Sachverständigenrat zu den Problemen mit den Negativzinsen

by Dirk Elsner on 9. März 2016

Morgen senkt die Europäische Zentralbank möglicherweise erneut den Einlagenzins für Banken. Er könnte damit noch weiter ins Minus rutschen. Für meinen Geschmack wird außerhalb des Finanzsektors noch zu wenig diskutiert, was die Negativzinsen für die Finanzmarktpraxis und vor allem für die Finanzmarktstabilität bedeuten. Lapidar wie Clemens Fuest auf dem SZ Finanztag zu behaupten, die niedrigen Zinsen zeigen, dass die Bankenbranche strukturelle Probleme habe und sich anpassen muss, verharmlost möglicherweise die Folgen.

Der Strafzins erhöht die Probleme für die Banken, die aufgrund der oben genannten zwei Punkte vielen Einlagen nicht verleihen können. Daher müssen sie ihr Geld zu Negativzinsen bei der EZB hinterlegen oder von Kunden ebenfalls Strafzinsen kassieren. Die EZB führte die Negativzinsen erstmal im  Juni  2014  ein.

Laut Süddeutscher Zeitung führen in Dänemark und Schweden die Negativzinsen dazu, “dass die Banken die Strafgebühr auf die Kunden umgelegt haben – Kredite wurden daher teurer, was niemand wollte.” Andere Banken sollen laut FAZ darüber nachdenken, Bargeld lieber selbst zu verwahren.

Ich habe in den letzten Tagen mal im letzten Jahresgutachten des Sachverständigenrats geblättert und geschaut, was die Ökonomen zu den Niedrigzinsen geschrieben haben. Sie schrieben (S. 181)*:

“Eine lange Niedrigzinsphase belastet die Ertragslage von Banken und Versicherungen (insbesondere Lebensversicherungen) und gefährdet deren  Geschäftsmodelle. Der Aufbau von Eigenkapital durch Gewinnthesaurierung wird erschwert.

Für Bankeni st vor allem die geringe Steigung der Zinsstrukturkurve problematisch, da deren Geschäftsmodell wesentlich auf Erträgen aus Fristentransformation beruht. Erschwerend kommt hinzu, dass Negativzinsen für kurze Laufzeiten

kaum an Einlagenkunden weitergegeben werden können. Aus einer langen

Niedrigzinsphase resultiert somit mittelfristig eine Bedrohung der Profitabilität der Banken. Empirische Studien bestätigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Zinsniveau und der Profitabilität von Banken.”

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Noch macht sich der Niedrigzins allerdings kaum in den Bankbilanzen bemerkbar. Ein Rückgang der Zinsspannen ist in Deutschland in jüngerer Zeit nicht zu beobachten (siehe linke Abbildung). Die Zinssenkungen wirkten sogar leicht positiv auf die Ertragslage, weil sich die Kreditzinsen im Bestandsgeschäft aufgrund der längeren Zinsbindung langsamer anpassten als die Einlagenzinsen. Zudem wurde das Neugeschäft zunächst aufgrund der steileren Zinsstrukturkurve attraktiver. Relativ zum Jahr 2008 ist der Rückgang der Margen im Neugeschäft jedoch deutlich zu erkennen (siehe rechte Abbildung).  Die Niedrigzinsphase wirkt also mit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung.”

Erhöhte Risikoübernahme

Der Sachverständigenrat schrieb dazu auf S. 183 f.: 

Der Rückgang der Profitabilität von Banken und Versicherungen im Niedrigzinsumfeld setzt Anreize zu einer erhöhten Risikoübernahme, um dem Ertragsausfall entgegenzuwirken. Dies wird in der wissenschaftlichen Literatur unter dem Begriff des Risikoneigungskanals (Risk-Taking Channel) der Geldpolitik diskutiert.

Borio und Zhu nennen drei Wirkungszusammenhänge, über die sich expansive

Geldpolitik auf die Risikoneigung auswirken kann:

1. Erstens lässt eine Zinssenkung die Vermögenswerte steigen, wodurch es zu einer geringeren Risikowahrnehmung kommen kann.

2. Zweitens können starre Renditeanforderungen von Investoren, wie sie beispielsweise bei Lebensversicherungen mit Garantieverzinsungen zu finden sind, zu einer Jagd nach Renditeund damit einer verstärkten Nachfrage nach riskanteren Projekten führen.

3. Drittens kann die Erwartung eines Einschreitens der Zentralbank in Krisen (in Form einer Zinssenkung) die Risikobereitschaft erhöhen.

Der Anreiz zur übermäßigen Risikoübernahme wird durch schrumpfende Margen und den dadurch sinkenden Wert der Banklizenz (Charter Value) weiter verstärkt. Für Banken wurde die Existenz des Risikoneigungskanals in Studien empirisch bestätigt.

In jüngerer Zeit mehren sich Hinweise auf eine gestiegene Risikoübernahme der Finanzinstitute. So zeigt die Umfrage von BaFin und Deutscher Bundesbank (2015), dass die befragten Banken ihre Portfolios der Liquiditätsreserve in Richtung niedrigerer Ratings und höherer Laufzeiten verschoben haben. Bei deutschen Lebensversicherern und großen europäischen Versicherern kann man eine Verschiebung im Anleiheportfolio in Richtung riskanterer Ratingklassen beobachten.  Allerdings lässt sich nicht feststellen, ob dies aktiv herbeigeführt oder durch eine Herabstufung der Ratings im Bestand verursacht wurde. Außerdem haben deutsche Lebensversicherer im Jahr 2014 den Anteil langlaufender Anleihen in den Portfolios vergrößert, um die Fristeninkongruenz gegenüber den Passiva (Duration Gap) zu verkleinern. Hierdurch erhöht sich die Anfälligkeit gegenüber einem positiven Zinsschock, weil die langfristige Anlage auf der Aktivseite zu vergleichsweise niedrigen Zinsen erfolgt und daher Bewertungsverluste drohen (Lock-in-Effekt).

Die geldpolitische Lockerung der EZB scheint also über den Risikoneigungskanal gerade die Wirkung zu entfalten, die durch die Geldpolitik letztlich beabsichtigt wird. Je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto mehr Risiken werden hierdurch im Finanzsystem aufgebaut.

Insgesamt ist zu erwarten, dass die Niedrigzinsphase die Ertragslage von Banken und Lebensversicherungen spürbar belastet und somit mittelfristig deren Geschäftsmodelle aushöhlt, wenngleich dies aufgrund der verzögerten Wirkung bislang in den Bilanzen kaum sichtbar ist. Die Erosion des Eigenkapitals und der Anreiz zu einer erhöhten Risikoübernahme gefährden die Finanzstabilität und machen das System anfällig gegenüber Schocks, zum Beispiel einem Zinsanstieg oder einem Verfall der Vermögenspreise. Gleichzeitig könnte der erschwerte Aufbau von Eigenkapital die Kreditvergabe dämpfen und

damit teilweise die erwünschten Effekte der Geldpolitik konterkarieren.

Soweit der Sachverständigenrat. Die seit fast zwei Jahren laufende Diskussion über Negativzinsen auch für kleinere Einlagen belebt sich mit einer weiteren Zinssenkung erneut. Bekanntlich verlange viele Banken für größere Guthaben schon heute negative Zinsen. Kleinsparer blieben bisher verschont, vermutlich bis eine Bank den Einstieg wagt. Aber ich will vorsichtig sein, denn im letzten Jahr hatte ich bereits eine Wette auf Negativzinsen für Spareinlagen gegen Christian Kirchner verloren

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* Zitate ohne Literaturangaben und Fußnoten.

Stefan Rapp März 9, 2016 um 13:03 Uhr

Vielleicht wird es jetzt wirklich interessant für Banken Bargeldkonten einzuführen. Dieses Geld müsste dann außerhalb der Bilanz geführt werden und wäre nicht Teil der Insolvenzmasse im Insolvenzfall. Der Kunde könnte das Geld dann jederzeit sich aus dem Tresor geben lassen. Vorteil wäre für die Bank , sie spart sich die Negativzinsen und der Kunde der das wünscht wäre für diese „Sicherheit“ bereit auch entsprechend mehr Gebühren zu bezahlen. Auf jeden Fall wäre das ein neues Produkt was sich vermarkten lässt.

Peter März 9, 2016 um 11:43 Uhr

Das verstehe ich jetzt nicht ganz: „Die geldpolitische Lockerung der EZB scheint also über den Risikoneigungskanal gerade die Wirkung zu entfalten, die durch die Geldpolitik letztlich beabsichtigt wird.“ –> Dann wäre ja alles in Ordnung.

Aber: „Je länger die Niedrigzinsphase anhält, desto mehr Risiken werden hierdurch im Finanzsystem aufgebaut.“ –> Das ist wohl kaum gewünscht.

Ein Fazit seitens des Autors wäre hilfreich. Danke.

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