh gelernt, auf welcher Ebene sie Vorhersagen treffen können. Genau das fehlt der Wirtschaftswissenschaft, auch wenn sie ungefähr dasselbe Alter wie die moderne Naturwissenschaft hat.
Beispiel Meteorologie: Es ist noch immer sehr schwierig, Wolkenkonstellationen vorherzusagen, aber es gibt seit langem eine sehr präzise Wolkentypologisierung. Vergleichbare Phänomene sollte es doch zuhauf auch in Marktentwicklungen geben. Bevor die Wirtschaftswissenschaft konkrete Kennzahlen vorhersagt, sollte sie erst einmal die nötigen Zwischenschritte unternehmen.
@tim
Das ist aber genau der Punkt, die Naturwissenschaften kennen die Grenzen. Bei den täglichen Vulkaninfos aus Hawaii etwa waren sie sehr vorsichtigt, was den genauen Verlauf des Lavastroms betrifft. Und natürlich gibt es viele Gebiete in den Naturwissenschaften, in denen Prognosen gut funktionieren, wie etwa die Vorhersage der Gezeiten.
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