Die Zukunft hat schon längst begonnen: mobiles Internet

by Karl-Heinz Thielmann on 23. Juni 2015

Mobiles Internet ist heutzutage an sich nichts Neues: 1996 stellte Nokia mit dem Communicator 9000 das erste internetfähige Mobiltelefon vor, gleichzeitig startete Sonera in Finnland das erste mobile Netzwerk. Seitdem hat es sich rasch verbreitet, wozu insbesondere die Entwicklung der Smartphones und Tablets beigetragen hat, durch die Nutzern praktische Endgeräte für das mobile Internet zur Verfügung stehen.

Dennoch führt mobiles Internet nach wie vor ein nachgeordnetes Dasein verglichen mit dem festnetzbasierten. Dies hat zum einen mit der immer noch deutlich weniger leistungsfähigen Übertragungstechnologie für Daten zu tun. Die Transmissionsraten haben sich zwar deutlich gebessert, hinken aber dem Festnetz weiter hinterher. Die an sich leistungsfähige Kombination aus Festnetz und mobilem Zugangspunkt – sog. WLAN-Hotspots – ist nur selten flächendeckend verfügbar. Zudem sind dies Hotspots oft mangelhaft gesichert und damit ideale Angriffspunkte für Hacker, weshalb sie für die Nutzer derzeit noch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen. Doch all diese angesprochenen Probleme sind prinzipiell technisch lösbar, insofern dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis sie sich gebessert haben.

Mobiles Internet hat eine Schlüsselrolle für andere potenzielle Basistechnologien

Die Lösung der technischen Probleme beim mobilen Internet ist insbesondere für die weitere Entwicklung weiterer potenzieller Basistechnologien wichtig: des Internet of Things (Internet der Dinge), des Cloud-Computing sowie autonom agierenden Robotern.

Beim „Internet of Things“ geht es um Verknüpfung eindeutig identifizierbarer physischer Objekte (Things) mit der virtuellen Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur. Technische Voraussetzungen hierfür sind:

  • eine Vielzahl von Sensoren zum Datensammeln;
  • Miniaturrechentechnik zum Auswerten;
  • die Verbindung all dieser Objekte untereinander (wird auch als „Machine-to-Machine-Connectivity“ oder M2M bezeichnet) bzw. mit Steuerungselementen (wie z. B. Smartphones) durch mobile Datenübertragung.

Insbesondere in folgenden Bereichen ist zu erwarten, dass die Verknüpfung von Geräten im Rahmen des Internets of Things starke Veränderungen auslösen wird:

  • Logistik: Verbesserungen des Lieferkettenmanagements;
  • Smart Home: Verknüpfung und Steuerung von Haushaltsgeräten;
  • Smart Grids: Feinabstimmung von Angebot und Nachfrage in Netzwerken; insbesondere im Energiebereich,
  • Selbstständige Aktionen und Interaktionen von autonomen Robotern.

Mobiles Internet wird weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung der Auslagerung von Software und Datenbanken an externe Server im Rahmen des „Cloud-Computing“ bieten. Denn nur bei mobilem Zugang kann die „Datenwolke“ ihre Vorteile gegenüber stationären Systemen voll ausspielen. Wenn ein sicherer und schneller Zugang über mobiles Internet garantiert ist, hat es für den Nutzer echte Vorteile, da nur dann die verbesserte Flexibilität genutzt werden kann. Insofern dürften sich die Ausbreitungen von Cloud-Computing und mobilem Internet gegenseitig begünstigen.

Interkonnektivität als Schlüsselfaktor für neuartige Anwendungen

Auch wenn das Aufkommen der Apps – spezifischer Softwareprogramme für Mobilgeräte – Popularität und Nutzung stark erhöht haben, so verwenden doch die meisten Anwender ihre Smartphones und Tablets im Internet immer noch fast genau so wie normale Computer. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass die meisten Apps derzeit noch nichts anderes als mobile Versionen von eigentlich stationären Programmen sind. Und auch die mobilen Endgeräte sind technisch nichts anderes als extrem kleine und flache PCs mit einem Touchscreen (und eventuell einer Telefonkarte).

Mit dieser Hard- und Software werden jedoch die Möglichkeiten des mobilen Internets für Interkonnektivität noch kaum genutzt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Unternehmen aus verschiedenen Branchen an Lösungen arbeiten, um über das mobile Internet die Verbindung und die Kommunikation mit den Kunden zu verbessern. Diese bestehen zum einen in Apps, die immer stärker das Eingehen auf Nutzerbedürfnisse erleichtern bzw. den Kunden auf das eigene Angebot hinlenken.

Für Dienstleister öffnet sich hier ein weites Spielfeld von möglichen Geschäftsideen. Überall auf der Welt entstehen derzeit kreative junge Start-ups, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Möglichkeiten zu nutzen. Man darf gespannt sein, welche Angebote entstehen werden, und vor allem auch, welche sich durchsetzten werden. Auch hier ist keine Prognose darüber möglich, was oder wer am Ende Erfolg hat. Nur dass sich ein interessanter und großer neuer Markt entwickelt, scheint sicher.

Neben verbesserten bzw. neuartigen Softwarelösungen dürften es vor allem spezielle Hardwareanwendungen sein, welche die Einsatzmöglichkeiten des mobilen Internets erweitern. Sehr medienwirksam, aber bisher kaum von praktischem Nutzen war das sog. Google Glass, eine Datenbrille. Bei ihr können durch einen Minicomputer am Brillenrahmen Informationen auf das Brillenglas projiziert werden, die vorher z. B. aus dem Internet abgerufen wurden. Auch können Bilder aus der integrierten Kamera oder andere Informationen ins Internet übertragen und dann weiterverarbeitet werden.

Während im militärischen Bereich die Datenbrille immer wichtiger wird, ist sie im zivilen Einsatz bisher eher eine Spielerei geblieben. Dies liegt vor allem daran, dass für potenzielle Einsatzmöglichkeiten bisher die Software fehlt, bzw. auch die Hardware noch verbesserungsfähig ist. Insofern ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich in den nächsten Jahrzehnten für Datenbrillen noch die vielfältigsten Anwendungen finden lassen. Ähnliches lässt sich derzeit für die aufkommenden internetfähigen Armbanduhren sagen. Die aktuellen Geräte sind eher elektronisches Spielzeug, was sich aber mit voranschreitenden Produktgenerationen stark ändern sollte.

Eine besondere Bedeutung hat das mobile Internet in Hinblick auf die Medizintechnik. Fortschritte in der Sensortechnik ermöglichen es, dass mobile Geräte immer mehr verschiedenartige Daten erfassen und weiterleiten können. Hier kann man sich insbesondere bei der Behandlung chronisch Kranker große Fortschritte erhoffen, da diese über das mobile Internet permanent mit ihrem behandelnden Arzt verbunden sein können. Dieser kann seinen Patienten besser überwachen, gleichzeitig ist der Kranke freier und vielfach nicht mehr an stationäre Behandlungsorte wie Kliniken gebunden.

Immer wichtiger wird mobiles Internet für Automobile. Die Vernetzung von Bordcomputern mit externen Informationssystemen erlaubt nicht eine nur eine verbesserte Versorgung mit Verkehrsnachrichten, sondern auch die Interaktion mit Kommunikationssystemen, die z. B. bei der Parkplatzsuche unterstützen. In Notfallsituationen (Pannen, Unfällen) werden Retter schneller und genauer informiert und können auch möglicherweise schon online Erste Hilfe leisten. Auch für den nächsten Entwicklungsschritt hin zu autonomen Autos ist das mobile Internet eine wesentliche Voraussetzung. Selbstfahrende Wagen benötigen eine enorme Menge an externen Daten bezüglich Staßenbeschaffenheit, Umweltbedingungen, Zielinformationen etc., die während der Fahrt nur über das mobile Internet übermittelt werden können.

Autonome Fahrzeuge sind auch gutes ein Beispiel dafür, dass mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Roboter über das mobile Internet in Zukunft selbstständig Daten austauschen und ihre Aktionen miteinander abstimmen werden.

Mobiles Internet und Entwicklungsländer

Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung wird das mobile Internet beim wirtschaftlichen Aufbau von Entwicklungsländern haben. Speziell in Afrika dürfte es eine Schlüsselrolle dabei einnehmen, die Aussichten bisher sehr armer Länder zu verbessern. Zwei der Kernprobleme dieser Länder – mangelhafte Infrastruktur und unzureichende Bildung – können mithilfe des mobilen Internets umgangen bzw. deutlich verbessert werden.

Bereits heute hat sich das Mobiltelefon in weiten Teilen Afrikas als bevorzugtes Medium der Kommunikation etabliert. In Ländern, die sich keine aufwendigen Festnetze leisten können oder bei denen Stromausfälle an der Tagesordnung sind, hat sich das akkubetriebene Mobiltelefon als relativ zuverlässig durchgesetzt. In Hinblick auf die Durchführung mobilen Zahlungsverkehrs sind afrikanische Länder sogar führend. So hatte Vodafone zusammen mit Safaricom 2007 in Kenia das mobile Zahlungsverkehrssystem M-Pesa eingeführt, das auf simpler SMS-Technik basiert. Es erlaubt die Durchführung von Zahlungen über das Mobilfunkkonto, auch ohne Bankverbindung. Inzwischen wird das System in 10 Ländern eingesetzt; Ende 2014 gab es ca. 18 Mio. aktive Nutzer.

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Angesichts des dramatischen Verfalls der Preise bei Geräten für den Internetzugang – so sind einfache in Afrika schon für ca. 20 US$ zu haben – sowie der anstehenden Produkteinführungen von Billig-Smartphones mit Preisen unter 50 US$ – wird jetzt mobiles Internet auch für breitere Bevölkerungsschichten verfügbar. Da – wie das Beispiel Zahlungsverkehr zeigt – die Akzeptanz für mobile Kommunikation sehr hoch ist, kann man mit einiger Sicherheit ein explosionsartiges Wachstum erwarten. So schätzte der schwedische Telekomausrüster Ericsson in einer vor Kurzem veröffentlichten Marktstudie, dass sich der mobile Datenverkehr in Afrika (ohne arabische Länder) zwischen 2013 und 2019 verzwanzigfacht.

Hauptprofiteure hiervon dürften zunächst einmal der Internethandel und die Medienindustrie sein. Langfristig dürfte das mobile Internet dazu beitragen, mit speziellen Apps das in ländlichen Gegenden oft noch sehr geringe Bildungsniveau zu verbessern. So gibt es beispielsweise bereits das App MedAfrica, das gezielt Gesundheits-Informationen für diejenigen aufbereitet, die keinen regelmäßigen oder gesicherten Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Singapur: Smart Nation auf der Basis mobilen Internets

In Singapur wurde zum offiziellen Politikziel erklärt, eine „Smart Nation“ zu schaffen, d. h. ein Land, das auf die Veränderungen durch technischen Fortschritt eingestellt ist. Um dies zu verwirklichen, wurde eine Agentur mit der Bezeichnung „Infocomm Development Authority (IDA)“ geschaffen. Sie soll in den kommenden Jahren unter der Bezeichnung „Smart Nation Platform (SNP)” eine Infrastruktur für die Nutzung neuer Technologien entwickeln. Dies schließt insbesondere die Schaffung einer Infrastruktur zur Nutzung des mobilen Internets in einer bisher noch nicht gekannten Größenordnung ein.

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Ende 2015 beginnt eine Testphase, in der lokale Versuche mit drahtlosen Konnektivitätssensoren und Netzwerken laufen. In einem späteren Stadium sollen dann Technologien entwickelt und umgesetzt werden, die eine Umsetzung im großen Maßstab erlauben. Insbesondere besteht das Ziel, Anwendern die interkonnektive Nutzung ihrer IT-Geräte in jeder Phase ihres Alltags sowohl mobil wie auch an festen Standorten zu ermöglichen. Hiermit sind bisher noch nicht da gewesene Anforderungen an die technische Leistungsfähigkeit von Netzen sowie an die Datensicherheit verbunden.

Die Schattenseiten des mobilen Internets

Offensichtliche Verlierer eines Booms im mobilen Internet werden diejenigen Unternehmen in den direkt betroffenen Branchen wie Dienstleistungen, Informationstechnologie oder Medizintechnik sein, die sich nicht schnell genug an die neuen Gegebenheiten anpassen. Weniger offensichtliche Verlierer könnten die Inhaber von großen Gewerbe-Immobilien sein, die von der zunehmenden Flexibilisierung negativ betroffen sind. Mobiles Internet insbesondere im Zusammenhang mit Cloud-Computing verbessert die Möglichkeiten zur Dezentralisierung von Büroarbeit bzw. der Auslagerung ins Home-Office. Dieser Trend ist schon seit Einführung des Internets beobachtbar und dürfte sich weiter verstärken. Insbesondere die Auslastung von stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern und Behandlungszentren kann – je nach Spezialisierung – relativ stark darunter leiden, wenn sich Patienten aufgrund ihrer Anbindung an das mobile Internet besser zu Hause behandeln lassen.

Sicherheit ist in mehrfacher Hinsicht ein kritischer Punkt am mobilen Internet. Zum einen sind mobile Datenströme leichter abzufangen als über das Festnetz laufende; mobile Schnittstellen sind anfälliger für Hackerangriffe als feste. Netzkriminelle und Sicherheitssoftwarehersteller liefern sich derzeit einen Wettlauf, den am Ende vermutlich keiner endgültig für sich entscheiden wird. Das mobile Netz wird zwar immer sicherer; aber nie zu 100% sicher sein. Da viele Nutzer dem Thema Datensicherheit nach wie vor sehr naiv begegnen und Schutzmöglichkeiten nur ungenügend nutzen, ist damit zu rechnen, dass die Probleme zunächst weiter zunehmen.

Viel problematischer ist allerdings, dass mobiles Internet nicht nur die Überwachung chronisch Kranker verbessert, sondern ebenfalls das Datensammeln von staatlichen Stellen oder privaten Firmen erleichtert. In den undemokratischen Staaten dieser Welt ermöglicht es die effektive Unterdrückung freiheitlicher Bestrebungen bzw. das Sammeln von Beweisen gegen Verdächtige. An der Datensammelwut privater Firmen sind in Kombination mit den Möglichkeiten der modernen Datenverarbeitung (Big Data) mehrere Aspekte bedenklich. Zum einen können Kundendaten ohne Wissen der Betroffenen gesammelt und vermarktet werden. Weiterhin können Firmen Kundeninformationen nicht nur zur Serviceverbesserung auswerten, sondern auch ganz gezielt dazu nutzen, mögliche Käufer in Hinblick auf ihr Angebot zu manipulieren.

 

„Die Zukunft hat schon längst begonnen“ wird nächste Woche mit dem Thema „künstliche Intelligenz“ fortgesetzt.

 

 

Dieser Artikel ist die aktualisierte Version eines Beitrags aus  Mit ruhiger Hand“ Nummer 31 vom 3. November 2014.

 

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