Warum ökonomische Vorhersagen Anekdoten sind (I): Gute Geschichten

by Dirk Elsner on 27. Dezember 2013

Zum Jahresende kommt ja wieder die Zeit für erklärende Rückblicke und anekdotische Ausblicke. Regelmäßige Leser dieses Blogs wissen, dass ich wenig von ökonomischen Vorhersagen halte. Manche missverstehen dies und glauben, dass ich mir gar nichts aus Prognosen mache. Das ist natürlich Unsinn, denn ohne Vorhersagen kann niemand sein Leben organisieren. Wenn ich z.B. in die Bahn oder in ein Flugzeug steige, dann habe ich die Erwartung, dass mich das Transportmittel innerhalb einer bestimmten Zeitspanne von A nach B bringt.

Meistens, natürlich nicht immer, funktionieren die Vorhersagen für Transportmittel. Sie sind zwar selten zuverlässig im Sinne zeitlicher Exaktheit, jedoch kann man auf Basis dieser Vorhersagen planen, wie etwa den regelmäßige Besuch eines Projekt-Auftraggebers in einer anderen Stadt oder einen Urlaub.

Ökonomie der Untergangsgurus

Andere Vorhersagen sind weniger zuverlässig. Dazu gehören ökonomische Vorhersagen etwa über die künftige Konjunktur- und Börsenentwicklung. Uns werden in diesen Tagen wieder viele Prognosen von “renommierte Experten” in wissenschaftlich gekleideten Texten mit Grafiken und manchmal mit Formeln präsentiert. Energische und eloquente Auftritte, gepaart mit Historien korrekter Prognosen und einer Vitae „namhafter“ Hochschulen oder Unternehmen suggerieren dabei, dass diese “Experten” Herr der Lage sind. Voller Ehrfurcht wagen wir dann nicht mehr zu widersprechen.

Besonders gern geklickt werden düstere Vorhersagen, wie solche von Marc Faber und Nouriel Roubini, die quasi permanent die Weltwirtschaft über die Wupper gehen sehen. “Geht es nach einigen Börsenexperten”, schrieb vor vier Jahren das Handelsblatt, “dann war das, was die Börsen nach dem Kollaps von Lehman Brothers erlebt haben, nur ein Mückenstich gegen das, was noch kommen wird. Ein leichtes Grollen vor dem Vulkanausbruch, nicht mehr. Die Finanzwelt ist in größter Gefahr, sagen die Crash-Gurus.” Das Handelsblatt stellte in dem Beitrag einige der düstersten Ökonomieprognosen zusammen. Oder ich erinnere gern an den Juni 2012 als diverse “Experten” und Wirtschaftsmedien die Weltwirtschaft am Abgrund sahen.

Heute wissen wir, dass von diesen Prognosen nichts eingetreten ist. Aber ist das kein Grund, diese Auguren mit Häme zu überschütten. Irgendwann könnten einige dieser Prognosen eintreffen. Genau dann wird jemand sagen, hätten wir mal auf den gehört, der hat es richtig vorausgesagt. Aber genau diese Haltung ist Blödsinn. Wir wissen nur im Nachhinein, wer vorher Recht hatte. Wir haben aber keine Möglichkeit, dies vorher zu überprüfen.

Das Kalkül düsterer Prognosen ist klar, sie lassen sich viel besser medienwirksam platzieren als eine differenzierte Szenarioanalyse. Düstere Aussichten bringen Aufmerksamkeit und damit mehr Geschäft. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Prognosen zutreffen oder nicht. Kontrolliert wird selten. Häufig erfolgt die Berichterstattung sogar asymmetrisch. Hat ein Analyst mit einer extremen Prognose ins Schwarze getroffen, dann kann er zum Guru aufsteigen. Trifft er nicht, dann wird dies meist ignoriert, es sei denn, er hat den Guru-Status erreicht (siehe auch Blick Log “Ökonomie der Untergangspropheten”).

Ökonomische Vorhersagen sind gute Geschichten

Daniel Kahneman schreibt in seinem extrem wichtigen Buch “Schnelles Denken, langsames Denken” (hier zur Rezension der Süddeutschen) zu extremen Vorhersagen (S. 242):

“Extreme Vorhersagen und die Bereitschaft, seltene Ereignisse aus schwachen Informationen vorherzusagen, sind beides Kennzeichen von System 1.[1] Die assoziative Maschinerie setzt die Extremität der Vorhersagen automatisch mit der wahrgenommenen Extremität der Informationen gleich, auf denen diese basieren – so funktioniert die Ersetzung. Und System 1 erzeugt spontan Urteile, deren Gültigkeit wir überschätzen, weil der Grad des subjektiven Überzeugtseins, wie wir sahen, von der Kohärenz der besten Geschichte abhängt, die wir aus den verfügbaren Informationen konstruieren können. Seien Sie gewarnt: Ihre Intuitionen liefern Vorhersagen, die zu extrem sind, und Sie werden dazu neigen, ihnen allzu großen Glauben zu schenken.”

Was damit gemeint ist, wir leiten gern Prognosen aus Geschichten (Narrationen) ab, deren Zusammenhänge wir zu kennen glauben. Kahneman schreibt dazu in Anlehnung an Talebs narrative Verzerrung (narrative fallacy) auf S. 248 :

“Narrative Verzerrungen gehen zwangsläufig aus unserem anhaltenden Bestreben hervor, die Welt zu verstehen. Die erklärenden Geschichten, die wir überzeugend finden, sind einfach; sie sind eher konkret als abstrakt und schreiben Begabung, Dummheit und Absichten eine größere Bedeutung zu als Glück. Sie konzentrieren sich auf ein paar markante Ereignisse, die geschehen sind, und nicht auf die zahllosen Ereignisse, die nicht geschehen sind. Jedes hervorstechende Ereignis aus jüngerer Zeit kann zum Kern einer kausalen Erzählung werden. Taleb behauptet, wir Menschen würden uns ständig selbst beschwindeln, indem wir fadenscheinige Berichte über die Vergangenheit konstruieren und sie für wahr halten.”

Gute Erzählungen versuchen wir im Lichte unseres Wissens zu verstehen. Wir fördern damit die Illusion der Zwangsläufigkeit. Das trägt dazu bei, eine verderbliche Illusion aufrechtzuerhalten. “Der Kern dieser Illusion besteht darin, dass wir glauben, die Vergangenheit zu verstehen, woraus folgt, dass auch die Zukunft erkennbar sein sollte. In Wirklichkeit aber verstehen wir die Vergangenheit in geringerem Maße, als wir glauben.” (S. 250).

Fortsetzung hier

 


[1] Kahneman verwendet in seinem Buch ein Modell über unser Denken und Handeln, nach dem unser Gehirn mit zwei Systemen aktiv ist:

  • System 1: Schnell, automatisch, immer aktiv, emotional, stereotypisierend, unbewusst. Unser unterbewusstes System 1 ist völlig unempfindlich für die Qualität und Quantität von Informationen, aus denen Eindrücke und Intuitionen hervorgehen.
  • System 2: Langsam, anstrengend, selten aktiv, logisch, berechnend, bewusst. Das System 2 ist der bewusste und analytisch arbeitende Teil unseres Gehirn. Es kann abstrakt denken, komplexe Berechnungen durchführen und Hypothesen durchdenken. Es arbeitett eher sequentiell und langsam. Wenn möglich, vermeiden wir seine Benutzung, weil sie anstrengend ist. an.
Stefan Wehmeier Dezember 28, 2013 um 23:08 Uhr

Was ist die „Finanzkrise“?

„Der Sparer erzeugt mehr Ware, als er selbst kauft, und der Überschuss wird von den Unternehmern mit dem Geld der Sparkassen gekauft und zu neuen Realkapitalien verarbeitet. Aber die Sparer geben das Geld nicht her ohne Zins, und die Unternehmer können keinen Zins bezahlen, wenn das, was sie bauen, nicht wenigstens den gleichen Zins einbringt, den die Sparer fordern. Wird aber eine Zeitlang an der Vermehrung der Häuser, Werkstätten, Schiffe usw. gearbeitet, so fällt naturgemäß der Zins dieser Dinge. Dann können die Unternehmer den von den Sparern geforderten Zins nicht zahlen. Das Geld bleibt in den Sparkassen liegen, und da gerade mit diesem Geld die Warenüberschüsse der Sparer gekauft werden, so fehlt für diese jetzt der Absatz, und die Preise gehen zurück. Die Krise ist da.“

Silvio Gesell („Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, 1916)

20 Jahre später bezeichnete der „Jahrhundertökonom“ J. M. Keynes in seiner „Allgemeinen Theorie (der Beschäftigung der Politik)“ dieses Phänomen, das sich zwangsläufig aus der Verwendung von hortbarem Geld mit Wertaufbewahrungs(un)funktion (Zinsgeld) ergibt, als „Liquiditätsfalle“ – und beschrieb zwei Mittel, um sie hinauszuzögern: Erhöhung der Staatsverschuldung mit Ausgabe des Geldes für Projekte, die den Zinsfuß nicht senken (Löcher graben und wieder zuschaufeln, Kriegsrüstung, etc.), und Geldmengenausweitung.

Um aus der Liquiditätsfalle herauszukommen, gibt es bei der weiteren Verwendung von Zinsgeld nur eine Möglichkeit: Eine umfassende Sachkapitalzerstörung muss den Zinsfuß anheben. Diese früher sehr beliebte „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ konnte jedoch nur solange der „Vater aller Dinge“ sein, wie es noch keine Atomwaffen gab!

Was ist Politik?

„Im Grunde ist Politik nichts anderes als der Kampf zwischen den Zinsbeziehern, den Nutznießern des Geld- und Bodenmonopols, einerseits und den Werktätigen, die den Zins bezahlen müssen, andererseits.“

Otto Valentin („Warum alle bisherige Politik versagen musste“, 1949)

Was nun?

„Ich finde die Zivilisation ist eine gute Idee. Nur sollte endlich mal jemand anfangen, sie auszuprobieren.“

Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008)

Der längst überfällige, eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation setzt die Überwindung der Religion voraus, die den Kulturmenschen „wahnsinnig genug“ für ein darum bis heute fehlerhaftes Geld machte, lange bevor diese seitdem grundlegendste zwischenmenschliche Beziehung wissenschaftlich erforscht war:

http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/11/einfuhrung-in-die-wahrheit.html

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