Aktienprognosen: "Wenn Du ein Bär bist und falsch liegst, wirst Du gefeuert"

by Dirk Elsner on 13. Januar 2014

Ich habe hier schon zwischen den Jahren darüber geschrieben, warum ich ökonomische Prognosen für Anekdoten halte. Zu Beginn dieses Jahres erinnert mich der Optimismus der Prognosen zum diesjährigen Verlauf der Aktienmärkte an das Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Im Zuge der Dotcom-Blase nahm damals der Optimismus ebenfalls überhand. Strategen und Experten erfanden immer neue Gründe dafür, warum die Aktienmärkte neue Rekorde erklimmen sollten.

Beispielhaft fiel mit vergangene Woche der Beitrag des Gevestor-Analysten Sascha Mohaupt auf mit “10 Kaufgründe für Aktien 2014”. Zu jedem der 10 Kaufgründe fällt mir mindestens ein Gegenargument ein. Freilich lässt sich a-priori gar nicht ermitteln, wer mit seinen Argumenten richtig liegen könnte, denn Aktienkurse lassen sich nicht vorhersagen, schon gar nicht auf einen Punktwert.

Ende Dezember hat das Wall Street Journal erklärt “Warum Aktienprognosen so schlecht sind”. Danach sagten im Durchschnitt Analysten für 2013 einen Anstieg des US-Aktienindex S&P 500 um 8,2 Prozent voraus. Tatsächlich wurden es 29,6%. Als Anleger dürfte es einem tatsächlich egal sein, denn wenn man aufgrund der Vorhersagen für 2013 eingestiegen ist und nicht nach einem 8,2%-Anstieg ausgestiegen ist, hat man im Nachhinein alles richtig gemacht.

Das Wall Street Journal stellt bei Aktienprognosen einen Hang zum Optimismus fest. Für Autor Joe Light ist dieser nachvollziehbar, weil in 55 von 85 Jahren die Aktienmärkte seit 1929 zugelegt haben. Das ist aber nur ein Grund für eher positive Prognosen. Er schreibt weiter:

“Das Vertrauen auf steigende Kurse könnte aber auch in der Tendenz der Wall Street begründet liegen, optimistischen Strategen falsche Prognosen zu verzeihen, sagt Levkovich von der Citigroup. Ein Freund von der Wall Street habe ihm einmal folgenden Rat gegeben, erzählt er: „Wenn Du ein Bulle bist und falsch liegt, wird Dir verziehen. Wenn Du ein Bulle bist und recht hast, lieben Sie Dich. Wenn Du ein Bär bist undrRecht hast, wirst Du respektiert. Aber wenn Du ein Bär bist und falsch liegst, wirst Du gefeuert."

Genau diese These von Levkovich hat Nate Silver in seinem Buch „Die Berechnung der Zukunft“ etwas genauer betrachtet unter der Annahme, dass die Chancen auf einen Crash ca. 20% und damit etwa so hoch liegen, wie beim russischen Roulette. Ein Händler muss sich dann zu Beginn einer bestimmten Phase entscheiden: kaufen oder verkaufen. Dann kommt es entweder zu einem Börsenkrach oder auch nicht. Daraus leitet Silver vier Szenarien ab. Zunächst beschreibt er die beiden, in denen der Händler mit seiner Wette recht behält (S. 432 f):

1. “Der Händler kauft, und die Kurse steigen. In diesem Fall gilt: Business as usual. Alle sind happy, wenn an der Börse Geld verdient wird. Der Händler bekommt einen Bonus im sechsstelligen Bereich und kauft sich einen neuen Wagen.”

2. “Der Händler verkauft, und die Börse stürzt ab. Falls der Händler einen Einbruch vorhergesehen hat und dieser tatsächlich eintritt, wird man ihn für ein Genie halten, weil er als einer der wenigen darauf gewettet hat. Es besteht die Möglichkeit, dass er eine wesentlich bessere Arbeit bekommt, beispielsweise als Partner eines Hedgefonds. Aber nach einem Crash besteht auch nach Genies nicht unbedingt viel Nachfrage, das Geld ist knapp. Wahrscheinlicher ist, dass er in den Medien zu Wort kommt, es gibt einen positiven Artikel im Wall Street Journal, einen Buch-Deal, er wird zu Tagungen eingeladen und so weiter.”

Was geschieht nun, wenn der Händler falsch liegt

3. “Der Händler kauft, und die Börse stürzt ab. Kein Spaß! Er hat seine Firma viel Geld gekostet, und es wird keinen Bonus und keinen neuen Lexus geben. Aber da er der Herde gefolgt ist, werden die meisten seiner Kollegen denselben Fehler begangen haben. Nach den letzten drei großen Crashs an der Wall Street gingen in der Finanzbranche etwa 20 Prozent der Arbeitsplätze verloren. Das bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Händler seine Job behält, beträgt 80 Prozent. Der neue Wagen kann warten, bis die Börse wieder anzieht.”

4. “Der Händler verkauft, und die Kurse steigen. Dieses Szenario ist allerdings ein Desaster. Der Händler hat nicht nur viel schlechtere Arbeit geleistet als seine Konkurrenten, er hat noch dazu alle anderen zu Idioten erklärt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er gefeuert wird. Niemand mag ihn, seine beruflichen Aussichten sind düster. Seine Einkommensmöglichkeiten haben sich drastisch verschlechtert.”

Silver würde, wenn er dieser Händler wäre, bei einer 20% Wahrscheinlichkeit für einen Crash noch lange nicht darauf setzen. Übrigens auch nicht bei einer 50-prozentigen. Erst bei einer nahezu 100% Wahrscheinlichkeit und der Gewissheit, dass alle anderen mit mir in dem sinkenden Schiff sitzen, würde er dieses Szenario aktiv vertreten.

Aus diesem Grund, so Silver, würden es die großen Börsenmakler vermeiden, “in ihren Ansichten von der Mehrheitsmeinung abzuweichen, und stufen Aktien erst herab, wenn die Probleme bereits offensichtlich sind.”

Silver führt dann noch einige Beispiele an und kommt zu dem Schluss (S. 435):

Diese Statistiken stellen möglicherweise eine Komplikation der Effizienzmarkthypothese dar. Wenn nicht das eigene Geld auf dem Spiel steht, sondern fremdes, dann sehen die Beweggründe möglicherweise anders aus. Unter gewissen Umständen kann es für Händler Sinn machen, für ihre Firmen und Anleger Geld zu verlieren, solange sie Teil der Herde bleiben und sich dadurch eine Kündigung ersparen. Theoretisch und empirisch spricht sehr viel dafür, dass Investmentfonds und institutioneile Anleger dem Herdentrieb folgen.Denn »Blasen entstehen«, erklärte mir Blodget, »weil alle ein Interesse daran haben, dass die Kurse steigen.”

Das Fazit ist damit klar. Natürlich kann man als Anleger in Aktien und andere riskante Anlageformen investieren. Wer sich aber dabei des Risikos nicht bewusst ist oder dieses aufgrund seiner finanziellen Mittel gar nicht eingehen kann, der sollte lieber die Finger davon lassen. In keinem Fall sollte er sich allein auf die Vorhersagen von Profis verlassen, selbst wenn sie noch so plausibel klingen. Die gleichen Profis werden nämlich nach einem starken Kurseinbruch genau sagen, warum es zu diesem Einbruch kommen musste.

topperhopper Januar 15, 2014 um 16:00 Uhr

Guter Artikel.
Herr Elsner, können Sie das Buch von Silver insgesamt empfehlen? Ich lese sonst gerne auch Kahnemann oder Taleb.

VG

Frank Sygusch Januar 13, 2014 um 14:44 Uhr

Interessante Sichtweise mit viel Wahrheitsgehalt. Trotzdem bleibt die Frage, nach der geeigneten Anlageform offen. Bei Zinssätzen unterhalb von einem Prozent für feste und sichere Anlage, verlieren die Sparen auch mit der sicheren Tagesgeldanlage real Kaufkraft.

Richtig ist natürlich: Kein Bänker oder vermeitlicher Profi kann den Marktverlauf hervorsagen. Ansonsten würde Sie wohl alle ihr eingenes Geld investieren. Auch Researchuntersuchungen sind meist schon eingepreist und sind oftmals nur Meinungen des Analysten.

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