Kapitalmarktunion und Finanzmarktregulierung: Europas Finanzmärkte vor entscheidenden Weichenstellungen

by Gastbeitrag on 23. Juni 2015

Gastbeitrag von Dr. Hartmut Bechtold*

Der Blickwinkel von Politik und Öffentlichkeit auf Europas Finanzmärkte dreht sich langsam. Nach Ausbruch der Krise gab es nur einen Diskussionsschwerpunkt: Regulierung und nochmals Regulierung. Doch zwischenzeitlich sind viele der auf den Weg gebrachten Regulierungsvorhaben für Banken und Versicherungen in Kraft und mit dem SSM ist die Überwachung von Europas systemrelevanten Banken auf die EZB übergegangen. Tausende und Abertausende Seiten neuer Regulierungsregeln, nicht immer konsistent in sich und im Zusammenspiel miteinander, wurden so geschaffen und sind nunmehr von Banken, Versicherungen und Investoren zu beachten. Eine Unzahl von Meldungen nach durchaus unterschiedlichen Berechnungsverfahren und Systematiken sind vorzunehmen und ein Megaprojekt namens AnaCredit wird ab Anfang 2017 alle granulare Einzelkreditdaten von Europas Banken in einer zentralen, von der EZB zentral verwalteten Datenbank erfassen.

Noch vorsichtig in der Artikulation schiebt sich nicht nur bei den betroffenen Instituten sondern auch bei Politik, Öffentlichkeit und selbst bei Regulierern langsam die Frage in den Vordergrund, wie diese Regulierungswerke und Datenerhebungen denn zusammenpassen und im Zusammenspiel wirken, welche Auswirkungen sie auf Banken, Versicherungen und vor allem die Wirtschaftsfinanzierung sowie die künftige Finanzmarktstabilität haben bzw. haben werden.

Denn eins dürfte klar sein: Wenn es um die Wirtschaftsfinanzierung geht haben die vielfältigen neuen Regulierungen es Banken nicht gerade leichter gemacht Europas Wirtschaftsaufschwung mit riskanten Finanzierungen zu begleiten. So schaut Europa zurzeit neidisch auf die USA wo funktionierende Kapitalmärkte mit Wagnisfinanzierungen, Private Equity, Börsengängen den Aufschwung befördern während sich Europas bankendominierte Finanzierungsstruktur dabei deutlich schwerer tut.

So wundert es nicht, dass mit dem neuen EU Projekt Kapitalmarktunion Europa danach strebt, die Bankenunion durch eine Kapitalmarktunion zu ergänzen und damit eine weitere Säule für die Unternehmensfinanzierung aufzubauen, welche dazu beitragen kann die einseitige Abhängigkeit bei Europas Unternehmen von dem Bankkredit etwas abzumildern.

Doch in Europa fehlen weitgehend die großen Kapitalsammelstellen der USA, die meist wenig regulierten privaten Pensionsfonds und Stiftungen, die dort den Kapitalmarkt speisen. Und Europas Privatanlegern fehlen die Risikoliebe und das Vertrauen in die Aktienmärkte der US Bürger. Auch weichen Europas Unternehmensstrukturen sowie Finanzierungspräferenzen der Unternehmen deutlich von den USA ab. Viele europäische Unternehmen werden seit Generationen in Familienhand gehalten; ihre Corporate Governance und Transparenz wäre nur bedingt kompatibel mit einer umfassenden Kapitalmarktintegration.

Dem allen trägt auch das EU-Konzeptpapier zur Kapitalmarktunion Rechnung, indem es gerade alternative, kapitalmarktnahe Finanzierungsformen – vorweg die Verbriefung, sowohl als Verbriefung von Bankkrediten als auch die Verbriefung von Handels- und Leasingforderungen –daneben die Privatplatzierung von Krediten und Kreditportfolien und die Etablierung von speziellen Kreditfonds sowie die Öffnung von Fonds für die Kreditvergabe besonders herausstellt.

Europas Finanz- und Realwirtschaft steht somit vor komplexen Veränderungen der regulatorischen Rahmenbedingungen. Vielfältige, erst seit kurzem umgesetzte Regulierungswerke wie die CRR, Solvency II, CRA etc. zeigen in ihrer Anwendung Redundanzen und Widersprüchlichkeiten, die eine Gesamtschau, entsprechende Auswirkungsstudien sowie Adjustierung dringend erforderlich machen. Und mit der Etablierung des SSM hat sich die europäische Corporate Governance im Regulierungsrahmen grundlegend verschoben, was bei aller erstrebten Europäisierung der Aufsicht aber auch deren Komplexitätsgrad erheblich erhöht hat. In diese neue Formation schieben sich jetzt bereits in ihrer Ausgestaltung durchaus noch widersprüchliche neue, geplante Regulierungswerke, wie z.B. die Schattenbankregulierung. In den aktuell vorliegenden EBA Diskussionsentwürfen wird das Thema weit gefasst, auch Verbriefungen und Kreditfonds werden darunter sehr undifferenziert subsummiert und die Frage stellt sich wiederum, wie zwei parallel in Vorbereitung sich befindliche Regulierungswerke – Kapitalmarktunion hier, Schattenbanken dort – denn letztendlich miteinander harmonieren.

Ohne Zweifel hat sich Europas Finanzwelt in den letzten dreißig Jahren grundlegend verändert. Der im Zuge der Niedrigzinspolitik in der Finanzwelt sich herausbildende hohe Leverage und geringe Eigenkapitaleinsatz hatte – was uns die Krise nach 2007 lehrte – die Deckungsgleichheit von Kompetenz und Verantwortlichkeit verschoben. Die aktuelle Regulierung kann als der Versuch betrachtet werden durch konkrete Aufgabenzuweisungen, Regeln und Kontrollen einen neuen Handlungsrahmen jenseits von Markt, Haftung und Eigentum zu schaffen. Doch wie wir aus vergleichbaren historischen Experimenten wissen, geht dies selten mit Konsistenz und Effizienz einher und führt stattdessen in der Regel zu hohen Transaktionskosten. Die Diskussion um die optimale Finanzmarktordnung und deren Vernetzung mit der Realwirtschaft steht in Europa noch aus.

All den damit verbundenen Themen widmet sich unter dem Leitthema „Asset Based Finance – Europas Wirtschaftsfinanzierung auf dem Weg von der Bank- zur Kapitalmarktfinanzierung“ der diesjährige TSI Congress am 23./24. September in Berlin.

In fast 40 Vorträgen und Panels wird den Marktpotentialen von Verbriefungen, Privat Placements, Kreditfonds aber auch Green Bonds, Project Bonds, Schuldscheindarlehen nachgegangen; es werden detailliert die regulatorischen Rahmenbedingungen für Banken und Versicherungen, deren Interdependenzen und Auswirkungen auf die Banken- und Wirtschaftsfinanzierung sowie ihre weitere Entwicklung behandelt. Daneben gibt es viele weitere aktuelle Themen und Fragestellungen, wie z. B. das EZB-Projekt AnaCredit, Schaffung eines zentralen europäischen Kreditregisters, Schattenbankregulierung etc. die nähere Betrachtung finden.

Mit dieser Mischung von praxisrelevanten Asset Based Finance Themen wird auch der TSI Congress 2015 voraussichtlich wieder deutlich über 600 -700 Teilnehmer aus dem deutschen sowie europäischen Verbriefungs- und ABF-Markt nach Berlin ziehen. Weitere Infos.


* Dr. Hartmut Bechtold ist Geschäftsführer der True Sale International GmbH, die sich in ihrem Blog viel mit Finanzmarktregulatorik und Finanzierung befasst.

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