FinTech-Evolution: Wer ist die Schildkröte?

by Dirk Elsner on 8. April 2015

Das Thema Evolutionstheorie fasziniert mich seit eineinhalb Jahren. Freilich ist das Thema wegen der vielen verschiedener Denkschulen*, die den Ansatz von Charles Darwin erweitert haben und zum Teil mächtig miteinander streiten, nicht so übersichtlich, wie ich einmal dachte. Ich will das hier nicht vertiefen, weil ich eine eigene Reihe dazu vorbereite, wie man diese Gedanken auch auf ökonomische Fragestellungen anwenden kann.

Was man nicht von der Evolutionstheorie erwarten kann, sind Vorhersagen über künftige Entwicklungen von Arten. Sehr gut eignet sich aber die Metapher der Evolution, um Aktivitäten in der Wirtschaftspraxis zu untersuchen oder zu verstehen. Dadurch lernt man aber auch, dass sich nicht viel vorhersagen lässt.

Die Evolutionstheorie lehrt Bescheidenheit gegenüber Prognosen, eine Eigenschaft, die den meisten Analysten und Berufspropheten in der Ökonomie vollkommen abgeht. Daher ist es auch schwer zu sagen, wie genau sich das Banking entwickeln wird. Sagen lässt sich freilich, dass es sich an neue “Umweltbedingungen” anpassen muss, wenn sich diese verändern. Und hier bemängeln viele, ich gehöre seit Jahren dazu, dass sich die meisten klassischen Banken im digitalen Zeitalter vergleichsweise langsam entwickeln. Ob sie deswegen alle untergehen, ist dabei aber offen.

Daher kam mir für meine Kolumne für Capital das Bild der Schildkröte in den Kopf. Wir haben im vergangenen Jahr tatsächlich am Strand während unseres Urlaubs zwei große Meeresschildkröten aus nächster Nähe beobachten können. Wir hörten sie atmen und konnten aus Schrittnähe in ihre Gesichter blicken. Es war ein faszinierender Augenblick, bei dem ich ich gleichzeitig das Gefühl hatte, in eine weit zurückliegende Vergangenheit der Erde zu schauen. Offensichtlich gehören Schildkröten mit 220 Millionen Jahren Existenz (lt. Wikipedia) zu den Überlebenskünstlern der Evolution.

Als Metapher für die gegenwärtige Bankpraxis taugt das allemal, denn auch Banken sind Spezialisten im Überleben und gemächlichen Wandel. Genauso wenig, wie aber alle Schildkrötenarten ständig weiterexistiert haben, überleben längst nicht alle Banken. Banken, wie Schildkröten, passen sich über Generationen an ihre jeweiligen Umgebungen an. Zu der aktuellen Umweltumgebung gehört der digitale Wandel, den vor allem durch unzählige FinTech-Unternehmen vorantreiben. Wer ihn in der heutigen Umwelt ignoriert, wird Probleme haben wie Meeresschildkröten, denen plötzlich das Meer fehlt.

Aber in dieser Kolumne geht es nicht nur um Banken, sondern natürlich auch um FinTechs und um unterschiedliche Auffassung meiner Lieblingspotcaster André Bajorat und Jochen Siegert zur  Kundenorientierung der Start-ups.

Hier geht es zu Kolumne auf Capital: Sind Banken wie Schildkröten?

Dass Banken um diesen Wandel nicht herum kommen, ist mittlerweile eine Binsenweisheit, über die mittlerweile sogar prominente Ex-Banker schreiben, wie der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank für die FAZ. Dieser Wandel, wird nur dann ausbleiben, wenn uns Strom und die Rohstoffe ausgehen, die wir für die digitale Welt benötigen.

Wer oder was sich da allerdings wie durchsetzen wird, ist unmöglich zu sagen. Werden es die Banken, werden es FinTechs, werden vielleicht ganz neue Symbiosen entstehen? Wir wissen es heute nicht. Aber es ist fast so faszinierend, diese Entwicklung zu beobachten, wie die großen Meeresschildkröten, die vielleicht sogar dann noch existieren, wenn es weder Banken noch FinTechs oder gar Menschen gibt.


* Die Schule oder Denkrichtung, die mich fasziniert, ist übrigens die der Multilevel-Selektion, wie sie von Martin Nowak, C. Tarnita,  David Sloan Wilson und vor allem Edward O. Wilson vertreten wird. Letzterer stellt den Ansatz ausführlich in seinem auch für biologische Laien gut verständlichen Buch “Die soziale Eroberung der Erde” vor, in dem er u.a. für eine Synthese aus Biologie und Geisteswissenschaften wirbt.

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