Antwort der Spieltheorie auf Trumps Kampfansage an die globale Kooperation

by Dirk Elsner on 26. Januar 2017

Ich will hier zwar nicht zum Politikblog mutieren, möchte aber gern meine Gedanken vom Montag hier zu Ende führen. Am Montag ging es darum, dass ich Trumps Antrittsrede für eine Kampfansage an die globale Kooperation halte. Der Welt wird dieser düstere Ultranationalismus und der Rechtspopulismus in anderen Ländern nicht gut bekommen. Ich habe mich dazu auf Martin Nowak bezogen, der evolutionäre, kulturelle und politische Prozesse mit Mitteln der Spieltheorie modelliert.

Nowak analysiert kooperatives Verhalten auf Basis spieltheoretischer Simulationen und bezieht das auf gesellschaftliche Entwicklungen. Grundlage ist dabei das Gefangenendilemma, das er als eine der großen Ideen des 20. Jahrhunderts bezeichnet, “weil es die Tragödie des sozialen Lebens in einem so klaren Modell zusammenfasst.” Nowak erklärt, dass Kooperation die Architektin komplexer Lebensformen ist. Zusammen mit Karl Sigmund hat er in verschiedenen Simulationen gezeigt, dass es in der sozialen Evolution immer wieder zu einem Kampf zwischen Defektoren und Kooperatoren kommt.

Bei den Simulationen orientierten sich Nowak und Sigmund am weltberühmten Computerturnier von Robert Axelrod. Auf Basis des spieltheoretischen Modells des Gefangenendilemmas ließen sie verschiedenste Strategien in einer Computersimulation gegeneinander antreten. Interessant ist, dass in den Simulationen nicht “Tit for Tat” die überlegene Strategie war. Ein Spieler, der die Tit-for-Tat-Strategie anwendet, beginnt die Interaktion mit einem kooperativen („freundlichen“) Spielzug. Danach macht ein Tit-for-Tat-Spieler jeweils den letzten Zug des anderen Spielers nach. Hat der Gegenspieler „unfreundlich“ agiert, so antwortet der Tit-for-Tat-Spieler ebenfalls mit einer unfreundlichen Reaktion. Sobald der Gegenspieler sich wieder kooperativ verhält, tut dies auch der Tit-for-Tat-Spieler.

Diese einfache Strategie gewann bekanntlich die Computerturniere von Axelrod zur Lösung des Gefangenendilemmas. “Tit for Tat” zeigt aber keine Bereitschaft zur Vergebung. In den Simulationen von Nowak und Co. setzte sich eine andere Strategie durch, die sie “Generous Tit for Tat” (die großzügige Tit-for-Tat-Strategie) nannten. Nowak erklärt sie so:“Einen guten Zug niemals vergessen, aber einen schlechten gelegentlich vergeben.” Und weiter schreibt er:

“Bei ihr hat die natürliche Auslese den optimalen Grad an Bereitschaft zur Vergebung ausgemacht: Kooperation immer mit Kooperation vergelten und bei einer von drei Defektionen ein Auge zudrücken und kooperativ bleiben. (Die Einzelheiten hängen vom Wert der eingesetzten Auszahlungen ab.) In diesem Spiel wäre es ein Fehler, wenn der Gegner genau absehen könnte, wann der andere auf eine Defektion freundlich reagieren wird. (John Maynard Smith’ Tit-for-two-Tat-Strategie konnte leicht dadurch ausgenutzt werden, dass zwischen Kooperation und Defektion abgewechselt wurde.) Deswegen fußte das Rezept für Vergebung auf dem Zufallsprinzip: Die Aussicht darauf, nach einer Defektion Vergebung zu erlangen, war Glückssache, keine Gewissheit. Generous Tit for Tat funktioniert so: einen guten Zug niemals vergessen, aber einen schlechten gelegentlich vergeben.”

Generous Tit for Tat auf die Realpolitik übertragen würde bedeuten, zunächst hart auf Trumps mutmaßliche Abschottungspolitik und Protektionismus zu reagieren. Kündigt Trump Kooperationen auf oder zettelt einen Handelskrieg an, dann macht es Sinn darauf mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren. Die Lehre aus Nowaks Forschung ist aber, dass dies nur funktioniert, wenn nicht jeder gegen jeden agiert und sein eigenes nationales Süppchen kocht. Finden Europa, Asien und andere Staaten eine gemeinsame Antwort auf Trumps Abschottung, brauchten wir uns wenig Sorgen machen. Es ist unwahrscheinlich, dass Trump seine Abschottungsstrategie durchhält, wenn sich die Spieler außerhalb zusammenschließen (z.B. in Form von Handelsabkommen, die Trump derzeit kündigen bzw. nicht abschließen will). “Generous Tit for Tat” würde es dann gebieten, zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf Trump zugehen und ihn Kooperation anbieten.

Leider haben die letzten Jahre gezeigt, dass sich die europäischen Nationalstaaten nicht besonders einig sind. Selbst wenn die Rechtspopulisten keine Regierungsverantwortung erhalten, so hat ihr Aufschwung schon jetzt Wirkungen auf die Realpolitik. So befürchten manche, dass das Gegenteil eintritt und sich Europa selbst zerlegt. Trump begrüßt das bekanntlich. Vor dem Hintergrund von Nowaks Buch ist das nachvollziehbar, denn diese Uneinigkeit schwächt Europa. Andererseits sind in der Handelspolitik schon nach wenigen Tagen erste Anzeichen für außeramerikanische Kooperationen zu erkennen (siehe z.B. hier und hier).

Das Gefangenendilemma ist so konstruiert, dass es Anreize für einzelne Teilnehmer gibt, nicht zu kooperieren. Das Problem ist, wenn alle defektieren stellen sich alle schlechter als wenn sie kooperieren würden. Und weil das Gefangenendilemma hoch relevant für die politische, wirtschaftliche und militärische Praxis ist, gehen wir so lange unangenehmen Zeiten entgegen bis wieder die Stärke der Kooperation erkannt wird.

Eines muss ich zum Schluss noch loswerden. Die Wahl Trumps ist wie der Aufschwung der Rechtspopulisten in Europa ja nicht aus dem luftleeren Raum geschehen. Im Lichte von Nowaks Erkenntnissen könnte man die mutmaßliche Aufkündigung der Kooperationen durch Trump und das Brechen mit der europäischen Idee auch interpretieren als Reaktion auf vorher erfolgte Defekte gegen Trump bzw. seine Anhänger. Den Aufstieg der Rechtspopulisten könnte man im Sinne von “Tit for Tat” auch als Nicht-Kooperation auf eine vorausgegangene Nicht-Kooperation der herrschenden Eliten interpretieren. Aus der Evolutionstheorie wissen wir, dass manchmal Menschen bereit sind, anderen Gruppen zu schaden (zu bestrafen) und zwar ohne Rücksichtnahme auf das eigene Wohlergehen. Das macht solche populistischen Bewegungen so gefährlich.

“Trump hat die Früchte des Zorns auf das Establishment geerntet,” schrieb Moritz Koch für das Handelsblatt. Große Teile von Trumps Wählerschaft werden als frustriert und als Globalisierungsverlierer etikettiert. Viele Wähler Trumps und auch Menschen in Europa fühlen sich also nicht abgeholt von der handelnden Funktionselite, die sich zuletzt kollektiv beim Weltwirtschaftsforum in Davos eher verunsichert (Handelsblatt) und selbst in der Krise (Capital) gezeigt hat. In diesem Sinne ist es zu einfach, sich über Trump und seine Anhänger zu erheben. Es wird wenig helfen, einfach nur gegen Trump zu protestieren.

Aber bevor wir uns nun hineinsteigern in einen neuen Isolationismus, sollten wir einmal abwarten, wie sich die Politikpraxis tatsächlich entwickelt. Bekanntlich läuft die Praxis meist anders als erwartet. Das haben wir bei Barack Obama ja auch gesehen.

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