Ein Grexit beim Scheitern der Schuldengespräche ist ökonomisch nicht logisch

by Dirk Elsner on 13. Juli 2015

Stimmt, eigentlich wollte ich mich nicht mehr mit der europäischen Schuldenkrise befassen. Und bis vor ein paar Wochen ist mir wenig zu Griechenland eingefallen. Andererseits ertappe ich mich doch immer wieder beim Lesen von Beiträgen. Im Gegensatz zu vielen “Experten” bin ich freilich weit davon entfernt, genau zu wissen, wie man die Probleme lösen kann.

Eine zumindest vorübergehende “Lösung” liegt derzeit möglicherweise in den aktuellen Verhandlungen der griechischen Regierung mit den Ländern der Eurozone und den Troika-Institutionen (als ich den Artikel gestern Abend um 21:30 abgeschlossen habe, hießt es im Liveticker der FAZ noch “Griechenland wartet auf die Entscheidung”). Jedenfalls haben die Finanzmärkte bereits am Donnerstag und Freitag den neuen griechischen Vorstoß positiv interpretiert. Die Finanzminister der Eurozone konnten sich dagegen am Samstag noch nicht abschließend auf ein Vorgehen verständigen. Mal wieder sieht es so aus, als der allerletzte Zeitpunkt doch nicht die letzte Frist.

image

Kulisse aus der 1. Episode von “The Walking Dead”: Exit durch die Hintertür?

Eine Frage, die mich am Wochenende bewegte bevor ich über den Vorschlag aus dem deutschen Finanzministerium über einen Grexit auf Zeit las, postete ich am Samstagnachmittag auf Twitter und bekam überraschend viel Resonanz.

Woher kommt eigentlich diese angeblich so zwingende "ökonomische Logik": Pleite Griechenlands = Grexit? Das klingt wieder nach ökonomischen Determinismus, für den ich keine wirkliche Grundlage erkenne. Wie wird das argumentiert? Eine zufriedenstellende Antwort habe ich nicht erhalten.

Warum habe ich mir diese Frage gestellt? Zunehmend habe ich aus der medialen Berichterstattung und den Äußerungen von Fachleuten den Eindruck, wenn die Verhandlungen mit Griechenland scheitern, gäbe es nur die Möglichkeit für Griechenland, die Eurozone zu verlassen und eine eigene Währung einzuführen. Dabei wird zeitweise der Eindruck vermittelt, der Austritt Griechenland aus dem Euro sei eine sachlogische ökonomische Notwendigkeit. Das halte ich nicht plausibel.

Der erste, der mir antwortete, war der Wirtschaftswurm

Der Vermutung von Makrointelligenz bin ich da näher: 

Was mit politischem Druck gemeint sein könnte, hat z.B.  Steffen Vogel  in der Juni Ausgabe der “Blätter” geschrieben:

“Genau genommen würde das Ausscheiden Griechenlands zwei Signale aussenden: An die Gesellschaften peripherer Eurostaaten erginge, erstens, die Warnung, dass sich das Aufstiegsversprechen zurücknehmen lässt – schon das Kokettieren mit dem Grexit transportiert diese Botschaft. Und der globalen Öffentlichkeit würde, zweitens, zugleich die innere Zerrissenheit der EU vorgeführt; darauf spielte Juncker an.”

Der frühere Wirtschaftsphilosoph Alexander Dilger antwortete auf Makropoint,

Mit der Antwort konnte ich nichts anfangen, weil ja diese behauptete Logik genau der Kern meiner Frage ist. Ich erinnerte in einem Antworttweet an Alexander Dilger an die “Beinahepleite Kaliforniens. Würde da Austritt des Staats aus dem Dollar gefordert? Nein! Kein Ökonom kam damals auf die Idee. Dilger hielt diese Analogie für falsch.

Interessant an dem Fall Kaliforniens ist freilich, dass der Bundestaat quasi trotzdem seine eigene “Währung” schuf, den IOU. IOU (von I owe you = Ich schulde dir) waren Schuldscheine, mit denen Kalifornien 2009 offene Rechnungen bezahlte (die FAZ erinnerte gerade daran in “Ich mach’ mir meine Scheine selbst”). Diese Schuldscheine waren eine Notlösung, damit der Staat noch seine Verpflichtungen konnte. Übrigens auch eine Lösung, die im Zusammenhang mit Griechenland diskutiert wird. Die Frage ist dabei freilich, wer griechische Schuldscheine akzeptiert.

Aus meiner Sicht löst die Einführung einer Drachme zunächst kein einziges Problem. Es macht Griechenland auch nicht automatisch wettbewerbsfähig, wie das von Hans Werner Sinn und viele andere Ökonomen gern behauptet wird. Bestenfalls ist eine abgewertete Drachme eine von vielen Determinanden, die die “Wettbewerbsfähigkeit” beeinflussen könnten. Dass man auch in der Eurozone mit dem Euro wieder “wettbewerbsfähig” werden kann zeigen aber andere Länder wie Deutschland, Irland und vielleicht auch bald Portugal und Spanien.

Daneben löst eine Drachme keine der aktuellen Probleme, denn die Schulden Griechenlands, seiner Banken und Unternehmen gegenüber dem Ausland sind in Euro denominiert und wären diese auch nach der Einführung einer neuen Drachme (siehe ergänzend Institut für Weltwirtschaft IfW): GREXIT löst die Kernprobleme nicht).

Die Antwort von Dilger lenkt aber auch dahin, dass wir in Griechenland vor allem auch ein Problem mit den Banken haben. Die haben nämlich ihrem Staat zu viel Geld geliehen haben, was übrigens nach der angeblich so strengen Regulierung nach der Finanzkrise (Basel III) immer noch erlaubt ist.

Das erinnert btw daran, dass mit den ersten Rettungspaketen für Griechenland vor 5 Jahren ja nicht Griechenland gerettet wurden, sondern europäische Banken außerhalb Griechenlands, insbesondere auch deutsche Institute. Damals plädierten die europäischen Banken wenig sehr stark für die Rettungsfonds und gegen einen Schuldenschnitt. Heute, wo sie kaum noch griechische Forderungen in den Büchern haben, macht ihnen der Austritt Griechenland aus der Eurozone. Aber ich komme vom Thema ab.

Ein häufiger zu hörendes Argument, warum Griechenland aus der Eurozone austreten sollte, hat Henning Klodt im Blog “Wirtschaftliche Freiheit” gebracht: Weil der griechische Staat nämlich nicht mehr seine Zahlungsverpflichtungen bedienen kann. Dieses Argument ist aber nicht so ganz zwingend, denn angeblich stand Griechenland schon einmal im vergangenen Jahr vor einem Primärüberschuss. Bedient das Land seine Schulden nicht, dann hätte es möglicherweise genug Geld, um laufende Verpflichtungen zu erfüllen. Ob die Sache mit dem Primärüberschuss allerdings stimmt und er angesichts der chaotischen und unberechenbaren Politik bestehen bleibt, ist eine ganz andere Frage.

Die Diskussion um den Grexit geht meines Erachtens vollkommen am Kern der Krise vorbei. Wenn Griechenland, wie das ifw in einer Studie festgestellt hat, an im Kern vor allem unter institutioneller Dysfunktionalität und einer schweren Deformation der Produktionsstrukturen leidet, was ich für plausibel halte, dann müssen Maßnahme hier viel eher ansetzen. Aber darum geht es hier nicht in dem Beitrag.

Ein Grexit ist ein Vorschlag, den einige Ökonomen für eine Lösung halten mögen. Ich kann das nicht erkennen.

Tim Juli 13, 2015 um 08:32 Uhr

Wenn Griechenland, wie das ifw in einer Studie festgestellt hat, an im Kern vor allem unter institutioneller Dysfunktionalität und einer schweren Deformation der Produktionsstrukturen leidet, was ich für plausibel halte, dann müssen Maßnahme hier viel eher ansetzen.

Das ist in der Tat richtig. Da 35 Jahre EU-Förderpolitik und 5 Jahre Rettungspolitik in Griechenland kein Staatswesen nach westlichen Maßstäben hervorgebracht haben, ist hier auch für die Zukunft nichts zu erwarten.

Die Eurozone selbst wurde ebenfalls nicht reformiert, wie oben angemerkt wurde. Basel III, fehlender regelmäßiger Forderungsausgleich im Target-2-System, keine wirksamen Kontrollmechanismen gegen Maastricht-Verstöße – die nächste Euro-Krise kommt garantiert. Und Griechenland wird wieder mittendrin sein.

Comments on this entry are closed.

{ 1 trackback }

Previous post:

Next post: