Sachverständigenrat: Risiken der Niedrigzinsen und Zinswende für Finanzmarktstabilität

by Dirk Elsner on 12. Oktober 2016

Als ich am Wochenende den Beitrag über die mutmaßliche Kapitalerhöhung bei der Deutschen Bank schrieb, und zur Finanzstabilität recherchierte stieß ich auf ein paar Aussagen des Sachverständigenrates, die auch das Handelsblatt in der Wochenendausgabe zum Thema gemacht hatte: Gefährdung der Finanzmarktstabilität durch die anhaltende Niedrigzinsphase. Das Handelsblatt schrieb: „Acht Jahre Niedrigzinsen haben das Finanzsystem zerbrechlich werden lassen. Banken taumeln, das Vertrauen schwindet.“

Die Wírtschaftsweisen haben das bereits in ihrem Gutachten 2015/16 gesagt:

“Zudem bauen sich infolge der geldpolitischen Maßnahmen der EZB erhebliche Risiken für die Finanzstabilität auf. Diese könnten den Boden für eine neue Finanzkrise bereiten. So setzt die Niedrigzinsphase die Ertragslage von Banken und Lebensversicherungen zunehmend unter Druck. Hieraus entstehen Anreize zu einer erhöhten Risikoübernahme, die sich unter anderem in einem Anstieg der Vermögenspreise widerspiegelt. Zwar zeigt sich bislang keine übermäßige Kreditexpansion, allerdings erkennt man in einzelnen Segmenten, insbesondere im Immobilienmarkt, erste Hinweise auf Übertreibungen.” (TZ 12).

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Gefährdet die EZB die Finanzmarktstabilität?

Ab Tz. 379 ff. vertieft dann der Sachverständigenrat die Stabilitätsrisiken durch die Niedrigzinsen.

Erhöhte Risikoübernahme

“Der Rückgang der Profitabilität von Banken und Versicherungen im Niedrigzinsumfeld setzt Anreize zu einer erhöhten Risikoübernahme, um dem Ertragsausfall entgegenzuwirken. Dies wird in der wissenschaftlichen Literatur unter dem Begriff des Risikoneigungskanals (Risk-Taking Channel) der Geldpolitik diskutiert (Borio und Zhu, 2012).”

Borio und Zhu nennen drei Wirkungszusammenhänge, über die sich expansive Geldpolitik auf die Risikoneigung auswirken kann: Erstens lässt eine Zinssenkung die Vermögenswerte steigen, wodurch es zu einer geringeren Risikowahrnehmung kommen kann. Zweitens können starre Renditeanforderungen von Investoren, wie sie beispielsweise bei Lebensversicherungen mit Garantieverzinsungen zu finden sind, zu einer Jagd nach Rendite und damit einer verstärkten Nachfrage nach riskanteren Projekten führen (Search for Yield, Rajan, 2005). Drittens kann die Erwartung eines Einschreitens der Zentralbank in Krisen (in Form einer Zinssenkung) die Risikobereitschaft erhöhen (Greenspan Put, Farhi und Tirole, 2012). Der Anreiz zur übermäßigen Risikoübernahme wird durch schrumpfende Margen und den dadurch sinkenden Wert der Banklizenz (Charter Value) weiter verstärkt (Stiglitz und Weiss, 1981; Keeley, 1990).” (Tz. 387)

“Für Banken wurde die Existenz des Risikoneigungskanals in Studien empirisch bestätigt. Auf Basis von Einzelkreditdaten weisen Ioannidou et al. (2015), Bonfim und Soares (2014) und Jiménez et al. (2014a) seine Existenz für Bolivien, Portugal beziehungsweise Spanien nach. Buch et al. (2014) belegen die Existenz des Kanals mit aggregierten Bankdaten für die Vereinigten Staaten. Für den Euro-Raum finden Altunbas et al. (2014), dass eine lang anhaltende Niedrigzinsphase zu einer erhöhten Risikoübernahme im Bankensektor führt.” (Tz. 388)

In jüngerer Zeit mehren sich Hinweise auf eine gestiegene Risikoübernahme der Finanzinstitute. So zeigt die Umfrage von BaFin und Deutscher Bundesbank (2015), dass die befragten Banken ihre Portfolios der Liquiditätsreserve in Richtung niedrigerer Ratings und höherer Laufzeiten verschoben haben. Bei deutschen Lebensversicherern und großen europäischen Versicherern kann man eine Verschiebung im Anleiheportfolio in Richtung riskanterer Ratingklassen beobachten. Allerdings lässt sich nicht feststellen, ob dies aktiv herbeigeführt oder durch eine Herabstufung der Ratings im Bestand verursacht wurde. Außerdem haben deutsche Lebensversicherer im Jahr 2014 den Anteil langlaufender Anleihen in den Portfolios vergrößert, um die Fristeninkongruenz gegenüber den Passiva (Duration Gap) zu verkleinern (Domanski et al., 2015). Hierdurch erhöht sich die Anfälligkeit gegenüber einem positiven Zinsschock, weil die langfristige Anlage auf der Aktivseite zu vergleichsweise niedrigen Zinsen erfolgt und daher Bewertungsverluste drohen (Lock-in-Effekt).” (Tz. 389)

Systemisches Risiko…

Und dann werden die Wirtschaftsweisen sehr deutlich:

“Hält die Niedrigzinsphase in den nächsten Jahren an und bleibt die Zinsstrukturkurve flach, so gefährdet dies mittelfristig die Solvenz von Banken und Lebensversicherern. Da die Zinsentwicklung das gesamte Finanzsystem gleichzeitig betrifft, haben die entstehenden Probleme systemischen Charakter.” (Tz. 401)

… und Gefahr einer Finanzkrise bei ZInswende

Und so deutlich hatte ich die Warnungen bisher gar nicht wahrgenommen:

“Das größte Risiko für das Auftreten einer erneuten Finanzkrise besteht darin, dass eine zukünftige Zinswende zu lange hinausgezögert wird. Wenn die Risiken im Finanzsystem sich deutlicher manifestieren, wird ein Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik immer schwieriger, da die Auswirkungen auf die Finanzstabilität dann nicht länger ignoriert werden können.” (Tz. 404)

Bankensind von einem solchen Zinsanstieg besonders stark betroffen. Denn angesichts des scharfen Wettbewerbs müssen sie die Einlagenzinsen sofort anpassen und können den raschen Anstieg der Zinskosten zumindest bei den in Deutschland üblichen Festzinskrediten nicht unmittelbar durch Zinserhöhungen kompensieren. Das Problem ist besonders ausgeprägt, wenn der Zinserhöhung eine lange Niedrigzinsphase vorausgegangen ist, in der langfristige Festzinskredite zu sehr niedrigen Zinsen vergeben wurden.

In der Tat fanden die meisten Finanzkrisen historisch in einem Umfeld steigender Zinsen statt. Ein Beispiel ist die Savings-and-Loans-Krisein den Vereinigten Staaten in den 1980er-Jahren, in der viele US-amerikanische Sparkassen insolvent wurden. Sie hatten langfristigeH ypothekenkredite vergeben, die mit kurzfristigen Spareinlagen finanziert wurden. Daher konnten sie dem raschen Zinsanstieg nach der Volcker-Disinflation und dem Wegfall der gesetzlichen Zinsbeschränkungen nicht standhalten. Die Probleme konnten zeitweise überdeckt werden, indem durch das Eingehen höherer Risiken entsprechende Risikoprämien vereinnahmt werden konnten. Letztendlich konnte dies den Zusammenbruch der Institute jedoch nur verzögern und nicht aufhalten.” (Tz. 404)

 Institutssicherungssysteme reicht nicht aus

Und noch eine Aussage der Sachverständigen, die ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätte.

“Für Deutschland hat dieses Szenario große Relevanz, da ein erheblicher Teil des Bankensektors im Wesentlichen vom Zinsgeschäft lebt. Die Absicherungssysteme, einschließlich der Institutssicherungssysteme, wären in einem solchen Krisenszenario möglicherweise nicht in der Lage, den Schock abzufangen, da dieser alle Institute gleichzeitig träfe und somit eine gegenseitige Absicherung kaum funktionieren kann.“ (Tz 405)

Ein weiteres Risiko besteht in einem Verfall der Vermögenspreise. Aufgrund der starken Reagibilität der Preise auf Zinsänderungen im Niedrigzinsumfeld können bereits kleine absolute Zinsänderungen erhebliche Preisveränderungen nach sich ziehen. Das Ausmaß der Preisausschläge wird durch die gesunkene Marktliquidität verschärft.

Eine Bedrohung für die Finanzstabilität besteht vor allem dann, wenn die Investoren einer Liquiditätsillusion unterliegen, das heißt der Vorstellung, dass die Märkte selbst in Krisenzeiten liquide bleiben (BIZ, 2015a), die Liquidität dann aber doch plötzlich zurückgeht (IWF, 2015a). Der deutliche Anstieg der Korrelationen über verschiedene Wertpapierklassen hinweg (IWF, 2015a) lässt zudem einen stärkeren Gleichlauf der Märkte vor allem in Krisenzeiten befürchten. Der Einbruch einzelner Vermögensmärkte könnte somit einen flächendeckenden Preisverfall auslösen.” (Tz 407)

Stabilisierende Wirkung durch fehlende Kreditexpansion

Wir irrsinnig die aktuelle Situation ist, macht eine Äußerung deutlich, die zeigt, dass die Sachverständigen froh darüber sind, dass das Ziel der EZB (nämlich eine Ausweitung der Kreditvergabe) gerade nicht aufgehen:

“Aus Sicht der Finanzstabilität ist positiv zu bewerten, dass die beschriebenen Vermögenspreisentwicklungen im Euro-Raum derzeit nicht in erster Linie durch eine Kreditexpansion getrieben sind. Denn in der Vergangenheit haben sich Vermögenspreisbooms als besonders gefährlich erwiesen, wenn sie mit einem starken Anstieg der Kreditvergabe einhergingen; nicht kreditfinanzierte Vermögenspreisbooms hatten hingegen historisch nur geringe reale Auswirkungen.

Die Kreditvergabe der Banken im Euro-Raum ist seit geraumer Zeit verhalten. Allerdings liegen mit Ausnahme von Immobilienkrediten keine Daten darüber vor, ob bestimmte Vermögensgegenständekreditfinanziert erworben wurden. Der Bestand an Immobilienkrediten privater Haushalte hat sich im Euro-Raum jedenfalls kaum verändert. In Deutschland, Finnland und Österreich sind moderate Zuwachsraten zu verzeichnen. In Belgien hat das Kreditwachstum rasant zugenommen. Es fällt auf, dass die Länder mit erhöhten Immobilienpreisen ein relativ starkes Kreditwachstum aufweisen. Zugleich sind die Kreditstandards für die Vergabe von Immobilienkrediten bislang nicht wesentlich gelockert worden (ESRB, 2015).“ (Tz 408 ff.)

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