Covid-19-Notes (Tag 278): Höchstzahlen im Lockdown 2.0, weltweite V-Days, Virus-Evolution und Superspreader-Event Weihnachten

by Dirk Elsner on 22. Dezember 2020

Auf dieses Jahr 2020 werden wir lange zurückblicken. Als vor einem Jahr die ersten Meldungen über eine rätselhafte Lungenkrankheit in Wuhan auftauchten, hat diesen neuartigen Virus kaum einer ernst genommen. Ich habe das auch verdrängt, denn seit Jahren sorgen immer wieder neue Krankheiten für gruselige Schlagzeilen, verschwinden dann aber wieder schnell. Aber frei nach Nicholas Nassim Taleb können wir leider bei komplexen Sachverhalten nicht einfach die Gegenwart linear aus der Vergangenheit ableiten. 

Trotz Lockdown 2.0 immer wieder neue Höchstzahlen

Obwohl wir uns in Deutschland und Europa seit Wochen im Lockdown 2.0 befinden, erreichen wir ständig neue Höchststände bei der Anzahl der Neuinfizierten.

Quelle: Worldometer am 22.12.2020

Weder die erste neue Maßnahmenwelle von Anfang November, noch deren Verschärfung seit einer Woche, zeigt bisher eine besondere Wirkung. Natürlich kann man behaupten, dass ohne diese Maßnahmen die Zahlen noch stärker gestiegen wären. Ich glaube allerdings, dass wir uns aus vielerlei Gründen nicht mehr (mehr) so ernsthaft an die Auflagen und die AHA-Regeln halten. Es gibt weiterhin zu viele Begegnungen (dazu unten mehr).

V-Days weltweit: Hoffnungen durch Impfstoffe

Trotz der langen Schatten der Krise, erkennen wir endlich Licht am Ende des Tunnels. In täglich neuen Nachrichtenhäppchen rückt der Tag näher, an dem wir uns impfen lassen können.

Am 8.1. hat als Erste in Großbritannien die 90-jährige Margaret Keenan die erste von zwei Spritzen des RNA-Impfstoff des Mainzer Herstellers BioNTech und seines US-Partners Pfizer erhalten. Eine Woche später sorgten die Bilder aus den USA für Gänsehaut als dort Bilder über die Auslieferung des gleichen Impfstoffs verbreitet wurden.

In Deutschland wurden wir derweil ungeduldig und fragten, wie lange hier die Zulassung eines in Deutschland entwickelten Impfstoffes wohl noch dauern würde. Wohl auch wegen des politischen Drucks zog die EU-Behörde EMA ihre Empfehlung für das Präparat “Comirnaty” vor und empfahl gestern der EU-Kommission die Zulassung des Biontech/Pfizer Impfstoffs. Kurz nach der Empfehlung hat die den Impfstoff zugelassen. Die Impfungen starten nun EU-weit am 27., 28. und 29. Dezember 2020.

Wie auch immer die Politik in diesen unsicheren Zeiten agiert, sie macht aus Sicht irgendeines Besserwissers stets etwas falsch. Der Spiegel spricht von einem Planungsdesaster bei der Beschaffung von Impfstoffen, weil man vorab Hunderte Millionen Dosen abgelehnt habe. Klar, wenn die EU die erworben hätte und die Impfstoffe hätte sich als gefährlich und nicht wirksam erwiesen, hätte die Politik auch Prügel bezogen. Wir müssen uns in diesen Zeiten der gesellschaftlichen Spaltung daran gewöhnen, dass es stets immer einige gibt, die es im Nachhinein vorher schon besser gewusst haben. Ich bin froh, dass diese Leute uns nicht regieren. Ob wir wirklich in Europa mit 2 Milliarden Dosen zu wenig Impfstoffe haben (so stellt es die EU-Kommission auf einer speziellen Webseite dar), darf bezweifelt werden. Deutschland soll im Laufe des nächsten Jahres 170 Millionen Menschen mit Corona-Impfstoff versorgen können. Andere Stimmen könnten das auch als Impfstoff Imperialismus auslegen, wenn alle Vakzine wirken, die sich die EU gesichert hat. 

Ein Wunder jedenfalls, dass es noch keinen Streit über den Impfplan gegeben hat. Und jedenfalls macht es mittlerweile Spaß, die täglichen Fortschritte in den Impfstoff Trackern (hier vom NDR und hier von der New York Times) zu lesen. Die Anstrengungen klingen vielversprechend und lassen manchen Skeptiker im Nachhinein alt aussehen.

Quelle der Abbildung: New York Times

Gefährliche Virus-Evolution aus Großbritannien

Wir sind in diesem Jahr nicht nur zu Virenexperten geworden, die jeden Spielzug an der Erregungsfront kritisch begleiten und es stets besser als die eigentliche Fachleute wissen (siehe oben), sondern werden nun auch Evolutionsspezialisten. VUI-202012/01 heißt eine neue Coronavirus-Variante, die für finstere Schlagzeilen sorgt, die Börsen nach langer Erholung wieder beben lassen (zumindest für einen Tag) und vor allem Großbritannien nach dem Brexit weiter vom europäischen Kontinent abschottet.

Die Variante soll schneller übertragen werden. Ob sie gefährlicher ist, ist freilich nicht klar. Bereits im Sommer sorgten ähnliche Schlagzeilen für vorübergehende Aufregung, wie

Neue Corona-Variante offenbar ansteckender als ursprüngliches Virus

Bekanntlich ist das Erbgut von Sars-CoV-2 schon Hunderte Male mutiert. Nach dem oben erwähnte Spiegel Artikel verbreitet sich derzeit die weltweit vorherrschende Variante von Sars-CoV-2 nach einer Studie leichter als die ursprüngliche Variante aus China. Die Fachwebseite wissenschaft.de wies im Sommer bereits darauf hin, dass alle Viren im Laufe der Zeit mutieren und schreibt:

“Denn bei ihrer Vermehrung in den Wirtszellen können immer wieder Kopierfehler auftreten, die dann von den viralen „Nachkommen“ weitergetragen werden. Typischerweise kommen solche Mutationen bei RNA-Viren besonders häufig vor, weil sie die DNA-Korrekturmechanismen der Wirtszellen nicht nutzen können. Es ist daher kein Zufall, dass besonders viele neu auftretende und neu an den Menschen angepasste Erreger zu den RNA-Viren gehören. Auch das Coronavirus Sars-CoV-2 verändert sich im Laufe der Zeit, wenn auch vergleichsweise langsam. Wissenschaftler verfolgen seine Entwicklung schon seit Beginn der Pandemie, indem sie immer wieder Virenproben aus Patienten isolieren und deren Erbgut analysieren. In der zentralen Datenbank GISAID sind inzwischen zehntausende solcher Genomsequenzen für Sars-CoV-2 gesammelt. Durch den Vergleich dieser viralen RNA-Sequenzen lässt sich feststellen, wo und wie stark das Virus mutiert ist – aber auch, auf welchen Wegen es sich über die Welt verbreitet hat. …

Nach Einschätzung des Virologen ist es aber unwahrscheinlich, dass diese Mutation von Sars-CoV-2 die individuellen Verläufe der Krankheit schlimmer macht oder dass Eindämmungsmaßnahmen deswegen geändert werden müssen.”

Auch andere Fachleute, so schriebt damals die ZEIT, finden die Mutationen normal und gehen per se nicht davon aus, dass das Virus durch einzelne Mutationen gefährlicher wird:

“Dass sich das Coronavirus im Laufe seiner Evolution dennoch verändert, heißt nicht zwingend, dass es für den Menschen auch gefährlicher wird. Es könnte im Gegenteil ein evolutionärer Vorteil für das Virus sein, harmloser zu werden. Denn Viren haben das Ziel, sich zu vermehren. Und dafür müssen sie viele Wirte befallen. Harmlos zu sein, könnte ihm dabei sogar nützen. Denn jemand, der mit einem Schnupfen weiter zur Arbeit geht, U-Bahn fährt und seine Oma besucht, überträgt einen Erreger auf mehr Menschen, als jemand, der mit einer Lungenentzündung im Isolierzimmer liegt oder an einer Infektion stirbt. Ein ähnliches Beispiel nennt der Berliner Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast.”

Ich denke, man wird der Wissenschaft etwas Zeit geben müssen, um diese Mutation, von der es überraschend wäre, wenn sie noch nicht in Deutschland angekommen ist, zu beurteilen. Bis dahin kann uns vielleicht beruhigen, dass Biontech von der Wirksamkeit seines Impfstoffs gegen neue Virus-Form ausgeht. Aber auch das wissen wir natürlich nicht genau.

Superspreader-Event Weihnachten: Warum gibt es immer noch so viele Begegnungen?

Die Zahl der Ansteckungen hat deutlich zugenommen. Wahrscheinlich kennt jeder mittlerweile zahlreiche Leute mit einem positiven Corona-Test. Meine Frau hat heute erfahren, dass eine Freundin, die in einem eigentlich Altersheim in der Verwaltung arbeitet, nun positiv getestet wurde. In Deutschland hat das Robert Koch Institut (RKI) bis heute 1.530.180 Infizierte registriert. Das sind fast 2 Prozent der gemeldeten Einwohner Deutschlands. RKI-Präsident Wieler rechnet mit einer Dunkelziffer, die sich aus Analysen zur sogenannten Untererfassung ergeben, bei einem Faktor von vier bis sechs. “Das hieße, bei etwa 20.000 positiven PCR-Tests wären in der Gesamtbevölkerung real 80.000 bis 120.000 Menschen neu infiziert, die meisten, ohne es zu wissen.” Das Virus könnte also bereits 10 Prozent der Bevölkerung erreicht haben.

Nun steht Weihnachten vor der Tür mit strengen Bedingungen, was gemeinsame Treffen betrifft. Helfen wird das vermutlich wenig. Weihnachten wird ähnlich wie Thanksgiving in den USA zu einem Superspreader-Event werden.

Und es ist keine wirkliche Überraschung, dass die Verbreitung weitergeht. Wir Menschen sind nicht gemacht für die Isolation. Die evolutionäre Entwicklung des Menschen zeigt gestützt von neurobiologischen Erkenntnissen, dass wir Menschen Kooperation und Sozialkontakte benötigen (siehe ausführlich meinen Text: Moderne Evolutionstheorie schlägt Ökonomie (22): Plädoyer für ein neues „Minimum Viable Model“ für die Ökonomie und hier insbesondere die Bausteine 4,9 und 10). Ohne diese Eigenschaften hätten wir uns nicht zu dem entwickeln, was wir sind. Dazu gehört, dass wir die Nähe zu anderen Menschen suchen. Der Hirnforscher Manfred Spitzer nennt Einsamkeit in einem Buchtitel die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich (siehe außerdem diesen Beitrag auf Quarks mit Literaturhinweisen).

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