Gefahr für Finanzmarktstabilität? 5,8 Billionen Dollar Zinsrisiko für Staatsschulden (Teil 2)

by Dirk Elsner on 23. April 2015

Ich habe hier gestern die finanzmathematischen Grundlagen gelegt für die astronomische Summe von 5,8 Billionen US Dollar an möglichen Verlusten aus Zinsrisiken (manche sagen Zinsänderungsrisiken) gelegt. Ich zeige heute, warum die Summe nicht übertrieben und vielleicht sogar zu niedrig ist.

image

Steiler Anstieg: Der Himmel ist die Grenze

Was hat das mit Zinsrisiko zu tun?

Ich hatte bereits mehrfach geschrieben, dass mir die Zinsrisiken immer größere Sorgen bereiten und in dem Zusammenhang sogar die Finanzmarktstabilität. Das Zinsrisiko (manche sagen Zinsänderungsrisiko) gehört zu den Marktpreisrisiken. Darunter verstehen Finanzmarktspezialisten durch Marktbewegungen verursachte negative Marktwertveränderungen* von Finanztiteln bzw. eigenen Vermögensposition. Risiken liegen vor allem in der Gefahr potenzieller Verluste aus den eigenen Finanzmarktaktivitäten. Mir geht es hier also um die Risiken aus steigenden Zinsen. Wie eine solche Zinsänderung wirkt, hat die einfache Barwertanalyse in Teil 1 gezeigt:

Angenommen ich freue mich heute bei einem Marktzins von 0% über die Bewertung meiner Anleihe von 150 Euro und im Laufe des Jahres steigen nun die Zinsen wieder um 1%. Meine Position hätte dann ohne Berücksichtigung der Laufzeitverkürzung nur noch einen Wert von 137,89 Euro. Ich habe also ein Verlust von über 12 Euro. Bezogen auf den aktuellen Marktwert sind das 8%, bezogen auf den Nennwert der Anleihe sind es 12%. Das Zinsrisiko bezeichnet hier also den potenziellen Verlust aus einer nachteiligen Verschiebung der Zinsstrukturkurve.

Warum droht daraus eine Gefahr für die Finanzmarkstabilität?

Durch die sehr stark gesunkenen Zinssätze haben die Barwerte aller Vermögenspositionen, die solche Zinstitel enthalten, mittlerweile einen sehr hohen Wert. Wir lesen davon beinahe täglich in der Zeitung. Nicht auszuschließen, dass die hohen(Buch-) Gewinne (oder zumindest Teile davon), die derzeit wieder viele Banken ausweisen, genau darauf zurückzuführen sind. Allerdings habe ich das nicht im Detail untersucht.

Wenn nun die Marktzinsen aus welchen Gründen auch immer steigen, wird dies die Barwerte reduzieren. Das ist reine finanzmathematische Logik. Das allein muss noch nicht besonders tragisch sein. Aber alle Marktteilnehmer, die ihre Anleihenportfolios nicht gegen Zinsrisiken abgesichert haben und zu Marktwerten bilanzieren, werden ab diesem Zeitpunkt zwangsläufig Verluste ausweisen. Dazu werden auch viele Banken gehören.

Von den Marktwertverlusten durch Zinsrisiken sind alle Anleihen betroffen, auch die als so sicher bezeichneten Bundesanleihen. Laut Aufstellung der Finanzagentur, die die Schulden der Bundesrepublik verwaltet, beträgt der Umlauf der verschiedensten Anleihearten des Bundes 1,146 Billionen Euro. Oben habe ich gezeigt, dass eine Zinserhöhung um 1% in Bezug auf den Nennwert etwa 12% Verlust bedeutet. Wenn ich jetzt mal vereinfacht unterstelle, dass die Anleihen des Bundes bezogen auf den Nennwert 10% verlieren bei einer Zinssenkung von 1%, dann errechnen sich daraus Marktwertverluste von 115 Milliarden Euro.

Um die Dimensionen noch etwas höher zu pumpen, könnte man überlegen, was passiert, wenn diese Zinssteigerung alle Staatsanleihen betrifft. Laut einem Artikel des The European, der sich wiederum auf die Ratingagentur Fitch bezieht, betrugen Ende 2013 die weltweiten Staatsschulden 58 Billionen US Dollar. Angenommen, dies sei der Nennwert und dieser verliere nun ebenfalls 10% an Wert, dann sprechen wir bereits von Marktwertverlusten in Höhe von 5,8 Billionen US-Dollar allein bei den Staatsschulden. Dazu kommen die Anleihen bzw. Schulden von Banken und Unternehmen.

Nun ist klar, wie ich auf die 5,8 Billionen US Dollar potenzieller Verluste komme. Die Verluste können natürlich deutlich höher liegen, wenn die Zinsen stärker steigen, was vermutlich irgendwann passieren wird. Allerdings geschieht das (hoffentlich!) in einem Zeitraum, der über mehrere Jahre verteilt ist.

Schlummern Eigenkapitalrisiken in den Bankbilanzen?

Man muss hier dennoch nicht gleich den Teufel an die Wand malen, wenn es um die Banken geht. Banken sichern Teile ihres Zinsrisikos an den Finanzmärkten ab. Daneben betreffen die oben ausgeführten Verluste die Aktivseite der Bankbilanzen. Spiegelbildlich dürften auch die Verbindlichkeiten der Banken an Wert verlieren, so dass es hier einen gewissen Ausgleich geben sollte.

Aber, und damit wird es immer komplizierter und undurchsichtiger, erst bei einem Blick ins Kleingedruckte der Jahresabschlussdaten wird klar, wie die Banken ihre Aktiv- bzw. Passivseiten bewertet haben. Risiken ergeben sich vor allem dann, wenn Banken die Buchgewinne für Marktwertsteigerungen durch Zinssenkungen ausgewiesen haben, ihre Verbindlichkeiten aber weiter zu Anschaffungskosten bewertet haben. Und tatsächlich haben Banken hier ein Wahlrecht und können finanzielle Verbindlichkeiten weiter zu fortgeführten Anschaffungskosten bewerten (unter Verzicht auf die Fair-Value-Option)**.

Je nach Umfang dieser Asymmetrie können Banken erheblich von Zinssteigerung getroffen werden und vielleicht sogar in Schieflage geraten, weil die Verluste das Eigenkapital auffressen.

Diese Risiken genau zu untersuchen ist aber letztlich eine Aufgabe der Aufseher bzw. von Bankanalysten. Die EZB hat mit ihrem Stresstest im vergangenen Jahr ausdrücklich auch das Zinsrisiko bei den Banken abgefragt. Und auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist das Zinsrisiko bewusst (siehe dazu Rundschreiben 11/2011 (BA).

Weitere Risiken aus verzerrter Anreizstruktur

Auf ein weiteres Risiko der derzeit zu niedrigen Zinsen für die Finanzmarktstabilität hatte ich ebenfalls in meiner Capital-Kolumne hingewiesen.

“Zu niedrige Zinsen fördern nach ihrer Darstellung „eine übermäßige Risikoneigung und Kreditvergabe der Finanzmarktakteure“, etwa um zuvor abgegebenen Renditeversprechungen nachkommen zu können. Dazu lasse die Risikowahrnehmung der Akteure nach. Daher könnten Vermögenspreise oder Kreditsicherheiten zu hoch bewertet und in der Folge Risiken beispielsweise bei der Kreditvergabe unterschätzt werden. Aus diesen Gründen nehme in Niedrigzinsphasen häufig das Kreditvolumen stark zu. Interessant ist freilich, dass das Kreditvolumen zumindest bis Ende 2014 eher stagnierte.”

Ich kann diese Ausarbeitung “Niedrige Zinsen – gesamtwirtschaftliche Ursachen und Folgen” hier jedem empfehlen, der sich mit den Wirkungen der niedrigen Zinsen befassen. Auf das in dieser kurzen Reihe dargestellte Zinsrisiko gehen die Autoren allerdings nicht ein.

Fazit

Trotz der derzeitigen traumhaften Zeiten für Kapitalanleger, wird es langsam Zeit, den Blick auf die Zukunft zu richten und zu überlegen was passiert, wenn die Zinsen wieder den Vorwärtsgang einlegen. Aus dem Traum kann schnell ein neues Trauma werden.


* Einflussfaktoren für Marktpreise sind insbesondere Zinssätze, Preise für Währungen, Aktien und Rohstoffe. Manche rechnen auch die Veränderungen von Volatilitäten und Credit Spreads zu den Marktrisiken.

** Siehe dazu diese Unterlage von PWC, S. 15 und diesen Leitfaden von Deloitte, S. 41. Zu den Determinanten einer Ausübung der Fair-value-Option für finanzielle Verbindlichkeiten bei Banken siehe diese Präsentation von Anne Kretzschmar der Munich School of Management.

http://www.rwp.bwl.uni-muenchen.de/aktuelles/12_-muenchner-forschungspreis/kretzschmar.pdf

Die Commerzbank bilanziert laut Geschäftsbericht 2013, S 171, finanzielle Verbindlichkeiten grds. zu fortgeführten Anschaffungskosten, sofern sie nicht Handelszwecken dienen.

Previous post:

Next post: