Unternehmensstrategie in Krisenzeiten: Schneller Wechsel oder Wechselstrategie?

by Gastbeitrag on 22. Oktober 2008

Einflüsse auf Unternehmen

Im Oktober hat in vielen Unternehmen bereits die Planung für das kommende Jahr begonnen oder ist sogar bereits abgeschlossen. In diesen Wochen, in denen die Erwartungen für den kommenden Planungszeitraum durch die Finanzkrise heftig durcheinander gewirbelt werden, stellt sich da die Frage, mit welcher Strategie reagiert werden muss.

Um hier gleich die Erwartungen zu stören: Ich liefere hier kein Konzept, um sicher die rauen Klippen der Finanzkrise zu umschiffen. Dafür muss man auf die einzelnen Unternehmen sowie seine Rahmen- und Finanzbedingungen schauen. Ohnehin würde ich auch davor warnen, einfach irgendwelchen Patentrezepten zu folgen.

Uns werden nämlich wieder viele Publikationen mit zahlreichen Vorschlägen erreichen, die uns sagen können, wie wir es richten können.  In Publikationen werden unzählige Ansätze zur Neu- oder Umorganisation von und in Unternehmen vorgestellt werden. Der interessierte oder gar unter Druck seiner Stakeholder stehende Manager steht angesichts der vielen Konzepte vor der Frage, welcher Methode er den Vorzug geben soll.

Warnung vor voreiligen Strategiewechseln

Bereits im Oktober 2004 hat Müller-Stewens in einem Beitrag Harvard Business Manager festgestellt, dass der Zusammenhang zwischen Methodeneinsatz und Erfolg von Unternehmen schwierig zu messen ist. Daher sei hier vor einem voreiligen Strategiewechsel gewarnt.

Die Wissenschaft steht vielen Konzepten, die Beratungsgesellschaften und Managementgurus präsentieren, skeptisch gegenüber. So lautet ein Vorwurf, häufig handele es sich bei neuen Methoden um pauschalisierende Ansätze, die ihre Vorzüge lediglich mit Hinweisen auf andere Schlagworte wie Verschlankung, Konzentration auf die Kernkompetenzen, Marktdruck, Globalisierung etc. begründen.

Besonders bedenklich sind dabei Darstellungen über Erfolgsbeispiele in der Praxisliteratur aus laufenden oder gerade erst abgeschlossenen Reorganisationen, die eine kritische Bewertung bereits aus zeitlichen Gründen verbieten. „Methodenerfinder“ und Berater können sich so leicht einer kritischen Betrachtung entziehen, weil die intersubjektive Nachvollziehbarkeit häufig gar nicht möglich ist.

Häufige Strategiewechsel helfen, zu verschleiern

Was bedeutet das nun für die Praxis: Sollen wir erst warten, bis die Wissenschaft einen gesicherten Beweis für eine Methode hat? Nein, denn bis dahin hat uns der Wettbewerb längst aus dem Markt gekickt. Müller-Stewens fällt zu Recht auf, dass sich gerade die einfachen Methoden am Markt durchgesetzt haben, weil sie helfen, die interne Diskussion über die Strategie zu systematisieren und vor allem zu disziplinieren. Sie haben sich nicht deswegen durchgesetzt, weil die Wissenschaft ihnen eine empirische Erfolgsrelevanz bescheinigt, sondern weil sie beitragen, ein häufig in der Praxis anzutreffendes „management by muddling through“ bzw. „management by personal interest“ vernünftig zu strukturieren.

Von der Agency Theorie lernt man, dass die Nutzenmaximierung nicht immer einhergeht mit dem Unternehmensinteresse und Manager und Mitarbeiter gerne auch an sich persönlich denken. Dieser Typus mag nicht die Struktur von Methoden, weil sich eigene Interessen dadurch nicht mehr hinter Floskeln verbergen lassen. Mit der Konzeptvielfalt und häufigen Strategiewechsel ist es nämlich einfach geworden, zu jeder noch so fragwürdigen Entscheidung eine passende Aussage in der praktischen Managementliteratur zu finden.

Damit besteht ein entscheidendes Fundament für den Methodenerfolg in der Kompetenz des Managements, eine Methode nicht nur konsistent einzuführen und sie nachzuhalten sondern sich auch daran messen lassen.

Bedeutung für die aktuelle Praxis

Was bedeuten diese Aussagen für die aktuelle Lage? Hat ein Unternehmen eine durchdachte Strategie entwickelt, die bisher erfolgreich war, dann sollte es jetzt nicht voreilig wechseln und das Unternehmen ohne Not umkrempeln. Es sollte aber prüfen, ob die Rahmenbedingungen, unter denen die Strategie entwickelt wurde, noch Bestand haben. Eine gute Strategie sollte nicht nur für Schönwetterperioden entwickelt sein, sondern muss auch unter Krisenbedingungen belastbar sein.

Hat ein Unternehmen keine durchdachte Strategie oder, was auch häufig der Fall ist, nur eine Alibistrategie um bestimmten Stakeholdern zu gefallen, dann wird das Management sich ein oder mehrere Wochenenden Zeit für eine Strategieentwicklung nehmen müssen. Wenn aber gerade die Kosten explodieren, die Umsätze einbrechen oder die Kapitalgeber den Druck erhöhen, dann ist dies nicht der richtige Zeitpunkt für eine Strategieentwicklung sondern eher für Krisenmanagement (dies ist dann ein Thema für einen anderen Beitrag).

Entwicklung einer flexiblen Strategie*

Die aktuelle Strategieentwicklung kann sich heute nicht mehr allein auf die Analyse externer und
interner Gegebenheiten und beschränken, um daraus anschließende die bestmögliche Strategie zu wählen.

Die hohe Veränderungsgeschwindigkeit erfordert wesentlich schnellere Entscheidungen für die strategische Ausrichtung. Darüber hinaus, so Dagmar Recklies, erfordert eine erfolgreiche Weiterentwicklung in einem veränderlichen Umfeld auch das Aufbrechen von traditionellen Regeln, Geschäftsmodellen und Denkweisen.

Gery Hamel definiert Strategie-Innovation als „die Fähigkeit, die Grundlagen des Wettbewerbs in bestehenden Branchen neu zu erfinden und völlig neue Branchen zu erfinden.

Hamel schlägt vor, dass Unternehmen sich selbst und ihre Spielregeln nur neu erfinden können, wenn sie eine Vielfalt der Meinungen, Eindrücke und Erfahrungen, eine umfassende Kommunikation innerhalb des Unternehmens und über die Grenzen hinaus, neue Perspektiven auf die eigene Tätigkeit sowie das Engagement und die Einbeziehung aller Mitarbeiter fördern.

Dieser Ansatz impliziert, dass es nicht mehr darauf ankommt, die eine perfekte Strategie zu entwickeln. Vielmehr soll die Strategie das Unternehmen in die richtige Richtung führen. Diese wird dann durch Experimentieren konkretisiert und angepasst. Hamels Vorstellungen der Vielfalt, Kreativität und Experimentierfreude korrespondieren mit den Erkenntnissen der Komplexitätstheorie, wonach die Unternehmen am besten auf grundlegende Veränderungen reagieren können, die nicht perfekt an ihre aktuelle Umgebung angepasst sind. Dazu gehört nach Ian Turner u.a.

  • die Möglichkeit zur spontanen Selbstorganisation von Teams, die eine bestimmte Idee verfolgen,
  • das Tolerieren von parallelen Entwicklungen, z.B. für Produkt- oder Marktstrategien,
  • das Reduzieren von Ängsten vor Veränderungen,
  • das Vorhandensein von freien Ressourcen, die unabhängig vom Tagesgeschäft neue Strategien experimentell ermitteln können.

* Basis dieses Abschnitts ist das Dokument „Strategie in turbulenten Zeiten“ von Dagmar Recklies aus dem Jahre 2001 (siehe Literaturhinweise)

Fazit

Allerdings müssen Unternehmen hier aufpassen, wenn sie den Vorschlägen von Hamel und Turner folgen, nicht willkürlich in ihren strategischen Aussagen zu werden (siehe oben). Es gibt aber ein paar Rahmenbedingungen, die diesseits der Strategie stimmen sollten. Dazu gehören:

  • Fähigkeit, eindeutige und unmissverständliche Entscheidungen zu treffen
  • klare Verantwortungszuordnung
  • motivierte Führungskräfte und Mitarbeiter durch offene und klare Kommunikation
  • Ausstattung mit notwendigen Kapitalressourcen

Die Leser, die enttäuscht sind, weil sie hier keine konkreten Handlungsanweisungen gefunden haben, kann ich auf die American Marketing Association verweisen. Die hatte bereits vor einigen Monaten ermittelt, wie Unternehmen in Abschwungsituationen reagieren. Zu den allerdings sehr oberflächlichen Vorschlägen geht es hier.

Literatur

Hamel, G.: Killer Strategies that Make Shareholders Rich, Fortune, Vol. 135 No.12, S. 70.
Müller-Stewens, Günter: Auf die Prozesse kommt es an. In: Harvard Business Manager 26 (2004), S. 28-32, Übersicht über weitere Literatur von Müller-Stewens hier
Turner, I.: Strategy, Complexity and Uncertainty. Verfügbar hier
Recklies, Dagmar,„Strategie in turbulenten Zeiten“, Arbeitspapier 2001.

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Comments on this entry are closed.

Previous post:

Next post: